Verdächtiger der Anschlagsserie von Neukölln: Berliner Neonazi Tilo P. hatte Bezug zum „Flügel“ der AfD
Der „Flügel“ löste sich auf, weil ihn der Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft hatte. Auch ein Terrorverdächtiger hatte regen Kontakt zur AfD-Gruppierung.
Nicht für die AfD, wohl aber für Innensenator Andreas Geisel (SPD) war das ausgerechnet an die Rechtspopulisten durchgestochene Zwischengutachten des Berliner Verfassungsschutzes eine Katastrophe. Belegt der am Dienstag bekannt gewordene Fall doch, dass es ausgerechnet der speziell von der Partei Die Linke leidenschaftlich kritisierte Nachrichtendienst mit einer seiner ureigensten Aufgabe nicht so genau nimmt: dem Schutz sensibler Informationen.
Tagesspiegel-Recherchen belegen: Auch wenn sich das Zwischengutachten unter anderem mit dem im März des vergangenen Jahres offiziell aufgelösten „Flügel“ der AfD beschäftigt, ist ein Aspekt darin überhaupt nicht aufgeführt. Einer der beiden im Dezember festgenommenen Hauptverdächtigen der rechtsextremistischen Neuköllner Anschlagsserie, Tilo P., hatte Verbindungen zum „Flügel“. Möglicherweise war er sogar „Flügel“-Obmann im Bezirk.
Darauf lassen AfD-interne E-Mails aus dem Januar 2019 schließen, die dem Tagesspiegel vorliegen. Darin schildert der bis zur vorgeblichen Selbstauflösung des „Flügel“ als Obmann der Gruppe in Berlin geltende AfD-Abgeordnete Thorsten Weiß, dass P. Ende 2018 an ihn herangetreten sei. P. habe „angeboten“, im Bezirksverband Neukölln „Werbung für den Flügel zu machen“, schrieb Weiß. Außerdem habe P. „eine Veranstaltungslokalität ausfindig machen“ wollen.
Weiß erklärte in dem an den damaligen Landesvorstand der Partei gerichteten Scheiben weiter, sich zwei Mal mit P. getroffen zu haben, dessen „Vorgeschichte“ – mutmaßlich die Vorwürfe in Bezug auf die Neuköllner Anschlagsserie – aber nicht gekannt zu haben.
P. habe mit dem „Flügel“ „genau so viel zu tun, wie jeder x-beliebige andere Sympathisant der sich dieser Interessensgemeinschaft zugehörig fühlt“, schrieb Weiß weiter und teilte wenig später mit, P. nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen dessen Person persönlich mitgeteilt zu haben, dass er „nichts mehr mit dem Flügel zu tun haben wird“. Eine persönliche Ansprache durch den Obmann des Berliner Flügels an einen „x-beliebigen Sympathisanten“ der Gruppe?
Treffen mit Flügel-Frontmann Andreas Kalbitz
Tatsache ist: Bereits lange vor der Korrespondenz zwischen Weiß und P. gab es mehrere Veranstaltungen mit führenden „Flügel“-Vertretern in Berlin. P. war dabei nicht nur stets anwesend, sondern soll Beobachtern zufolge sogar zum Kreis der Organisatoren gezählt haben und wird in Videoaufzeichnungen ein Mal gar als solcher bezeichnet.
So war es im November 2017, als der damals noch Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz im Bezirk auftrat und ein Jahr später, als unter anderem die ebenfalls dem „Flügel“ zugeordnete Brandenburger Landtagsabgeordnete Birgit Bessin an der Seite von Leyla Bilge in Neukölln auftrat.
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Zur Erinnerung: P. war zum damaligen Zeitpunkt im Bezirksvorstand der Neuköllner AfD und diente sich unter diesen Vorzeichen Weiß an. Posten und Parteibuch verlor P. Anfang 2019, kurz nach Bekanntwerden der Tatvorwürfe gegen ihn in der Anschlagsserie. Aktuell befindet sich P. trotz der Festnahme kurz vor Weihnachten mit Auflagen auf freiem Fuß. Der zweite Hauptverdächtige der Neuköllner Anschlagsserie, Sebastian T., kam am Freitag aus der Untersuchungshaft frei.
Auch Pazderski kannte die Flügel-Verbindungen von P.
Hinzu kommt: Auch Berlins Ex-AfD-Chef und amtierender Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, kannte die „Flügel“-Verbindungen von P. In einer dem Tagesspiegel ebenfalls vorliegenden Mail von Pazderski aus dem Januar 2019 erklärte er: „Es wäre ein fatales Signal, wenn diese Information an die Öffentlichkeit kommen sollte.“ Pazderski kündigte an, er werde „in diesem Zusammenhang auch BH in THÜ informieren, um ihn auf die Brisanz dieser Angelegenheit hinzuweisen“.
Die Kürzel stehen vermutlich für Björn Höcke und Thüringen. Der AfD-Chef im Freistaat war Kopf des „Flügels“ und gilt im parteiinternen Ringen um den Kurs der AfD als Intimfeind Pazderskis. Der Terrorverdacht gegen P. führte beide zusammen. Im an die AfD durchgestochenen Zwischengutachten des Verfassungsschutzes fehlt dazu jedes Wort.