Baustelle Verkehrspolitik: Berlins Flughäfen: überlastet, unfertig, abgerockt
Wie steht es um die Altflughäfen und die Dauerbaustelle in Schönefeld? Wird es überhaupt etwas mit dem BER? Eine Analyse.
Schönefeld - SXF
Totgesagte leben länger. Auf den alten Schönefelder Airport (SXF), bis 1989/90 Zentralflughafen der DDR, trifft das auf jeden Fall zu. Strenggenommen liegt der Airport ja im Brandenburgischen. Doch schon zu DDR-Zeiten hieß er „Berlin-Schönefeld“, der alte Schriftzug prangt noch am Hauptterminal A, 1976 eingeweiht. Das Gebäude selbst ist abgenutzt. Gleich daneben wurden weitere Abfertigungshallen errichtet, quadratisch, praktisch, billig, zuletzt das Terminal D2. Denn SXF ist Deutschlands am schnellsten wachsender Airport, der Boomer schlechthin.
Kapazität
2016 wurden in Schönefeld elf Millionen Passagiere abgefertigt, das Fünffache im Vergleich zu den 90ern. Im ersten Halbjahr 2017 waren es über sechs Millionen, womit SXF erstmals den Flughafen Köln-Bonn überholt hat. 2017 kalkuliert man schon mit 13 Millionen Passagieren — mit halbwegs normalem Standard könnten acht, neun Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden.
Service-Niveau
Da SXF mit einer Überlast von vier Millionen Passagieren jährlich betrieben wird, sind die Abfertigungsbedingungen desolat. Oder, wie das Level nach dem internationalen Regelwerk heißt: „Suboptimum“, das miserabelste Niveau. Dazu passt, dass SXF kürzlich bei einer Kundenumfrage des Flugportals eDreams zum schlechtesten internationalen Flughafen der Welt gekürt wurde.
Nachtflug
Vom alten Schönefelder Airport darf rund um die Uhr geflogen werden. Aktuell allerdings gilt hier ein Nachtflugverbot, da bis zum Oktober dieses Jahres wegen Bauarbeiten nicht auf der alten Nordbahn, sondern auf der neuen BER-Südbahn geflogen wird. Trotz möglichen 24-Stunden-Betriebs bieten die Airlines bislang keine Flüge in der Nacht von oder nach Schönefeld an. Die letzte Maschine startet um 22.50 Uhr nach Moskau, die erste hebt um 5.15 Uhr nach Paphos (Zypern) ab. Die letzte Maschine landet regulär um 23.30 Uhr in Schönefeld, aus Beirut.
Anreise
Der Schönefelder Flughafen unmittelbar an der Stadtgrenze ist zumindest für die bisherigen Passagierzahlen mit dem Auto über die A 113 oder die Bundesstraße 96a ganz gut erreichbar, wie auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ins Berliner Stadtzentrum kommt man mit den Regionalbahnlinien RE7 und RB14 (Airport Express) in einer halben Stunde. Etwas länger dauert es mit den S-Bahnen (S9, S45).
Perspektive
Bis 2025 bleibt der frühere Honecker-Airport definitiv in Betrieb, er wird parallel zum neuen BER benötigt. Eine Debatte darüber wie um Tegel? Fehlanzeige. Dabei sollte auch SXF – so wie auch der Flughafen Tegel – entsprechend dem Konsensbeschluss von 1996 ausgedient haben, sobald der neue BER eröffnet. Auch der Planfeststellungsbeschluss geht davon aus.
Doch nun ist der alte Airport bis zu den ersten BER-Erweiterungen unverzichtbar. Mindestens. Bislang kollidierte das Hauptterminal mit dem in unmittelbarer Nähe geplanten neuen Regierungsflughafen. Doch mit dem jüngsten Kompromiss, den Flughafengesellschaft und Bundesregierung ausgehandelt haben, scheint sogar ein dauerhafter Weiterbetrieb für sechs bis acht Millionen Passagiere möglich, was den BER entlasten würde.
