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Auf Distanz. CDU-Landeschefin Grütters möchte die Affäre schnell aufklären. Doch der Streit zwischen Wellmann und Heilmann geht weiter.
© Sven Darmer/Davids

Grütters und die Fälschungsaffäre: Berlins CDU-Chefin ist in der Krise wieder zaghaft

In der Fälschungsaffäre in Steglitz-Zehlendorf hält sich Monika Grütters auffällig zurück. Viele sehnen sich nach einem Machtwort der Landesvorsitzenden, denn die Schlammschlacht hat erst begonnen.

Sie wird es geahnt haben. Im September schon, als ihre CDU bei der Abgeordnetenhauswahl von den Berlinern abgestraft wurde und zurück musste in die Opposition. Monika Grütters, 55, kennt doch ihren Landesverband, der wie kein anderer in der Union jeden Krach zur Eskalation treibt – jedenfalls wenn er nicht mit in der Regierung sitzt.

Und in Krisen, das weiß Grütters seit Jahren, produziert die Berliner CDU vor allem Intrigen. Gerade ist es wieder soweit. Nur dass sie diesmal als Landeschefin mitten drin sitzt im Machtzentrum einer Partei im Kriegszustand.

"Was sollen denn die Wähler von diesen Politikern denken?"

Die Schlacht wird an einem verregneten Sonntagnachmittag im Cole-Sports-Center am Hüttenweg in Dahlem ausgetragen. Hier sollen die Mitglieder der Südwest-CDU ihren Direktkandidaten für den Bundestag nominieren. Die beiden Kontrahenten schauen sich nicht an, gehen sich aus dem Weg. Kreischef Thomas Heilmann, blauer Anzug, hellblaue Krawatte, und der Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann, der bisher das Direktmandat hält – ebenfalls blauer Anzug, blauer Schlips mit weißen Punkten – schütteln sich lediglich kurz nach 15 Uhr die Hand und gehen wortlos auseinander.

Beide stehen im Zentrum einer Fälschungsaffäre, die die CDU erschüttert und mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft beschäftigt. Dies hier soll ihr Showdown werden, beide wollten sich den Mitgliedern erklären, doch die machen den beiden einen Strich durch die Rechnung – 694 Parteimitglieder stimmten ab, dass sie keine Aussprache wollen. „Wir haben keine Lust mehr auf diese Querelen. Was sollen denn die Wähler von diesen Politikern denken“, sagt eine Mittsechzigerin, die sich mit anderen Christdemokraten über den „Zustand“ im Kreisverband unterhält. Der Versuch von Wellmann, noch vor der Wahl eine persönliche Erklärung abzugeben, wird von der Sitzungsleitung abgelehnt. „Das gibt's erst nach der Wahl“, sagt Sitzungsleiter Christian Goiny.

Der amtierende CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann (r) sowie Ex-Justizsenator und Kreisvorsitzender Thomas Heilmann stehen zu Beginn der Mitgliederversammlung der CDU Steglitz-Zehlendorf zusammen.
Der amtierende CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann (r) sowie Ex-Justizsenator und Kreisvorsitzender Thomas Heilmann stehen zu Beginn der Mitgliederversammlung der CDU Steglitz-Zehlendorf zusammen.
© dpa

Es ist eine Ohrfeige der Basis für ihre Parteispitze. Die meisten Mitglieder im größten Kreisverband haben „die Schnauze“ voll, wie ein junger Christdemokrat sagt. Er ist nicht der einzige, der von den Machtkämpfen, die sich seit Jahren im Kreisverband immer wieder zutragen, nichts mehr hören will. Sowohl Heilmann- als auch Wellmann-Unterstützer ärgern sich darüber, dass der Kreisverband nicht zur Ruhe kommt. „Haben die Herren nichts aus der Wahlniederlage von 17,6 Prozent gelernt?“, ärgert sich ein Christdemokrat. Es gehe ihm um die Weiterführung der Politik von Angela Merkel. Aber wie solle man einen Wahlkampf gewinnen, wenn der Kreisverband nicht geschlossen auftrete. „Und da sind wir normalen Mitglieder nicht schuld daran.“

