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Eine Aufgabe für den oder die neue Präsidentin: Viele Schießstände der Berliner Polizei sind marode und machen krank.
© Rainer Jensen/dpa

Gewerkschafterin nach Kandt-Ablösung: Berliner Polizei will "eine Führung ohne Rumgejammer“

Die Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei Kerstin Philipp über die Ablösung von Polizeipräsident Kandt, marode Wachen und die Wünsche der Polizisten. Ein Interview.

Frau Philipp, wie ist die Stimmung am Tag eins ohne Polizeipräsident Klaus Kandt?

Viele sind noch überrascht, einige müssen es verdauen. Es gibt auch Erleichterung – und die Frage, was jetzt kommt, in welche Richtung es geht. Viele haben seit dem vergangenen Jahr darauf gewartet, dass es ein Signal gibt. Aber dieser Paukenschlag, der hat auch uns völlig überrascht erwischt.

Warum, war Klaus Kandt ein schlechter Polizeipräsident?

Nein, das würde ich nicht sagen. Er ist ein Mensch, der das Beste gewollt hat, aber wollen reicht nicht aus. Das war wie in einem Ruderboot, in dem alle am Ruder sitzen wollen und der Kapitän dazu schweigt, in welche Richtung es gehen soll. Und dann vergisst, alle ins Boot zu holen. Er hat sich bemüht, wollte Transparenz und hat geglaubt, er hat es geschafft.

Es gab also zwei Kapitäne, Klaus Kandt und seine Stellvertreterin Margarete Koppers?

Ich will es an einem Beispiel erklären. Vor zwei, drei Jahren hatte mich das Vorzimmer des Präsidenten angerufen und auf einen Kaffee zum Jahresabschlussgespräch geladen. Dann bin ich hoch, empfand das als gute Geste. Doch dann stand ich beiden – Kandt und Koppers – gegenüber. Dabei hatte ich doch einen Termin mit der Behördenleitung. Mir wurde gesagt, sie seien beide die Behördenleitung.

Innensenator Geisel hat erklärt, Klaus Kandt steht für die Probleme für die Vergangenheit. Aber was ist mit Frau Koppers?

Die gehört genauso dazu. Aber Herr Kandt war der Polizeipräsident, es gibt nur einen. Sonst könnte der Innensenator jetzt auch eine Doppelspitze ausschreiben. Man muss nur schauen, wie die Aufgaben in anderen Bundesländern verteilt sind. In Berlin hat sich alles gedreht. Herr Kandt hat als Präsident die Polizei nach außen in Politik und Öffentlichkeit repräsentiert. Frau Koppers hat die Geschicke im Inneren geführt. Doch in voller Verantwortung als Spitze der 24000 Beschäftigten der Polizei steht letztlich der Präsident.

Kerstin Philipp, 55, ist seit 2014 Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. 
Kerstin Philipp, 55, ist seit 2014 Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. 
© promo

Als Herr Kandt, einst bei der GSG9, beim SEK, dann Polizeichef in Brandenburg, 2012 berufen wurde, waren ganz anderen Töne zu hören. Endlich eine harte Hand. Fünf Jahr später vermissten viele, dass er mal mit der Faust auf den Tisch haut.

Stimmt. Damals glaubte man, er ist einer, der ist von unten hochgewachsen, hat die Strukturen und Bedürfnisse der Polizei eingeatmet, der spricht die Sprache der Polizei. Wir hatten gedacht, da kommt einer von uns. Aber dann kam die Kombinationen, dass seine Mitbewerberin, die zuvor kommissarisch Präsidentin war, seine Vize wurde. Wunschdenken und Realität waren nicht kompatibel. Leider hat er dann die meisten der großen Befugnisse, also Personal und Finanzen, an sie abgegeben. Und wer das Geld hat, bestimmt die Musik.

Was wünschen Sie sich von der neuen Polizeiführung?

Eine, die zunächst alles in Frage stellt, die genau hinschaut, nachsteuert – aber nicht 20 Baustellen gleichzeitig macht. Da wären zum Beispiel die Strukturen, ob die Zentralisierung des Verkehrsdienstes, die Entmachtung der Direktionen das richtige war. Vieles muss auf den Prüfstand ohne Ansehen der Personen. Einiges hat einen Beigeschmack, weil Posten vergeben worden sind, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Die Stäbe ...

... also die Führungseinheiten ...

sollten schmaler, die Basis gestärkt werden. Dabei sind die Stäbe aufgebläht worden. Und ich erwarte von der Führung Professionalität, eine gute Zusammenarbeit mit Personalräten und Gewerkschaften ohne persönliches Rumgejammer. Ich habe als Landesvorsitzende die Interessen meiner Mitglieder zu vertreten, da ist meine persönliche Meinung nicht ausschlaggebend. Dies erwarte ich bei professionellem Umgang miteinander auch von einer Polizeiführung, im Interesse dieser Stadt, ihren Bürgern und unserer Kolleginnen und Kollegen. Dann muss ich Kritik äußern können, ohne dass der Polizeipräsident ins Persönliche geht. Bitte kein Kindergarten mehr.

Der Innensenator will an der Führung externen Sachverstand und Berlinkompetenz. Wen wünschen Sie sich an der Spitze?

Wie der Senator eine Kombination. Einen oder eine mit Insiderwissen und eine oder einen, der nicht mit den bisherigen Querelen verbandelt ist und einen Blick von außerhalb mitbringt. Wenn beide dann gemeinsam die Sachen angehen, ist das eine gute Chance.

