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Das sanfte Wachstum zeigt sich vor allem in den sanierten Stadtkernen wie hier in Luckenwalde.
© dpa/Ralf Hirschberger

Stadtflucht nach Brandenburg: Berliner zieht es in die Kleinstädte

Zuwanderung gibt es nicht nur im direkten Umland von Berlin. Den erweiterten Metropolenraum finden besonders Familien interessant. Und Senioren.

Hinterm Berliner Horizont geht’s weiter – zumindest mit dem Wachstum. Denn nicht nur die Bevölkerungszahl im direkten Umland steigt, sondern auch im sogenannten zweiten Ring. Mittlerweile weisen Städte wie Jüterbog, Neuruppin, Eberswalde, Luckenwalde oder auch Brandenburg/Havel positive Wanderungssalden mit Berlin auf. „Es ziehen mehr Menschen aus der Hauptstadt dorthin als umgekehrt“, sagt Henning Boeth vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner. Die Regionalforscher sprechen von einem „sanften Wachstum“ und von einem „erweiterten Metropolenraum“.

Bereits seit Anfang der 1990er Jahre profitieren Klein- und Mittelstädte im direkten Umland von der Zuwanderung aus Berlin. Die Bundeshauptstadt wächst inzwischen selbst zwar auch, aber der Zuzug stammt vorwiegend aus internationaler Zuwanderung. Gleichzeitig gibt es den Trend, dass Berliner wieder in den suburbanen Raum ziehen, nachdem das Wachstum im Speckgürtel um den Jahrtausendwechsel etwas zurückgegangen war. Jetzt kommt, wie aus den Daten des Landesamts für Statistik hervorgeht, die Zuwanderung in den zweiten Ring hinzu. Ein absolutes Bevölkerungswachstum ist hier zwar aufgrund der geringen Geburtenrate noch die Ausnahme, aber es kommen meist mehr Menschen, als wegziehen.

Wir sind 2017 als geborene Charlottenburger aus Spandau in die Nähe nach Tangermünde gezogen. [...] Uns ist es völlig verständlich, dass das Umland die Menschen anzieht. Für eine Wohnung mit Terrasse und 100qm für 460 € warm würden wir in Berlin bestimmt nichts finden.

schreibt NutzerIn turitar

Zahl der Fortzüge überwiegt nur in Frankfurt und Cottbus

Zwischen 2005 und 2017 ging es fast ungebrochen mit Luckenwalde, Brandenburg/Havel, Eberswalde, Jüterbog und Neuruppin nach oben. Die Zahl der Fortzüge überwiegt nur in Frankfurt (Oder) und Cottbus, aber auch hier mit rückläufiger Tendenz. Immerhin konnte Cottbus 2017 die höchste Zahl der Zuzüge aus Berlin verzeichnen (454, was allerdings durch 603 Fortzüge einen negativen Saldo ergab).

Den besten Wert 2017 – Daten für 2018 liegen noch nicht vor – wies Eberswalde mit 431 Zuzügen bei 274 Fortzügen auf. Die Städte profitieren aber auch von Neubürgern aus dem eigenen Umland. „Hier ist ein eindeutiger Trend zu erkennen, der von den Kommunen auch so bestätigt wird“, erklärt Boeth. „Nach dem Speckgürtel rücken nun einige Städte im weiteren Metropolenraum langsam in den Fokus.“

Das Wachstum ist zwar noch ein zartes Pflänzlein. Immerhin könnte es aber dem Leitbild der „Dezentralen Konzentration“ aus den 1990er Jahren, das seinerzeit Wachstumsdruck von Berlin in den Brandenburger Städtekranz umleiten sollte, wieder zu neuem Leben verhelfen: „Nach Jahren der Schrumpfung 2005 ad acta gelegt, erlebt das Konzept jetzt möglicherweise ein Revival“, meint der IRS-Forscher Manfred Kühn.

Die neue Zuwanderung wird größtenteils von Familien getragen. Bei jüngeren Menschen, die sich in der Ausbildung oder im Berufseinstieg befinden, sieht es allerdings anders aus, lautet Boeths Analyse. Warum es die Familien aus Berlin in den „Städtering“ zieht, lässt sich noch nicht eindeutig sagen.