In der Sporthalle mit den schmutzig gelben Wänden geht der Streit zwischen den Kandidaten vor der Wahl weiter. Heilmann saß mit Wellmann noch am Donnerstagabend in einem Vier-Augen-Gespräch und wollte ausloten, ob es eine Verständigung zwischen beiden geben könnte. Die hätte nur eines beinhaltet: den Rückzug beider von der Kandidatur. Heilmann sagt, das habe er gemacht, aber Wellmann nicht. Wellmann sagt, er habe zurückgezogen. Aber diese Entscheidung fiel wohl erst am Samstag – viel zu spät, um die Mitglieder juristisch korrekt zu informieren.

"Das war von Grütters nur ein halbherziges Machtwort"

Das Wellmann-Lager wollte sich als Alternative offenbar für die Landesvorsitzende Monika Grütters als Kompromisskandidatin stark machen. Unklar, ob das im Kreisverband durchsetzbar gewesen wäre, denn viele ärgern sich, dass sich Grütters in der Fälschungsaffäre zu wenig eingesetzt habe. „Das war von Grütters nur ein halbherziges Machtwort“, sagt eine Christdemokratin. Und das in einer Affäre, die auch strafrechtlich noch relevant werden könnte.

In Steglitz-Zehlendorf waren Umfragebögen gefälscht worden, auf denen die Mitglieder für oder gegen die Einführung des Mitgliederprinzips stimmen konnten. Mit dem Ergebnis dieses Stimmungsbilds hätte die Satzung zwar nicht geändert werden können. Politisch aber ist die Fälschung relevant, weil der Kreisverband das weitere Vorgehen vom Ausgang der Befragung abhängig machen wollte. Zunächst kamen überwiegend Ja-Stimmen zurück, dann überwiegend anonyme Nein-Stimmen. Entdeckt wurde die Fälschung vom Kreisgeschäftsführer, als er beim Vergleich von Bögen Farbabweichungen erkannte. Und bis auf einen gefälschten Bogen waren auf allen anderen gefälschten keine Fingerabdrücke festzustellen.

Eine parteiinterne Untersuchung war zu dem Ergebnis gekommen, dass Karl-Georg Wellmann in diese versuchte Manipulation verwickelt gewesen sein soll. Wellmann bestreitet das und wirft wiederum Thomas Heilmann vor, eine Intrige gegen ihn losgetreten zu haben. Inzwischen prüft die Staatsanwaltschaft den Fall.

Monika Grütters forderte, dass der Kreisverband den Sachverhalt „tatsächlich rückhaltlos“ aufklären solle. Es bleibe aber eine Angelegenheit des Kreisverbands, die „unappetitlich und sehr, sehr hässlich“ sei. Es ist das alte Dilemma der Monika Grütters: die Nähe und Distanz zu ihrer Partei.

Die einzige, die das Wahldebakel unbeschadet überstanden hatte

Sie hat sich den Chefposten nicht ausgesucht. Sie war schlicht die einzige, die das Wahldebakel 2016 unbeschadet überstanden hatte. Frank Henkel, Mario Czaja, Thomas Heilmann und die schon vergessene Cornelia Yzer wurden politisch versenkt. Als Henkel kurz nach der Wahl ankündigte, den Landesvorsitz aufzugeben, gab es für Monika Grütters kein Entkommen. Sie muss seitdem mitansehen, wie mit dem Verlust der Macht auch der Verlust jeder Parteidisziplin im wichtigsten Kreisverband, der Südwest-CDU, einherging; und das, was die Parteifreunde Karl- Georg Wellmann und Thomas Heilmann in der vergangenen Woche dort betrieben haben.

