Kritik an Polizeiarbeit bei der Räumung des "Syndikat": Berliner Polizisten sollen Journalisten bei der Arbeit behindert haben
Lässt die Polizei Journalisten frei berichten? Nach der Räumung der Neuköllner Kneipe „Syndikat“ gibt es Kritik von Medienvertretern und einer Gewerkschaft.
Freitagfrüh im Neuköllner Schillerkiez: Während auf der einen Seite einer Absperrung Polizisten die in der linken Szene beliebte Kiezkneipe „Syndikat“ räumen und auf der anderen Seite des Gitters Unterstützer der Kneipe lautstark protestieren, hindern immer wieder Polizisten Journalisten daran, zwischen beiden Seiten hin und her zu wechseln.
Eine Journalistin wird später berichten, ihr sei der Zutritt zum abgesperrten Bereich verweigert worden, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie Steine auf Polizisten werfen würde. Mindestens einem Journalisten wird der Rucksack durchsucht, weil er „irgendwie verdächtig“ aussehe, so berichtet er später.
Ein Polizist soll sich einem Reporter der „taz“ genähert und gefragt haben: „Wie wäre es, wenn ich sie in Ihrem Büro besuchen würde?“ Anderen Journalisten soll vorgeworfen worden sein, sie seien „Influencer“- oder „Gesinnungsjournalisten“. Ihre Namen sind dem Tagesspiegel bekannt.
Bereits im Vorfeld hatte die Journalistengewerkschaft dju vor Einschränkungen der Pressefreiheit in Zusammenhang mit der Räumung gewarnt. In der Regel gebe es in der Zusammenarbeit von Polizei und Journalisten bei Demonstrationen in Berlin keine Probleme, sagt dju-Landesgeschäftsführer Jörg Reichel.
Problematisch würde es allerdings regelmäßig bei Kundgebungen zu Themen wie Gentrifizierung oder Rechtsextremismus. „Im Grunde gibt es von der Polizei Berlin ein Bekenntnis zur Pressefreiheit, das ist unstreitig“, sagt Reichel. „Im konkreten Einsatz hakt es dann aber deutlich.“
Gewerkschaft kritisiert Einrichtung von Sperrzonen
Ein grundsätzliches Problem sei etwa der Verweis auf Verlautbarungen der Pressestelle und die damit oft einhergehende Be- oder gar Verhinderung eigener Recherchen.
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Im Zusammenhang mit der Räumung des „Syndikats“ hatte die Polizei den halben Kiez zur Sperrzone erklärt. „Diese Einrichtung von roten Zonen ist im Grunde mit den Bürgerrechten und der Pressefreiheit nicht vereinbar“, sagt Reichel. Es sei inakzeptabel, wenn Journalisten sich nur unter Polizeibegleitung auf den Straßen bewegen könnten.
Polizeisprecher Thilo Cablitz räumt auf Anfrage ein, dass es Probleme an den Kontrollpunkten gegeben habe. Am Ende hätten allerdings alle Journalisten die Gelegenheit gehabt, ihrer Berichterstattung nachzugehen. Mit Blick auf künftige Demonstrationen kündigte er eine weitere Sensibilisierung der Polizeibeamten an.
Rechtsextreme nutzen gefälschte Presseausweise
Als Grund für die Behinderungen sieht dju-Mann Reichel mangelnde Kenntnisse der Beamten – etwa in Bezug auf die Frage, welche Presseausweise anerkannt sind.
Während Journalisten immer wieder von Ereignisorten abgewiesen würden, würden rechtsextreme Aktivisten gefälschte Presseausweise nutzen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen oder Zugang zu abgesperrten Bereichen zu erhalten.
Als besonderes Problem sieht Reichel die sogenannten Hygienedemonstrationen, bei denen wiederholt Pressevertreter von Teilnehmern attackiert wurden. Hier nehme die Polizei ihre Aufgabe, die Pressefreiheit zu schützen, nicht ausreichend wahr.
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Bei einer Demonstration am 1. August in Berlin seien mindestens zehn Journalisten und vier Fernsehteams belästigt und angegriffen worden, erklärt Reichel. Zum Teil hätten Polizisten daneben gestanden, ohne einzugreifen.
Bekannt geworden war etwa der Fall der ZDF-Moderatorin Dunya Hayali, die Dreharbeiten bei der Demonstrationen abbrechen musste.
Sorge vor Übergriffen bei Hygienedemos
„Wenn man sich als Journalist in letzter Zeit bei rechtsextremen oder Anti-Corona-Demonstrationen bewegt hat, musste man Sorge haben um sein Leib und Leben“, sagt Reichel. Mit Sorge blicke er auf die angekündigte Corona-Demonstration am 29. August.
Ein freier Journalist, der seit Jahren von Demonstrationen berichtet, sagt, dass das Verhalten der Polizei aus seiner Sicht häufig damit zusammenhänge, wie „professionell“ ein Journalist auftrete und wie eindeutig er als ein solcher identifizierbar sei. Hier seien Foto- und Videojournalisten im Vorteil gegenüber Zeitungsjournalisten.
Auch seien die Verhaltensweisen insgesamt stark unterschiedlich. „Das Problem ist, dass es im Grunde vom Zufall abhängt, ob man seine Berichterstattung frei ausüben kann oder nicht“, sagt er.