Martenstein über behördliches Versagen: Berlins Regierende haben die Erfindung des Computers nicht bemerkt
Dass Berlins Verwaltung an so vielen Stellen versagt, hat nach Meinung unseres Kolumnisten einen ganz bestimmten Grund, und es ist nicht etwa der Personalmangel. Ein Flughafen fällt jedoch aus der Reihe.
Der Tagesspiegel hat sich den Ruf des Leitmediums erarbeitet, unter anderem, was den Zusammenbruch des Berliner Gemeinwesens betrifft. Aber auch der RBB leistet viel. In der vergangenen Woche meldete der RBB, dass in Berlin zu Haft verurteilte Straftäter nicht mehr befürchten müssen, tatsächlich ins Gefängnis zu kommen. Die Polizei schafft das nicht mehr. „Wir haben nicht die Zeit, zu ermitteln, wo derjenige sich aufhält“, sagte ein Polizist dem Sender. Es reicht offenbar, als Totschläger oder Vergewaltiger die Wohnung zu wechseln. Die Justiz kann im Grunde ihre Arbeit einstellen und zu Entlüftungsarbeiten am BER abkommandiert werden. Eine freie Gesellschaft ohne Gefängnisse, die alte Utopie der Anarchisten, ist zum Greifen nah.
In den Berliner Finanzämtern gibt es neuerdings „grüne Wochen“, Quelle: eine Sprecherin der Steuergewerkschaft. In diesen Wochen können Steuererklärungen wegen Überlastung nicht mehr korrekt geprüft werden, die Devise heißt: Augen zu und durch. Dadurch wird die Lage der Haushalte noch kritischer, die Krise ist in der Phase angekommen, in der sie sich selbst verschärft. Auch der Krankenstand steigt, aus Überlastung. Kfz-Zulassungsstelle Jüterboger Straße: Krankenstand bis zu 40 Prozent.
Reine Schusseligkeit
Es dürfte noch schlimmer werden. Bis 2025 geht ein Drittel der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den Ruhestand. Schon jetzt können freie Stellen häufig nicht besetzt werden. Berlin zahlt schlecht. Und wenn jemand gefunden wurde, dauert es wegen der schwerfälligen Bürokratie manchmal neun Monate, bis die Person ihren Job antreten darf. Welcher Bewerber macht das mit?
Bei der Suche nach Ursachen wird oft auf die Sparmaßnahmen der Ära Wowereit verwiesen. 2003 gab es 40 Stellen je 100.000 Einwohner im öffentlichen Dienst von Berlin, 2016 noch 28,5. Diese Zahl ist nicht besonders niedrig, an ihr allein kann’s nicht liegen. Berlin hat 176.000 öffentlich Bedienstete. Hamburg, halb so zahlreich, hat 78.000. Es gibt einen anderen Grund.
Berlins Regierende haben aus Schussligkeit die Erfindung des Computers nicht bemerkt. Vieles, was anderswo am Computer erledigt wird, muss hier noch umständlich per Hand gemacht werden. Personalabbau ohne gleichzeitige Computerisierung führt direktemang in die Katastrophe – das ahnte niemand. Die IT-Staatssekretärin Sabine Smentek sagt, dass im IT-Bereich sogar Stellen abgebaut wurden. Geld für neue Leute wird nicht bewilligt, und wenn sie bewilligt wären, würde man sie aus den bekannten Gründen schwerlich finden. Fast das Einzige, was hartnäckig funktioniert, ist der olle, alte Flughafen Tegel. Die Schließung von Tegel ist also vor allem deshalb notwendig, damit ein einheitliches Stadtbild entsteht.