Spendenprojekt des Tagesspiegel: Berliner Wohnungslose entwickeln sich zu Künstlern
Im Zentrum „Gitschiner 15“ in Berlin-Kreuzberg entwickeln Bedürftige ihre Kreativität, auch in der Coronakrise. Gegenseitiger Respekt gehört zur Philosophie.
In diesem Jahr bittet der Tagesspiegel- Spendenverein „Menschen helfen!“ um Unterstützung in der Coronakrise. Stellvertretend für die ausgewählten 30 Initiativen in Berlin, Brandenburg und der Welt stellen wir zwölf Projekte in der Spendenserie bis Jahresende vor. Heute: „Gitschiner 15 – Zentrum für Gesundheit und Kultur gegen Ausgrenzung und Armut“.
Reinhard (Name geändert) streichelt die Tasten mit weichem Anschlag, deshalb wehen die Töne jetzt fast sanft durch den Raum. Sein Kopf verschwindet fast hinter den Notenblättern auf dem Flügel. Vier Meter weiter sitzt Christine auf einem Sofa, der Blick konzentriert, die Hände gefaltet, und lauscht.
Sechs Jahre hat sie Klavier studiert, jetzt ist sie 51 und gibt Reinhard Unterricht. Er ist kostenlos, der Unterricht, Christine unterrichtet, weil sie helfen, weil sie jemanden wie Reinhard an die Musik heranführen will, so wie die anderen zwölf Schüler und Schülerinnen, die sie hier in dem früheren Fabrikgebäude in Kreuzberg begleitet. Die Menschen, die am Flügel sitzen, danken dann auf ihre Weise. „Sie gehen mit einem Lächeln“, sagt die Lehrerin.
Es sind Menschen, die im Alltag wenig zu lächeln haben. Ihr Leben hat vor allem düstere Seiten, es sind Obdach- und Wohnungslose, es sind Menschen mit wenig Geld oder dem Wunsch nach etwas innerer Ruhe. Besonders betroffen von der Unsicherheit der Coronakrise, weshalb ihnen die „Gitschiner 15“ helfen will mit Desinfektionsmitteln und Hygiene, Wärme und Essen, Unterstützung an der frischen Luft, in corona-sicherem kreativen Ambiente. Spenden der Leserinnen und Leser des Tagesspiegel können dabei sehr helfen.
Reinhard kommt seit fünf Jahren in die Gitschiner Straße 15. Die evangelische Kirchengemeinde Heilig-Kreuz-Passion hat hier ihr „Zentrum für Gesundheit und Kultur gegen Ausgrenzung und Armut“. Für Passanten ist es nur ein mächtiger Block aus verwitterten roten Ziegelsteinen, für Menschen wie Reinhard ist es eine Insel seelischer Geborgenheit. „Die Atmosphäre hier ist super“, sagt er.
Der Projektleiter sagt: Jeder kann sich entfalten
Die Atmosphäre bestimmt auch ein Mann mit mächtigem grauen Vollbart, der in seinem Büro vor einer Wand mit unzähligen Kunstpostkarten sitzt. Jürgen Horn leitet das Zentrum, Typ gemütlicher Onkel, aber auch ein Diplomphilosoph. Deshalb passt es, dass er sagt: „Wir fragen hier nicht, was fehlt. Wir gehen hier anders an die Sachen ran. Wir sagen, jeder kann etwas, also geben wir ihm die Möglichkeit, dass er sich entfalten kann.“
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Wer in die „Gitschiner 15“ kommt, fühlt sich nicht auf die Rolle des Bittstellers reduziert, der versorgt wird; er kann seine Kreativität entdecken und damit Selbstbewusstsein entwickeln. Dieses Haus hat auch den Anstrich einer Kunstakademie der besonderen Art. Im zweiten Stock sind Räume, in denen man malen, mit Holz oder mit Ton arbeiten kann. Computer stehen bereit, hier lernt man auch, mit dem Handy gute Fotos zu machen. Und im Erdgeschoss, gleich neben dem Café, sind in der Fahrradwerkstatt Räder, Reifen und Ersatzteile aufgereiht.