Wie groß das Krawallpotenzial der Partei ist, hatte Grütters persönlich Anfang Dezember zu spüren bekommen, am Abend ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden. Sie selbst bekam viel, wenn auch keine euphorische Zustimmung. Doch der von ihr vorgeschlagene neue Generalsekretär Stefan Evers scheiterte im ersten Wahlgang. Im zweiten holte er gerade mal 51,4 Prozent. Das war eine Mahnung der Amts- und Würdenträger der Partei, vor allem der Kreisvorsitzenden, Personalentscheidungen nicht allzu eigenmächtig zu treffen. Grütters hatte Evers’ Vorgänger Kai Wegner, den Kreischef der mitgliederstarken Spandauer CDU, dazu bewegen müssen, das Amt aufzugeben, um ihren Vertrauten Stefan Evers berufen und mit ihm einen neuen Anfang machen zu können.

So ist sie, die Berliner CDU: mal belastbar und solide, dann wieder zickig, intrigant und selbstzerstörerisch. Grütters weiß das seit langem, sie kennt die Partei seit 1989, als sie nach West-Berlin kam.

Auch deshalb hat sie lange Abstand vom Landesvorstand gehalten. Sie hat es nicht darauf angelegt, irgendwo Kreischefin zu werden und lieber an ihrer Entwicklung als Fachfrau für Kultur und Wissenschaft gearbeitet. Es hat eine lange Reihe von Krisen gebraucht, bis sie bereit war, die Führung des Landesverbands zu übernehmen. Abstand erschien ihr sicherer. Und schließlich erreicht sie ja auch ohne hohes Parteiamt in Berlin, was sie wollte. Als Staatsministerin für Kultur, parteipolitisch nur Stellvertreterin des CDU-Landesvorsitzenden Frank Henkel, war Monika Grütters 2011 bis 2016, als die CDU wieder mitregieren durfte, zugleich dabei und in sicherem Abstand.

In der Partei sind sie stolz auf ihre Monika Grütters

Das Wahldebakel der CDU überlebt politisch nur Monika Grütters. Spitzenkandidat Frank Henkel muss sein Amt als Landeschef abgeben.
Das Wahldebakel der CDU überlebt politisch nur Monika Grütters. Spitzenkandidat Frank Henkel muss sein Amt als Landeschef abgeben.
© dpa

Abstand und Nähe – beides gehört zur Beziehung zwischen Monika Grütters und der Berliner CDU. Es ist ein schwieriges Verhältnis, und es gibt gegenseitige Abhängigkeiten. In der Partei sind sie stolz auf ihre Monika Grütters, die es bis in die achte Etage des Bundeskanzleramts geschafft hat. Eine nicht genau bestimmbare Nähe zur CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel kann man annehmen – und auch, dass Grütters von Parteifreunden zum Beispiel am Rand von Kabinettssitzungen hört, wie sich die Berliner CDU jenseits der Stadtgrenzen darstellt. Über Angela Merkel hat Grütters einmal gesagt: „Als Parteivorsitzende kümmert sie sich.“

Für die Berliner CDU repräsentiert Grütters die Bürgerlichkeit, die Stilsicherheit, die Bildung, mit der man renommieren kann in einer Stadt, die sich gern an sich selbst erregt.

Niemand sonst in der CDU-Führung verkörpert das Wunschbild, das die Partei von sich hat, so wie Grütters. So viele von ihrer Art hat die Berliner CDU nicht gewinnen oder aufbauen können in den vergangen Jahren. „Vor Ihnen steht eine Bürgerliche“, sagte Monika Grütters in ihrer Bewerbungsrede als Landesvorsitzende am 2. Dezember, brachte den in einem überfüllten Raum der Kulturbrauerei schwitzenden Parteifunktionären ein Max-Frisch-Zitat über das Produktive an Krisen nahe.

Dabei hat sie selbst immer wieder erleben müssen, wie destruktiv die Berliner CDU mit Krisen umgeht. In der Dauerkrise nach dem Machtverlust von 2001 merkte sie schnell, dass sie in ihrer politischen und sozialen Heimat Wilmersdorf gefährlich nahe am Zentrum aller Intrigen lebte. Das trug den Namen Ingo Schmitt und führte die Partei in eine Serie von personellen Streitereien. Fraktionsvorsitzende hatten damals eine politische Überlebensdauer von zwei Jahren, Spitzenkandidaten kamen und gingen. Grütters, die ihre Erfahrungen mit der Landespolitik gemacht hatte, überließ den alten Westen sich selbst und bewarb sich 2005 im Wahlkreis 085, Berlin-Marzahn-Hellersdorf, um ein Bundestagsmandat.