Steigende Mieten und Wohnungspreise in der Hauptstadt – und in Potsdam – mögen dabei eine Rolle spielen. „Aber dass Menschen wegen der hohen Mieten in Berlin und Potsdam in einen Plattenbau in Eberswalde ziehen, kommt bisher eher selten vor“, sagt Henning Boeth. Ein solcher Verdrängungsprozess lässt sich anhand der aktuell vorliegenden Daten noch nicht beweisen.

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Es braucht auch Arbeitsplätze

Ein anderer Aspekt sind die Rückkehrer. Einst wegen der Arbeit in den Westen Deutschlands oder in die Großstädte gezogen, strecken zunehmend Menschen die Fühler in die alte Heimat aus. Brandenburger Städte bemühen sich verstärkt um diese Gruppe. „Ein Knackpunkt dabei sind natürlich die Arbeitsplätze“, sagt Forscher Boeth. Wer einen Job in Berlin habe, für den seien Wohnorte wie Eberswalde oder Jüterbog durchaus attraktiv. Ein Rückkehrer aus Westdeutschland kommt hingegen nur, wenn er auch eine Berufsperspektive hat. „Das ist die große Herausforderung, vor der diese Städte noch stehen.“

Für die Städte im zweiten Ring birgt die Entwicklung natürlich eine große Chance. Denn so lassen sich die Innenstädte vor Leerstand und Verfall bewahren. Bei den Zuzüglern sind vor allem die Innenstädte beliebt, die Regionalforscher vermuten, dass die Neubürger eine „gewisse Urbanität“ suchen. „Es geht hier auch um Reurbanisierung, denn gerade die Innenstädte profitieren massiv vom Zuzug und baulicher Aufwertung“, lautet die Einschätzung am IRS. Dies bestätigen Stadtplaner von Brandenburg/Havel und Eberswalde.

Auch in den schrumpfenden Städten Cottbus und Frankfurt (Oder) steigt der Zuzug in die mittlerweile gut sanierten Altstädte. Parallel dazu läuft in den großen Plattenbausiedlungen der in den 1990er Jahren begonnene Abriss weiter. „Es geht um ein Nebeneinander von Wachstum in den Innenstädten, das gemanagt werden muss, und einer Schrumpfung der Bevölkerung in Randlagen, weshalb hier weiter zurückgebaut wird“, sagt Boeth.

Urbane Wohnformen werden geschaffen

Das sanfte Wachstum ist den Kommunen in der Regel willkommen. Nun braucht es Stadtentwicklungskonzepte, die das aufgreifen. So will man etwa in Brandenburg/Havel eine Zuzugsstrategie entwickeln und den Wohnungsbestand an die neue Nachfrage anpassen. Es wird versucht, urbane Wohnformen zu schaffen. Letztlich haben die Regionalforscher zwei Herausforderung ausgemacht: „Erstens sind die aktuellen und potenzielle Zuzügler zielgerichteter als bisher anzuwerben und ihre Motive zu beleuchten; und zweitens in Forschung und Praxis zu einem Stadtentwicklungsnarrativ zu kommen, in welchem Brandenburg mehr ist als ein Überlaufbecken für Berlin.“

Neben dem Zuzug von Familien gibt nach Erkenntnissen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) noch eine andere Wanderungsbewegung, vor allem entlang der sogenannten Oder-Schiene. Senioren interessieren sich für ein Leben in Schwedt, Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder), wo sie im Alter die nötige Infrastruktur bei erschwinglichem Wohnraum und niedrige Lebenshaltungskosten vorfinden. Diese Entwicklung ist bereits im sächsischen Görlitz zu beobachten.

Die Stadt verzeichnete in den vergangenen Jahren verstärkt Zuzug von Senioren sogar aus ganz Deutschland: Die restaurierte Altstadt mit vergleichsweise günstigen Mieten und kulturellem Angebot sei attraktiv, sagt Sozialforscher Boeth. Mittlerweile gebe es ein kleines Wachstum, starker Zuzug sei dort aber aufgrund der Randlage bislang ausgeblieben. Aktuell wirbt die Stadt daher mit dem Projekt „Stadt auf Probe – Wohnen und Arbeiten in Görlitz“ um Neubürger mit einer Tätigkeit, die nicht an einen Standort gebunden ist.

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Jan Kixmüller

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