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Die rot-rot-grüne Koalition ist uneins, wie mit den Schulen bis zu den Sommerferien umgegangen werden soll.
© Sebastian Gollnow/dpa

Landesschulbeirat gegen Präsenzunterricht: Berliner Schulstreit – was nun gilt und wie es weitergeht

Die rot-rot-grüne Koalition streitet weiter über eine Rückkehr zur Präsenzpflicht in Berlin. Eltern, Lehrer und Schüler sind dagegen. Ein Überblick.

Kehren Berlins Schülerinnen und Schüler noch vor den Sommerferien geschlossen in die Schulen zurück? Auf diese Frage gibt es bis zum späten Freitagnachmittag keine Antwort. Nach Tagesspiegel-Informationen hatte sich der Senat am Freitagvormittag nicht auf ein einheitliches Vorgehen in der Frage der Schulöffnungen einigen können. Was nun gilt und wie es in der Debatte weitergeht:

Wie ist die politische Lage?

Innerhalb des Senats gab es auch am Freitag unterschiedliche Auffassungen über das weitere Vorgehen, wie der Tagesspiegel aus Senatskreisen erfuhr. Das gilt insbesondere auch für die SPD. Der Regierende Bürgermeister soll nach Angaben von Teilnehmern in der Schaltkonferenz erklärt haben, dass im Laufe des Tages weitere Gespräche erwartet werden. Eine schnelle Einigung ist bislang nicht abzusehen, weil die Fronten verhärtet sind.

Das gilt nicht zuletzt für die Sozialdemokraten. Zwischen Spitzenkandidatin Franziska Giffey auf der einen und Schulsenatorin Sandra Scheeres und Regierungschef Michael Müller auf der anderen Seite besteht noch immer Uneinigkeit über das weitere Vorgehen. Während Giffey mehr Präsenzunterricht fordert, wollen die Senatsmitglieder bei der bisherigen Regelung bleiben. Im Laufe des Tages wollte sich die SPD-Spitze zu einem Treffen zusammenfinden.

Scheeres bekräftigte ihre Haltung am Freitag. „Wir wollen den Unterricht absichern bis zu den Ferien“, sagte sie bei einem Termin in Neukölln. Dabei berief sie sich auch auf die Sorgen der Lehrkräfte und Schulleitungen. Diese befürchteten, dass für ganze Klassen der Unterricht ausfallen könnten, sollte ein Kind positiv sein.

Auch die Linke plädiert für das bisherige Modell. Die Grünen wiederum wollen zumindest teilweise zum vollständigen Präsenzunterricht zurückkehren. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hält an seiner Weigerung fest, die neue Schulhygieneverordnung zu unterschreiben.

Welche Folgen hat die Entscheidung von Senator Behrendt?

Die Justizverwaltung zeichnet im Rahmen einer sogenannten Rechtsförmlichkeitsprüfung solche Beschlüsse mit. Die Bildungsverwaltung hatte daher vor einer vollständigen Schließung der Schulen gewarnt, sollte Behrendts Unterschrift ausbleiben.

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Allerdings könnte die Bildungsverwaltung die Verordnung auch allein und ohne einen Senatsbeschluss durchsetzen. Eine tatsächliche Gefahr, dass die Schulen im Falle des Auslaufens der alten Verordnung am kommenden Montag schließen müssten, gibt es demnach nicht.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) hatte mit seiner Ankündigung, die Unterschrift zu verweigern, Druck auf die Bildungsverwaltung ausgeübt.
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) hatte mit seiner Ankündigung, die Unterschrift zu verweigern, Druck auf die Bildungsverwaltung ausgeübt.
© Annette Riedl/dpa

Wie sehen die Regeln derzeit bis zum Ferienbeginn aus?

Geschlossen sind die Schulen auch aktuell nicht. Es findet Wechselunterricht statt, sodass die Kinder und Jugendlichen in halbierten Gruppen abwechselnd in der Schule lernen können. Notenrelevant ist Unterricht nicht mehr. Ab Montag gelten zudem weitere Lockerungen. So wird die Notbetreuung in den Schulen auf alle Erst- bis Sechstklässler ausgeweitet. Bislang galt das nur eingeschränkt, etwa wenn die Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten.

Auch Projekte im Freien und Exkursionen der ganzen Klassen sind ab Montag wieder möglich. „Ich finde es wichtig, dass die Klassen nochmal zusammenkommen und dann gut ins nächste Jahr starten“, erklärte Scheeres.