Bei Polizisten hört man häufig die Sorge vor einem Imageverlust bei der Polizei. Weil niemand durchgreift, weil Führung fehlt. Wollen Sie eine harte Hand?

Es gehört vieles dazu. Ich antworte mit einem Beispiel: An den Fachhochschulen der Polizei in anderen Bundesländern sitzen die Polizeischüler in Uniform. Es fängt bei kleinen Dingen an. Wir sind nicht die Heilsarmee, wie sind die Berliner Polizei. Wir sind aber auch kein Militär, sondern eine demokratische, eine Bürgerpolizei. Die Kollegen müssen wissen, in welche Richtung es geht – und es den Bürgern überzeugend rüberbringen. 

Aber die Polizeiakademie muss deutlich mehr Schüler ausbilden – wegen der Personalnot. Es soll mehr Polizisten geben, Rot-Rot-Grün will aufstocken.

Ja, aber Sie haben nach unseren Wünschen gefragt. Bei der alten Struktur gab es pro Klasse Gruppenführer, die die ganze Zeit dabei waren, die eingegriffen haben, Werte vermitteln konnten, was es heißt, eine Uniform zu tragen und den Staat zu vertreten. Das innere Gefühl muss klar sein. Es gibt die Angst, dass nicht mehr so viele dieses Gefühl haben. Auch weil die Akademie inzwischen eher eine normale Berufsschule ist.

Aber Kandt und Koppers haben doch nur gemacht, was die Politik wollte, auch bei der Polizeiakademie. Trotzdem loben Sie, dass Innensenator Geisel die Reißleine gezogen hat.

Ja, wir brauchen neue Leute. Mehrere Jahre gab es in Berlin keine Einstellungen, wir haben Nachwuchs an andere Bundesländer verschenkt. Jetzt kann man neues Personal nicht einfach aus dem Boden stampfen. Das braucht Zeit. Aber der Senat ist dabei. Die Motivation ist da. Der Beförderungsstau wurde nach jahrelangem Warten aufgelöst. Die Signale des Senats sind gut, wir sind auf dem richtigen Weg. Aber natürlich muss auch Rot-Rot-Grün in den nächsten Jahren nachlegen.

Zu den Dienststellen: Einbrechende Decken, mit Abwasser überschwemmte Sanitäranlagen, Rohrbrüche, braunes Wasser aus den Hähnen. Kaum zu glauben im Jahr 2018. Das klingt wie ...

... wie im Mittelalter. Über Jahre wurde nicht investiert. Irgendwann funktioniert die Flickschusterei nicht mehr. Die BIM, der Immobiliendienstleister, ist dran. Nur geht es nicht in zwei, drei Tagen. Wünschenswert wäre es, wenn die Mitarbeiter darüber besser informiert und mitgenommen werden – von der Polizeiführung. Es geht um Kommunikation.

Die ging auch bei den Schießständen schief. Ein Zusammenhang zwischen Giftstoffen in der Luft und der Erkrankung von Beamten gilt noch nicht als nachgewiesen. Der Innensenator schlingert noch ...

... auch ich hätte da noch ein paar Fragen. Obwohl es noch keinen nachweisbaren Zusammenhang gibt, gibt es einen Fonds für Entschädigungen. Aber nach welche Kriterien werden die Summen festgelegt?

Kandt und Koppers wussten von den Zuständen, schritten aber nicht ein. Nun wird gegen sie ermittelt wegen Körperverletzung im Amt. Viele Beamte wundern sich, weil in der Regel bei Ermittlungsverfahren zu möglichen Straftaten im Amt automatisch Disziplinarverfahren eingeleitet werden.

Normalerweise ist das so. In diesem Fall anscheinend nicht. Wir hoffen, dass bei vergleichbaren Vorwürfen zukünftig bei meinen Kolleginnen und Kollegen zunächst auch die Unschuldsvermutung gilt.

Bei einem Disziplinarverfahren aber hätte Frau Koppers nicht Generalstaatsanwältin werden können.

Als Landesvorsitzende gebe ich ihnen da absolut recht.

Es gab ja einen rührenden Abschiedsbrief von Kandt und Koppers.

Ja prima, die beiden sind die Guten und die anderen sind schuld. Das passt ja zu meinem Kaffeegespräch bei Herrn Kandt vor drei Jahren.

Herr Kandt wurde am Dienstag gesichtet, mit Umzugskartons in der Hand, um seine privaten Sachen abzuholen. Ein unwürdiger Abgang.

Kann man in diesem Fall sicher so sehen, neutral betrachtet ist das für jeden aber ein normaler Vorgang. Jeder der in Pension oder Rente geht, muss seine persönlichen Sachen selbst abholen. So ist das.

Noch mal zur Politik. Der Krankenstand ist hoch, Personal fehlt. Bis zum Jahr 2021 solle es wieder 18.000 Polizisten auf Berlins Straßen sein, statt jetzt 16.700. Die GdP lobt Rot-Rot-Grün. Wir reiben uns verwundert die Augen.

Nein, die Signale des Senats sind gut, das ist genau der richtige Weg. Mich überrascht das auch nicht, ich hätte es mir aber früher gewünscht. Rot-Rot war vor einigen Jahren schon mal in Verantwortung und trägt so einen nicht unwesentlichen Anteil an diesen Missständen. Jetzt braucht es einige Zeit, in der man sich irgendwie durchmogeln muss. Mit Blick auf Klaus Kandt denke ich, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wenn es der Polizei und der Stadt hilft.

Kerstin Philipp, 55, ist seit 2014 Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. Die GdP vertritt 14.000 von insgesamt 24.000 Beschäftigten.

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