Achtung, Klassenkampf!: Berlins Bildungssenatorin beharrt auf Wechselunterricht bis zu den Sommerferien
Grüne wollen Präsenzunterricht und verweigern Mitzeichnung der neuen Corona-Verordnung. Die Linke ist dagegen. Müller plädiert dafür, weiter vorsichtig zu sein.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) lehnt Regelunterricht vor den Ferien weiter ab. Das sagte sie am Donnerstagnachmittag im Bildungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.
Damit spitzt sich der Streit um die Rückkehr zum Präsenzunterricht in vollen Klassen weiter zu – es könnte sogar zum Unterrichtsausfall kommen. Denn die Grünen wollen unbedingt öffnen, wie es Brandenburg tut, die Linkspartei und Scheeres wollen bis zu den Sommerferien explizit weitermachen im Wechselunterricht. Und die Berliner SPD kämpfte am Donnerstag, nach einem Interview ihrer Spitzenkandidatin Franziska Giffey, um eine einheitliche Position.
Bildungssenatorin Scheeres zumindest setzt öffentlich weiter darauf, dass Schulen bis zum Ferienbeginn am 24. Juni die Möglichkeit nutzen, Ausflüge oder Unterricht im Freien in ganzen Klassenverbänden anzubieten.
Zwar sagte Scheeres, dass wegen der sinkenden Inzidenzen mehr Freiheiten möglich sein müssten, betonte aber deutlich, dass sie die Rückkehr zum Regelunterricht „nach den Sommerferien“ anstrebt. Das sei, sagte Scheeres ungefragt in einem Nebensatz, „auch mit Franziska Giffey besprochen“.
Giffey für Rückkehr zum Regelunterricht, wenn die Zahlen sinken
Die SPD-Spitzenkandidatin hatte sich am Mittwoch in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ dafür ausgesprochen, die Entscheidung gegen eine Rückkehr der Berliner Schülerinnen und Schüler in den Präsenzunterricht bis zu den Sommerferien zu korrigieren. „Wenn wir weiter so eine positive Entwicklung haben, sollte auch in Berlin die Entscheidung noch mal überdacht werden“, sagte die Landesvorsitzende.
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Dafür müssten vor allem die Inzidenzen in den entsprechenden Altersgruppen sinken, sagte Giffey. Zurzeit liegt sie bei schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen zwischen 51 und 64. Wenn sich die Lage weiter verbessere und die Inzidenz auch bei den Kindern unter 50 komme, dann seien selbst ein paar Tage Regelunterricht vor den Sommerferien es wert, darüber noch mal zu diskutieren.
Giffeys Aussagen hat die Debatte um weitere Öffnungen, die zuletzt nur noch von den Grünen am Leben gehalten wurde, am Donnerstag wieder zum groß diskutierten Thema gemacht.
Justizsenator verweigert Mitzeichnung der Verordnung
Ein Sprecher der Justizverwaltung bestätigte dem Tagesspiegel, dass Senator Dirk Behrendt (Grüne) auf Bitten seiner Fraktion die Mitzeichnung der neuen Corona-Schutzverordnung für Schulen verweigert. Die aktuelle Fassung läuft am 31. Mai aus, in der jetzigen Version würde eine Fortschreibung bedeuten: kein Regelunterricht mehr vor den Ferien.
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Das wollen die Grünen, die nach Giffeys Interview wieder Chancen für einen Kurswechsel sehen, nicht mehr hinnehmen und drängen auf weitere Lockerungen. Die Bildungsverwaltung wiederum beharrt auf ihrer Position und spielt auf Zeit: Ein Sprecher sagte, wenn die Verordnung auslaufe, „dann könnte ab Dienstag gar kein Unterricht mehr stattfinden“.
Den gesamten Donnerstag über wurde über Lösungen oder zumindest Kompromisse verhandelt. Das Thema sollte auch am Abend im Koalitionsausschuss besprochen werden.
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Im Bildungsausschuss machte die bildungspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion Regina Kittler deutlich, dass ihre Partei hinter der sozialdemokratischen Senatorin stehe. „Ich möchte hier nachdrücklich das Vorgehen der Senatorin unterstützen“, sagte Kittler.
Kittler wies die Argumentation der Grünen zurück, dass Schulunterricht möglich sein müsse, sobald man ins Theater gehen könne: Weder das ständige Testen noch das Einhalten der Abstände sei in Klassenräumen möglich. Gerade die Lehrer der weiterführenden Schulen seien bislang auch nicht geimpft.