Flughafen Tegel
Tegel - TXL
Fliegen am Limit. Schon seit Jahren arbeitet der Airport „Otto Lilienthal“ in Tegel an der Belastungsgrenze. Eigentlich hatte der City-Airport, 1974 eingeweiht, am 2. Juni 2012 geschlossen werden sollen. In den Jahren vorher war nur noch das Nötigste gemacht worden. Der Verschleiß ist hoch.
Eine Sanierung würde nach offiziellen Angaben 1,1 Milliarden Euro kosten, allerdings über 20 Jahre. 800 Millionen Euro wäre eine realistische Größe. In diesem Jahr sind Arbeiten für neun Millionen Euro vorgesehen. Ab 1. Januar 2018 müssen alle europäischen Flughäfen über ein EASA-Zertifikat verfügen, eine Art EU-Betriebserlaubnis. Für Tegel wird sie Ende 2017 erwartet.
Kapazität
2016 wurden in Tegel 21 Millionen Passagiere abgefertigt. Er ist damit nach Frankfurt, München und Düsseldorf der viertgrößte Flughafen Deutschlands. Geeignet wäre TXL, um 18,5 Millionen Passagiere nach einfachstem internationalen Standard abzufertigen.
Der Flughafen läuft also mit circa zwei Millionen Passagieren Überlast. Im ersten Halbjahr legte Tegel mit 12,2 Millionen Passagieren noch einmal zu, ein Plus von 1,9 Prozent – trotz Streiks bei Bodendienstleistern, Unwettern, Turbulenzen bei Air Berlin.
Service-Niveau
„Suboptimum“ – nach internationalem Standard. Beschwerden häufen sich. Bis Frühjahr 2017 gingen die meisten Flüge noch einigermaßen pünktlich ab, da war Tegel noch im oberen Drittel der deutschen Airports. Das Chaos um Air Berlin und um den Bodendienstleister führte zum Absturz. Aktuell ist etwa jeder dritte TXL-Flug unpünktlich. Es gibt massive Probleme mit der Gepäckabfertigung. Auch in Flugreise-Bewertungsportalen schneidet Tegel regelmäßig schlecht ab.
Nachtflug
In Tegel gilt ein Nachtflugverbot von 23 Uhr an. Doch es sind allerlei Ausnahmen möglich. Im Juni 2017 etwa starteten und landeten von Mitternacht bis sechs Uhr 49 Maschinen in Tegel. Denn für Post-, Ambulanz- sowie Militär-, Polizei- und Regierungsflüge gibt es keine Restriktionen.
Anreise
Keine S-Bahn, kein Regio, keine U-Bahn fährt hin. Trotzdem hat der Flughafen den Ruf, gut erreichbar zu sein. Mit dem Auto ist man aus dem Stadtzentrum – oder selbst aus Potsdam – in der Regel in einer halben Stunde da. Von und nach Tegel fahren verschiedene Buslinien der BVG. Und natürlich, was wäre Tegel ohne die Berliner Taxis?
Perspektive
Tegel, so der bisherige Plan, soll sechs Monate nach Start des BER schließen. Auf dem 461 Hektar großen Areal soll ein Wissenschafts- und Industriepark mit der Beuth-Hochschule entstehen, tausende Wohnungen gebaut werden. Einen Weiterbetrieb lehnen Flughafengesellschaft, aber auch die BER-Eigner Berlin, Brandenburg und Bund ab, bisher.
Dafür wären auch differenzierte Szenarien denkbar - etwa als kleinerer Zivilflughafen (zehn Millionen Passagiere, nur Tagflüge), oder befristet für drei, fünf oder zehn Jahre. Immer wieder wird Tegel auch als Regierungs- und Businessflughafen ins Spiel gebracht, was mit den Plänen der Beuth-Hochschule kompatibel wäre. Die Hauptstadtregion hätte, für Not- und Terrorfälle, unabhängig von Schönefeld eine dritte Startbahn.