Wie hoch ist die Inzidenz bei Kindern?

Am Freitag lagen die Inzidenzwerte im schulfähigen Alter laut Lagebericht der Gesundheitsverwaltung durchweg über 50. Bei den Fünf- bis Neunjährigen kam der Wert auf 53,8. In der Altersgruppe zehn bis 14 Jahre lag die Inzidenz bei 73,4. Die 15- bis 19-Jährigen verzeichneten einen Wert von 63,3.

Wie stehen Eltern, Lehrer und Schüler zu der Debatte?

Die Vertreter und Verbände stehen klar zur Haltung von Bildungssenatorin Scheeres, vorerst nicht zum vollen Präsenzunterricht zurückzukehren. „Die aktuelle Fortführung des Wechselunterrichts stellt für uns einen schmerzhaften, aber richtigen Mittelweg dar“, erklärte der Landesschulbeirat Berlin, das wichtigste Gremium zur Vertretung von Schülern, Schulleitungen und Eltern in der Stadt, in einer Stellungnahme, die dem Tagesspiegel vorliegt.

[Lesen Sie mehr: "Fake" vom Amt: Berliner Gesundheitsverwaltung sagt Impftermine ab, die gar nicht ausfallen sollten (T+)]

Die Entscheidung sei Ergebnis einer Abwägung zwischen den aktuellen Inzidenzwerten in den jüngeren Altersgruppen, der weiterhin hohen Belastung der Eltern, sowie der bisher erreichten Impfquote des Schulpersonals und der kurzen noch verbleibenden Schulzeit. „Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Entwicklung des Infektionsgeschehens bleibt die wichtigste Größe für die von uns allen gewünschte Normalisierung des Schulbetriebs in Verbindung mit bestmöglicher Gesundheit“, heißt es in dem Schreiben.

Sandra Scheeres (SPD), Senatorin für Bildung, will keine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht vor den Sommerferien.
Sandra Scheeres (SPD), Senatorin für Bildung, will keine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht vor den Sommerferien.
© Fabian Sommer/dpa

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält das weiterhin für richtig. „Corona ist nicht vorbei“, sagte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann der Deutschen Presse-Agentur. Schließlich werde auch die Arbeit in Großraumbüros kritisch gesehen. Insofern habe es „überhaupt keinen Sinn, über volle Klassenzimmer nachzudenken, denn die sind nichts anderes als Großraumbüros für Schüler und Lehrkräfte“, sagte Erdmann.

Eltern ziehen wegen Wechselunterricht vor das Verfassungsgericht

Dagegen will eine Bürgerinitiative auf juristischem Wege mehr Präsenzunterricht an Berliner Schulen noch vor den Sommerferien erzwingen. Die Initiative Familie kündigte am Freitag mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Fortführung des Unterrichts im sogenannten Wechselmodell an.

Die erste dieser Beschwerden sollte demnach noch in Tagesverlauf beim Berliner Verfassungsgerichtshof eingereicht werden. Beim Gericht war am Freitag zunächst keine Bestätigung für den Eingang zu erhalten.

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„Wir bedauern zutiefst, dass der Senat in allen gesellschaftlichen Bereichen Öffnungen vorsieht, sich aber nicht durchringen kann, Kindern und Jugendlichen gute Lernbedingungen und ein bisschen Normalität zu ermöglichen“, erklärte eine Sprecherin der Initiative. Schwere Einschränkung des in der Verfassung garantierten Rechts auf Bildung mit organisatorischen Erwägungen zu begründen, sei gesetzeswidrig.

Der Landeselternausschuss (LEA) sieht keine Notwendigkeit für eine schnelle Rückkehr zum Regelunterricht noch vor den Sommerferien. „Wir sehen das nicht als Forderung aus der verfassten Elternschaft“, sagte der Vorsitzende Norman Heise. Zwar nehme der LEA „überdurchschnittlich viel Protest“ wahr, doch das seien „Einzelmeinungen von Eltern und Elternvertretern“, so Heise.

Aus Sicht des Elternvertreters habe sich die Situation dadurch entspannt, dass ab kommendem Montag weitere Lockerungen in Kraft treten. So wird die Notbetreuung in den Schulen auf alle Erst- bis Sechstklässler ausgeweitet. Bislang haben nur Kinder Anspruch auf die pädagogische Betreuung, wenn ihre Eltern bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel weil sie in systemrelevanten Berufen arbeiten.

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