Sie war keine Konkurrenz für den Mann im Zentrum der Männerpartei CDU

Direkt war das Mandat nicht zu holen. Doch Grütters war vorn auf der Landesliste abgesichert: die Spitzenkandidatin. Das war der Deal: auf Abstand zu Schmitt, der in den Bundestag wollte. Grütters war trotz ihres Ansehens keine Konkurrenz für den Mann im Zentrum der Männerpartei CDU; sie wollte nicht, und sie hätte auch nicht gekonnt – bei diesem Machtverhältnis.

Monika Grütters, praktizierende Katholikin, ging also auf politische Mission nach Marzahn-Hellersdorf, wo die CDU lediglich als Diaspora existierte. Der erste Listenplatz war ein Karriereschub. Grütters gewann das Bundestagsmandat. Vier Jahre später, nach dem nächsten Wahlerfolg, übernahm sie den Vorsitz des Kultur- und Medienausschusses. 2013, noch mal eine Wahl und einen Wahlerfolg später, wurde sie Staatsministerin für Kultur.

Das bedeutete: Sicherer Abstand zum Berliner Politikbetrieb und der in der rot-schwarzen Koalition mäßig erfolgreichen Landespartei – Nähe zu allem, was ihr in Berlin etwas bedeutet, zur Berliner Kultur-Landschaft, der sie als die Frau mit dem 1,6-Milliarden-Etat Gutes tun kann. Zum Beispiel jenen Mann als Gestalter des Humboldt-Forums zu gewinnen, der zuvor das British Museum in London modernisiert hat. Erst im November hatten die Haushaltspolitiker ihren Etat um 280 Millionen Euro erhöht. Grütters sah darin „eine schöne Bestätigung für den gesamtgesellschaftlichen Wert der Kultur“. Es war auch eine Bestätigung ihres Ansehens und ihrer Arbeit.

Seit dem Dezember steht die Kultur eher im Hintergrund. Grütters und Generalsekretär Evers haben mit der Modernisierung der Partei begonnen. Einige hundert Neueintritte sind wenigstens per Brief anzusprechen und zur Mitarbeit einzuladen. Jeden Abend, sagt Grütters, sei sie irgendwo in der Partei unterwegs, bei irgendeiner Veranstaltung. Evers arbeitet an der digitalen Modernisierung. Im Krach zwischen Wellmann und Heilmann legt Grütters großen Wert darauf, dass der moralische Appell an beide ihr einziges Mittel war.

Am Ende gibt es nur Verlierer

Im Cole-Sports-Center sind die Stimmen derweil ausgezählt. Thomas Heilmann gewinnt die Kandidatur mit deutlichem Abstand. Doch in Wahrheit kennt der Vorgang nur Verlierer. Denn während die CDU im Südwesten noch zankte, wurde Martin Schulz mit 100 Prozent zum SPD-Chef und per Akklamation zum Kanzlerkandidaten gewählt.

Sollte es am 24. September auf ein paar tausend Stimmen für Merkel – oder für Schulz – ankommen, gehören Wahlkreise wie der in Steglitz-Zehlendorf zu denen, wo Wahlen gewonnen oder verloren werden. Karl-Georg Wellmann hatte hier 2013 mit 42,5 Prozent die Kandidatin der SPD mit 29,2 Prozent weit hinter sich gelassen. Denselben Wahlkreis aber hatte vor Wellmann lange Zeit der SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter gehalten.

Und auch Monika Grütters kann sich nicht darauf verlassen, dass nach der Kampfabstimmung nun Ruhe einkehrt. In der Einladung stand eine falsche Adresse: Hüttenweg 34 statt 43. Der kleine Zahlendreher könnte Stoff für die nächste juristische Auseinandersetzung im Südwesten liefern.

Noch bevor das offizielle Ergebnis bekannt wird, stürmt der unterlegene Wellmann aus dem Saal.

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