Grüne, FDP und CDU stehen gegen Linkspartei und SPD
Die Fronten sind verhärtet. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Carsten Schatz, sagte dem Tagesspiegel am Donnerstag: „Wir müssen unbedingt einen epidemiologischen Pingpong-Effekt zwischen Schulen und Wohnungen vermeiden und dürfen auch politisch nicht permanent hin und her wackeln.“
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch bekräftigte dagegen die Forderung der Grünen, zumindest den Grundschülern den Präsenzunterricht vollständig zu ermöglichen. Jarasch sagte, die Grünen würden darauf dringen, dass die Bildungsverwaltung ihre Haltung ändere. Berlin, heißt es bei den Grünen, sei das einzige Bundesland, das bei Inzidenzen unter 50 nicht weitere Öffnungen zulasse.
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CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner kritisierte: „Der Koalitionsstreit auf dem Rücken von Eltern und Schülern ist unverantwortlich. Es gibt eine tiefe Sehnsucht nach Normalität im Schulbetrieb.“ Ähnlich positionierte sich auch die FDP.
Bildungspolitiker Paul Fresdorf sagte am Donnerstag: „Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz sieben Tage unter der Schwelle von 35, scheint der Eingriff in das Recht auf Bildung in der Abwägung zu groß.“ Die Bildungsverwaltung wies diese rechtlichen Bedenken zurück.
Müller: „Wollen nach den Ferien wieder ein umfassendes Präsenzangebot machen“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller plädierte am Donnerstagabend mit Blick auf die Debatte um die Präsenzunterricht-Ausweitung noch vor den Ferien dafür, weiter vorsichtig zu sein. Er verwies darauf, dass die Inzidenz unter Schülern in Berlin höher sei als im Durchschnitt. Das könne man nicht wegdiskutieren.
Am Donnerstag betrug die Inzidenz laut Corona-Lagebericht in Berlin insgesamt 34,1. In der Altersgruppe der 5- bis 9-Jährigen lag der Wert bei 50,9, unter den 10- bis 14-Jährigen bei 64,4 und unter den 15- bis 19-Jährigen bei 62,7.
Die Politik habe im Verlauf der Pandemie bislang „alles ausgeschöpft, was wir verantworten konnten für Kinder und Jugendliche“, stellte Müller fest. „Wir haben alle so viel wie möglich umgesetzt an den Schulen und auch in den Kitas.“ Auch in den Zeiten mit extrem hohen Inzidenzen sei mit Augenmaß gehandelt worden. „Wir wollen selbstverständlich nach den Ferien wieder ein umfassendes Präsenzangebot machen.“ In der momentanen Phase sei aber noch Besonnenheit gefragt.
GEW hält zu Scheeres: Rückkehr zum Regelunterricht wäre falsch
Ungewohnte Unterstützung bekommt die Bildungsverwaltung von Gewerkschaftsseite. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält das Festhalten am Wechselunterricht bis zu den Sommerferien weiterhin für genau richtig. „Corona ist nicht vorbei“, sagte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann der Deutschen Presse-Agentur. Schließlich werde auch die Arbeit in Großraumbüros kritisch gesehen. „Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, über volle Klassenzimmer nachzudenken, denn die sind nichts anderes als Großraumbüros für Schüler und Lehrkräfte“, sagte Erdmann.
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Die GEW unterstütze deshalb die Entscheidung der Bildungsverwaltung, am Wechselmodell festzuhalten. „Wohlwissend, dass das für die Kinder und die Familien eine erhebliche Belastung ist.“ Das sei überhaupt nicht infrage zu stellen. „Aber das wird durch eine übereilte Schulöffnung nicht beendet“, sagte Erdmann.
„Man darf bei der Debatte um das Kindeswohl außerdem nicht vergessen, dass in der Schule auch Erwachsene arbeiten, die viel zu wenig geschützt sind“, so der GEW-Vorsitzende. „Gerade in den weiterführenden Schulen gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die noch kein einziges Mal geimpft sind.“ Erdmann hat außerdem auf praktische Schwierigkeiten einer schnellen Rückkehr zum regulären Unterricht hingewiesen: „Eine Schule kann man von heute auf morgen nicht auf Präsenzbetrieb umstellen.“
Auch die Stundenpläne müssten dann neu geschrieben werden - und das sei ein Aufwand, der vor Schuljahresbeginn sonst oft Wochen in Anspruch nehme. „Und wenn das passiert, muss außerdem die Testdichte erhöht werden. Dann reichen zweimal die Woche nicht mehr“, sagte der Gewerkschafter.
„Kurz vor den Ferien noch mit Präsenzunterricht zu starten, macht auch pädagogisch keinen Sinn“, sagte Erdmann. Die Arbeiten seien geschrieben, bald sei Notenschluss - für die wenigen Wochen sei der Aufwand nicht gerechtfertigt. „Die Frage würde sich anders stellen, wenn wir noch acht Wochen Schule hätten, aber die haben wir nicht.“ (mit dpa)