Untersuchungsausschuss zur Diese eG: Berlins Innensenator Geisel sieht teils „rechtswidriges“ Handeln der Bezirke
Die Bezirksaufsicht bestätigt die Vorwürfe des Rechnungshofes gegen Stadtrat Schmidt bei der Diese eG. Konsequenzen hat dieser nicht zu erwarten.
Für Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) steht das Urteil über die Affäre um die „Diese eG“ fest: Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zugunsten der finanzschwachen, neu gegründeten Genossenschaft war „ein ungewöhnlicher Vorgang“. Geisel selbst war einst Baustadtrat und „hätte das nicht gemacht“. Die Bezirke hätten sich „nicht rechtskonform, man kann auch rechtswidrig an einigen Stellen sagen“, verhalten, sagte Geisel am Dienstag im Untersuchungsausschuss zu dem Fall. Dieser läuft seit Februar und soll den Vorgang aufklären, der fast im finanziellen Desaster geendete hätte.
Konsequenzen hat der zuständige Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) trotzdem nicht zu erwarten. Das Bezirksaufsichtsverfahren der Innenverwaltung gegen die Verantwortlichen in Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg, die zusammen sieben Immobilien per Vorkaufsrecht zugunsten der Diese eG sicherten, wird ins Leere laufen.
Im Kern geht es um diese Frage: Ist die Gründung der Diese eG und deren reichhaltige Ausstattung mit öffentlichen Fördermitteln zum politisch erwünschten Erwerb von Miethäusern ein Fall rot-rot-grüner Patronage – oder handelt es sich dabei um ein Beispiel dem Gemeinwohl verpflichteter neuer Wohnungspolitik, die von Vertretern der Opposition in Verruf gebracht werden soll? Neben Geisel war am Dienstag die seinerzeit amtierende Senatorin für Wohnen Katrin Lompscher (Linke) geladen. Ihr Haus spielte zusammen mit dem Finanzsenator eine zentrale Rolle bei der Finanzierung der zerbrechlichen Genossenschaft Diese eG.
Denn erst Darlehensförderungsverträge über 22 Millionen Euro sowie Landeszuschüsse über knapp 1,5 Millionen Euro von der landeseigenen IBB bewahrten die Genossenschaft vor einer Pleite. Ein tiefer Griff in die Fördertopf, aber ging der mit rechten Dingen zu?
Bezirksaufsichtsverfahren der Innenverwaltung ist abgeschlossen
Geisels Behörde führt die Aufsicht über die Bezirke und untersucht Beschwerden. In der Affäre um die Diese eG hatte eine CDU-nahe Rechtsanwältin eine Vielzahl von Beschwerden eingereicht. Diese waren zunächst vom Rechnungshof mit dem Ergebnis geprüft worden, dass in Friedrichshain-Kreuzberg gegen Verwaltungsvorschriften verstoßen worden war, um das waghalsige Immobiliengeschäft zu erzwingen.
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Nun liegt auch das Ergebnis des Bezirksaufsichtsverfahrens der Innenverwaltung vor. Noch ist es aber nicht von den fachlich zuständigen Verwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung mitgezeichnet, weshalb Geisel nur in groben Zügen erkennen ließ: Konsequenzen hat keiner der beiden Bezirke zu befürchten, weil sie sich gleichsam reuig zeigen.
Sie hätten dem Senat gegenüber versichert, künftig die Leistungsfähigkeit eines Käufers, zu dessen Gunsten sie das Vorkaufsrecht ausüben, ordentlich zu prüfen. Außerdem hätten sie sich verpflichtet, „keine Einzelentscheidungen“ mehr zu treffen bei Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern das ganze Bezirksamt zurate zu ziehen sowie das Rechtsamt und den Haushaltsbeauftragten.
Rückabwicklung der Käufe fast ausgeschlossen
Geisel sagte aber auch, dass seine Verwaltung ohnehin nur über einen begrenzten Spielraum für disziplinarische Maßnahmen verfüge. Seit der Bezirksreform im Jahr 2001 gebe es kein fachliches Durchgriffsrecht des Senats mehr auf die Bezirke. Eine Rückabwicklung der Käufe etwa sei ein derart „schwerwiegender Eingriff“ in die Rechte Dritter, dass er fast ausgeschlossen sei. Ein mögliches strafbares Handeln sei ihm nicht bekannt, dessen Prüfung sei ohnehin nicht seine Aufgabe, sondern die der Staatsanwaltschaft.
Hinzu komme, dass seine Verwaltung von der Beschwerde erst Kenntnis bekommen habe, als die Immobilienkäufe schon vollzogen worden waren. Letztlich ziele das Aufsichtsverfahren also darauf, „wie Bezirke es künftig besser machen können“ – und hier sei gleichsam mit den Zusagen der Baustadträte das Nötige getan.
