Keine Masken bei Kundenbesuchen: Berlins Firmen fällt die Einhaltung der Corona-Regeln zunehmend schwer
Möbelpacker kommen ohne Schutzmasken, Arbeitgeber halten ihre Leute weiter im Büro: In Berlin wird die Corona-Müdigkeit immer deutlicher sichtbar.
Mitte vergangener Woche, irgendwo in Berlins Mitte. Der genaue Ort soll hier nicht genannt sein, weil die betroffenen Herrschaften dann ihre Jobs verlieren könnten. Zumindest würden sie abgemahnt. Jedenfalls steigen drei Männer, einer stärker als der andere, aus dem Lkw des Möbelhändlers Höffner und wuchten Teile einer Sofagarnitur das Treppenhaus hoch. „Super nett“ seien sie gewesen, berichtete die Kundin. Doch Mund-Nasen-Schutz hätten sie nicht getragen, auch nicht beim Aufenthalt in ihrer Wohnung – obwohl der anstrengende Teil der Arbeit da längst erledigt war.
Thomas Dankert, Geschäftsführer von 18 Höffner-Filialen in Deutschland, zeigt sich am Telefon ein wenig zerknirscht. Dass die Monteure beim Schleppen auf den Schutz verzichten, könne er noch nachvollziehen. „In der Wohnung müssen Sie aber selbstverständlich Schutz tragen. Und das tun unsere Leute auch, spätestens wenn man sie danach fragt“, sagt Dankert. Leider täuscht er sich in dem Punkt. „Sind ja gleich weg“, habe der maskenlose Mitarbeiter gemurmelt, als er sich zum Ausfüllen des Vertrags an den Tisch der Kundin setzte.
Erwachsene lassen den Schutz schleifen - für Kinder aber gibt es kaum ein Entkommen
Niemand kann es beweisen, es gibt keine belastbare Statistik: Aber es gehört nicht sehr viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass sich Szenen wie diese jeden Tag tausendfach abspielen in Berlin. Alle sind ja müde vom Maske tragen, vom Abstand halten, Kunden und Dienstleister gleichermaßen. Aber während manche Erwachsene im Kampf gegen Corona auch mal fünf gerade sein lassen, gibt es für viele Kinder in der Notbetreuung der Schulen kein Entkommen. Sie atmen teils über Stunden nur durch Stoff hindurch, dürfen auf einigen Schulhöfen nicht mal ein Spielgerät berühren.
Tagesspiegel-Redakteure trafen dieser Tage auf Mitarbeiterinnen von Heizungsablesediensten, die sich mit vollem Schutz täglich durch Dutzende Mietwohnungen quälten. Und Vertriebsmitarbeiter, die weiter an Haustüren auf Kundenfang gehen (siehe Kasten). Und auf Handwerker, die ihre Position ausnutzen, wenn sie wie selbstverständlich ohne Mund-Nasen-Schutz anrücken. Sie ahnen wohl, was Kunden noch mehr fürchten als Corona: „Wird er meine Geschirrspülmaschine richtig anschließen, wenn ich ihn jetzt zum Maske tragen nötige?“ Dann lieber Fenster aufreißen, selbst Maske tragen und den Mund halten.
Verantwortlichen wie Höffner-Manager Dankert bereiten Masken-Muffel Sorgen. Er hatte schon im ersten Lockdown massenhaft Mund-Nasen-Schutz verteilen lassen. Mittlerweile würden seine Leute bis zu drei mal die Woche auf Covid-19 getestet. „Wir haben nämlich ein elementares Interesse daran, dass die Maßnahmen wirken und wir weiter ausliefern dürfen.“ Nichts wäre schlimmer, als wenn die Pandemie noch mehr um sich greift und die Politik das Geschäftsleben weiter herunterfährt.