Flughafen Berlin-Brandenburg
Bald Flughafen - BER
Aus dem „modernsten Flughafen Europas“ wurde eine Blamage in der Welt. Der Airport „Willy Brand“ ist elf Jahre nach dem ersten Spatenstich immer noch eine Baustelle. Und niemand kann seriös prophezeien, wann er in Betrieb geht. Vor Ende 2019, der aktuelle Stand, wird das nichts. Gegenüber der Europäischen Investitionsbank (EIB) ist eine Eröffnung bis spätestens 30.September 2019 zugesagt worden.
Doch intern kalkuliert man bereits mit 2020. Die größten Probleme sind die Sprinkleranlage und die Automatiktüren. Danach folgt der gefürchtete Gesamttest aller Systeme im Verbund. Ohne diese „Wirk- und Prinzipprüfungen“ wird es keine Freigabe für den BER geben. Sollten dort neue gravierende Probleme auftreten, könnte der BER nicht einmal 2020 in Betrieb gehen. Oder vielleicht gar nicht.
Kapazität
Der BER ist zu klein, nicht nur wegen des rasanten Passagierwachstums. Schon die Planung hatte diesen Mangel: Im angeblichen Single-Airport, so wie er jetzt steht, können maximal 22 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden — kaum mehr als in Tegel. Die bis 2013 behauptete Kapazität von 27 Millionen Passagieren war eine von vielen BER-Lügen. Nadelöhre sind zu wenige Check-In-Schalter und die zu kleine Gepäckanlage. Doch schon 2017 erwartet Berlin 34 Millionen Passagiere, Tendenz nach allen Prognosen weiter steigend. Würde man den BER wie einst geplant eröffnen, TXL und SXF schließen, könnte ein Drittel der Passagiere nicht abgefertigt werden.
Service-Niveau
Die Flughafengesellschaft plant für den BER mit dem internationalen Standard „Optimum“. Wie das bei einem Start unter Volllast gelingen soll, ist ein Rätsel.
Nachtflug: Es gilt ein Nachtflugverbot von Mitternacht bis 5 Uhr. In den Randstunden davor sind Flüge limitiert. Brandenburg fordert nach einem erfolgreichen Volksbegehren ein Flugverbot von 22 Uhr bis sechs Uhr.
Anreise
Mit dem Auto wird die Anfahrt strapaziös, auf der Stadtautobahn nach Süden sind Staus programmiert. Unter dem BER-Terminal ist ein Flughafenbahnhof, wo stündlich elf Regios und S-Bahnen abfahren bzw. ankommen sollen. Der Flughafenexpress über die Dresdner Bahn wird erst 2025 fahren. Ob das alles reicht, ist umstritten.
Perspektive
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat jüngst einen „Masterplan 2040“ präsentiert, wie der BER bis 2040 auf eine Kapazität von 55 Millionen Passagiere erweitert werden könnte. Und zwar vor allem durch einfache neue Abfertigungshallen im „Midfield“ nahe dem Hauptterminal, sodass – ähnlich wie beim TXL – ein Karree um den Willy-Brandt-Platz entstünde.
Zuerst soll bis Frühjahr 2020 ein neues Terminal (T1E) neben dem BER-Nordpier gebaut werden, das zudem verlängert wird. Auch soll die BER-Gepäckanlage erweitert werden. Die Kosten des Ausbauprogrammes wurden grob auf 2,3 Milliarden Euro kalkuliert, davon sind lediglich 700 Millionen Euro in den Etats geplant. Und die Flughafengesellschaft schreibt wegen des BER tiefrote Zahlen, ist nicht kreditwürdig. Neue Kapitalspritzen lehnen Berlin, Brandenburg und der Bund ab.