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Zumal aus Sicht des Innensenators mildernde Umstände gelten: Die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten einer Genossenschaft sei seinerzeit „noch kein eingespieltes Verfahre“ gewesen und die Prüfung unter hohem Zeitdruck erfolgt.
Rechnungshof sah "pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten"
Der Rechnungshof hatte bei der Prüfung des Ankaufs der sechs Wohnhäuser durch die Diese eG ein „pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten“ durch Baustadtrat Florian Schmidt festgestellt. Der Grünen-Politiker habe nicht ausreichend geprüft, ob die kurz zuvor gegründete Genossenschaft überhaupt die finanziellen Voraussetzungen für den Erwerb der Immobilien mitbringt.
Das tat sie nicht: Die Diese eG konnte in zwei Fällen den Kaufpreis zunächst nicht bezahlen. Dadurch sei dem Bezirk ein Schaden über 270<ET>000 Euro entstanden. Dabei sei in einem bezirksinternen Hinweis die finanzielle Klärung angemahnt worden – vergeblich. Nun bestehe ein Haftungsrisiko über 27 Millionen Euro.
Ex-Senatorin Lompscher "persönlich an keiner Entscheidung beteiligt"
Die frühere Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher sagte, sie sei „persönlich an keiner Entscheidung beteiligt“ gewesen zur Förderung der umstrittenen Genossenschaft. Sie sei auch in „keinem Gremium“ tätig gewesen, das mit den Millionenzuwendungen befasst war.
Entschieden darüber habe der „Bewilligungsausschuss“ der landeseigenen Förderbank IBB. In dieser habe zwar die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Vorsitz. Der sei aber mit Mitarbeitern der „Fachebene“ besetzt. Als Senatorin habe sie im Aufsichtsgremium der IBB gesessen, der die strategischen Themen der Förderbank bearbeite – und keine einzelnen Förderprojekte.
Ex-Senatorin sieht in Förderung der Diese eG eine "politische Absicht" der Koalition
Lompscher zitierte den Koalitionsvertrag und Beschlüsse von Rot-Rot-Grün, in denen die Stärkung des Vorkaufsrechts als politische Absicht formuliert sei. Und dass die Bezirke das Vorkaufsrecht auch zugunsten Dritter – also von Genossenschaften – ausüben sollten.
Die Diese eG sei „die Erste in dieser Art“ gewesen, weil es zuvor keine Genossenschaftsförderung mehr gegeben habe. Insofern sei es „nicht ungewöhnlich“ gewesen, dass deren Finanzierung „individuell zugeschnitten“ wurde. Eine eben erst gegründete Genossenschaft habe naturgemäß „keine breite Eigenkapitalbasis“.
CDU: Wirtschaftlichkeit der Diese eG "so oft geprüft, bis die Zahlen stimmen"
Für CDU-Obmann Stefan Evers dagegen wurde „so oft geprüft bis die Zahlen stimmten“ – und die unwirtschaftlichen Immobilien förderfähig gerechnet. Die Förderbank IBB habe sich von der Prüfung freistellen lassen. Diese sei im Hause Lompscher fortgesetzt worden. Lompscher rechtfertigte diesen Schritt und betonte: "Die Wirtschaftlichkeit wurde trotzdem umfassend geprüft". Innerhalb eines gewissen Rahmens sei es möglich, "Faktoren" wie die Instandhaltungspauschale "niedriger als die IBB anzusetzen".
FDP sieht "Finanzskandal"
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit soll Lompscher mit Akten konfrontiert worden sei, woraufhin sie sich in "eine Reihe von Widersprüchen" verwickelt habe in Hinblick auf die juristische und wirtschaftliche Bewertung der Diese eG-Förderung durch ihr Haus. Es handle sich "ganz und gar nicht um einen normalen Fall", sagte Evers.
Ähnlich äußerte sich Bernd Schlömer von der FDP zum "Finanzskandal um die Diese eG". Angesichts der Erinnerungslücken der Ex-Senatorin fühle er sich "zurückversetzt in eine Zeit, als es um die versäumte Versteuerung von Nebeneinkünfte" ging, die Lompscher zum Rücktritt zwang.
Linke und Otto sehen die Chancen für die früheren Mieter
Mikael Nelken (Linke) erklärte die Schwierigkeiten mit der neu entwickelten Förderung, die keineswegs für die Diese eG entwickelt worden sei. Auch hätten "Mieter aus sich heraus eine Genossenschaften gegründet - und dass die CDU so etwas nicht mag, ist hinreichend bekannt".
Ähnlich Andreas Otto (Grüne): Die Frage sei doch, "ob Leute, die seit Jahren hier wohnen, sich zusammentun und ein Haus erwerben sollen - oder ob der Senat für sie woanders neu bauen muss."