In Berlin gelten vorerst die Regeln des Bundes zur Homeoffice-Pflicht
Das weiß man auch im Senat und hat deshalb vorerst keine eigene Verordnung zur Homeoffice-Pflicht erlassen. Man werde eine Arbeitsgruppe sowie eine Hotline einrichten und in den nächsten zwei Wochen beobachten, ob die Verordnung des Bundes ausreichend sei, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Die Senatsarbeitsverwaltung werde dann eine Auswertung vorlegen, auf deren Basis man gegebenenfalls neu entscheiden werde, kündigte sie an.
Somit gelten in Berlin seit vergangenem Mittwoch die Corona-Arbeitsschutzregelungen des Bundes. Denen zufolge müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern unter anderem die Möglichkeit anbieten im Homeoffice zu arbeiten – soweit dem keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.
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Diese vagen Formulierungen provozieren Frust. Wer entscheidet denn, was nur im Büro geht – und was auch zu Hause? Die Redaktion erreichten Hinweise aus der Verwaltung des landeseigenen Klinikbetreibers Vivantes, der an vorderster Front im Corona-Kampf steht. Er lasse auch Mitarbeiter der Verwaltung, die keinen Patientenkontakt haben, nicht ins Homeoffice, lautet ein Vorwurf. Eine Vivantes-Sprecherin will das so nicht stehen lassen: 2250 Mitarbeitende würden aktuell über externe Zugangsmöglichkeiten zum mobilen Arbeiten verfügen. Doch einige IT-Funktionen seien über externe Zugänge teilweise nur eingeschränkt möglich, gewisse Download-Möglichkeiten nicht gegeben. „Auch ist der Umgang mit verschiedenen amtlichen Dokumenten und Akten – zum Beispiel im Personalbereich – immer noch täglich erforderliche Praxis, die teils nicht ins Homeoffice verlagert werden kann und darf“, sagt die Sprecherin.
Umgang mit Patientendaten - ein beliebtes Argument gegen das Homeoffice
Ähnliches hört man bei der Immanuel Dienstleistungen GmbH in Wannsee, einer Tochter des evangelischen Sozialwerks Immanuel Albertinen Diakonie. Auch dort würden Mitarbeiter offenbar gern mehr und öfter zu Hause arbeiten. Eine Sprecherin des Unternehmens rechnet detailliert vor, dass jede und jeder mehr als zehn Quadratmeter Bürofläche Platz habe und auch der Abstand von mindesten 1,5 Metern jederzeit gewährleistet sei. Auch sie verweist auf „zwingende gesetzliche Vorgaben zum Patientenschutz und zum Umgang mit sensiblen Daten“ und beteuert: Soweit Arbeitsvorgänge und Vorgaben es erlauben, können Mitarbeitende „flexibel“ arbeiten.
65 Kontrolleure des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LaGetSi) ziehen nun durch die Büros der Stadt, um die Lage zu peilen – und gegebenenfalls hohe Bußgelder zu verhängen. „Wir empfehlen, mit den Schwerpunktkontrollen in den Senats- und Bezirksverwaltungen zu beginnen, um zu überprüfen, ob die Standards, die von den Unternehmen erwartet werden, auch auf Behördenseite umgesetzt werden“, ätzte Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer. Aber im Ernst: Er halte es für „verfehlt“, eine Drohkulisse gegenüber den Unternehmen aufzubauen.
In Teilen der Opposition springt man den zunehmend genervten Arbeitgebern bei. So sei die „sogenannte Homeoffice-Pflicht“ aus drei Gründen lebensfremd, meint Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus. Erstens hätten Unternehmen selbst natürlich ein Interesse, ihre eigenen Mitarbeiter zu schützen. Gerade jetzt. Zweitens seien Anforderungen an den Heimarbeitsplatz inzwischen so groß, dass es eben nicht reiche, den Mitarbeitern einfach einen Laptop mit nach Hause zu geben. Und drittens würden die Mitarbeiter bei der Rückverfolgung der Corona-Kontakte gebraucht.
„Eine Stadt, die bei der Digitalisierung komplett versagt hat und die ihre eigenen Mitarbeiter nicht ansatzweise in die Lage versetzt hat, von zu Hause arbeiten zu können, schürt natürlich Politikverdrossenheit“, glaubt Gräff.
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