Die Postkarten in Horns Büro gehören zum kreativen Teil. Die Besucher des Zentrums haben sie gemalt, es sind unterschiedlichste Motive, aber fast alle beeindruckend gut. Der „Alte Fritz“ blickt streng, zwei Hunde neben sich, die Heilig-Kreuz-Kirche schimmert in rötlichem Licht, eine Katze folgt vorsichtig einer Maus, das alles ist auf den Karten zu sehen. Horn lässt sie im Copyshop drucken, sie werden für wenig Geld verkauft.
Der 60-jährige Karl baut mit jungen Männern ein Insektenhotel
Im zweiten Stock sitzt Karl in der Holzwerkstatt auf einem Schemel. Karl kommt seit sechs Jahren, ein kleiner Mann mit verschmitztem Lächeln. Er bastelt an einem Insektenhotel, eine Gemeinschaftsarbeit. Er baut es mit jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz oder keinen Job bekommen haben. Gleich daneben ist das große Atelier mit den Staffeleien, die neben dem Tischen mit den Farbtöpfen stehen. Und irgendwo ist noch Platz für einen Billardtisch. In Regalen lagern Bilder der Besucher.
Die Kunstwerke dienen längst nicht nur der Selbstbeschäftigung. Die Rotarier, die das Zentrum unterstützen, organisieren Auktionen für die Künstler, sie gehen mit ihnen auch in Ausstellungen. Und ihre Jahreshauptversammlung, die halten die Rotarier durchaus auch mal in der „Gitschiner 15“ ab.
[290.000 Leute, 1 Newsletter: Den Tagesspiegel-Newsletter für Friedrichshain-Kreuzberg gibt's hier – voller Debatten, Ideen, Tipps und Terminen: leute.tagesspiegel.de]
Das sind keine symbolischen Termine, das Zusammenleben auf Augenhöhe ist hier Programm. In der „Gitschiner 15“ ist jeder gleich viel wert, hier gilt der gegenseitige Respekt. Man sieht es zum Beispiel bei den Aktionen von „Musethica“. Die Initiative bietet jungen Künstlern die Möglichkeit zu Auftritten. Und eine Bühne ist das Café des Zentrums. Da füllt dann Kammermusik den Raum, da sitzt, sagt Jürgen Horn zufrieden, „der Cellist neben dem Obdachlosen“. Vor Corona fanden die Konzerte fünf Mal im Jahr statt, jetzt natürlich ist Zwangspause.
Aber Corona belastet das Zentrum noch mehr, deshalb wendet sich Horn an die Tagesspiegel-Aktion „Menschen helfen“. Die Raum im Café ist zu begrenzt, die Menschen müssen draußen im Hinterhof sitzen, wo sie dann essen. „Die sollen aber nicht erfrieren“, sagt Horn. Deshalb benötigt das Zentrum Heizpilze, Decken und Alufolien, zudem natürlich auch Geld für das Essen, das kostenlos abgegeben wird. Im Haus sind auch Duschen, jeder kann sie benutzen. Aber wegen Corona müssen die Mitarbeiter nach 30 Minuten Duschen jedes Mal den Raum desinfizieren. Auch das kostet Geld. Und deshalb bitte das Zentrum um Unterstützung durch die Tagesspiegel-Leser.
Die Leser spenden auf für besondere Kunst
Die finanzieren nicht bloß Essen und Desinfektionsmittel, sie spenden auch für besondere Kunst. Ein Besucher hatte mal ein Bild mit farbiger Zahnpasta gemalt. Einer Zahnärztin hat das Bild so sehr gefallen, dass sie es bei einer Auktion ersteigerte. Jetzt hängt es im Warteraum ihrer Praxis.
Das Spendenkonto: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Bitte Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. Auch Onlinebanking ist möglich.