Konsulatsunterricht: Berliner Bezirke fordern Miete von der Türkei
Staatliche türkische Lehrer geben Konsulatsunterricht in deutschen Schulen. Ein Relikt, findet Neukölln - und plant eigene Sprachangebote.
Wenn Woche für Woche rund 2300 Schüler in über 100 Berliner Schulen von staatlichen türkischen Lehrern in Türkisch und Heimatkunde unterwiesen werden, soll der türkische Staat zumindest für die Raummiete aufkommen: Die ersten Bezirke haben entsprechende Beschlüsse gefasst oder sind darüber mit der türkischen Botschaft im Gespräch.
Am weitesten ist die Entwicklung in Mitte. Das Schulamt fordert für 2017/18 rund 30.000 Euro für die Raumnutzung in 16 Grundschulen und beruft sich laut Bildungsstadtrat Carsten Spallek (CDU) auf die Landeshaushalts- und Entgeltordnung. Dort ist festgelegt, unter welchen Bedingungen die Bezirke ihre Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung stellen dürfen. „Der Konsulatsunterricht ist dort nicht aufgeführt“, so Spallek. Im Übrigen stamme die Idee zu der Mietforderung gar nicht von ihm, sondern beruhe auf einem Bezirksamtsbeschluss von 2015. Warum seine Vorgängerin Sabine Smentek (SPD) dies damals nicht umsetzte, konnte Spallek noch nicht herausfinden.
Ob das Geld aus Ankara kommen wird, ist unklar
Auch andere Bezirke überdenken das bisherige Verfahren, darunter Friedrichshain-Kreuzberg. Er sei darüber „mit Vertretern des Konsulates im Gespräch“, teilte Bildungsstadtrat Andy Hehmke (SPD) mit. Die Mietfreiheit solle dort nur noch bis Ende Januar gelten, berichtet der bestürzte Botschaftsrat Cemal Yildiz, der nach eigenen Angaben noch nicht weiß, ob das Geld, dass die Bezirke fordern, aus Ankara kommen würde, falls die Bezirke bei ihren Forderungen blieben. Anders als die Bildungsverwaltung beziffert Yildiz die Zahl der Konsulatsschüler sogar auf „rund 3500 bis 4000 Schüler in etwa 140 Schulen“.
Der Botschaftsrat rechnet mit Elternprotest
Gegen den Bescheid aus Mitte hat die türkische Seite Widerspruch eingelegt. Dass Mitte vorgeschlagen hat, die Miete erst 2018 rückwirkend zu zahlen, hilft Yildiz nicht, weil er nicht weiß, ob es bis dahin eine Finanzierung geben wird, sagte der Botschaftsrat auf Anfrage. Er geht davon aus, dass es Elternprotest geben wird, falls der Unterricht tatsächlich nicht starten kann: In Mitte hätten 500 bis 700 Familien ihre Kinder für den Konsulatsunterricht angemeldet.
„Ein Relikt verfehlter Integrationspolitik"
Es droht aber noch mehr Ärger für die Botschaft: Neuköllns Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) sagte zum Thema Konsulatsunterricht, er sehe die „Einflussnahme“ durch den türkischen Staat kritisch. Zudem sei der Unterricht „ein Relikt verfehlter Integrationspolitik“. Allerdings möchte Rämer vermeiden, dass die Schüler plötzlich ohne muttersprachliche Angebote sind. Sein Ziel: So schnell wie möglich mit Hilfe der Volkshochschule alternative Angebote schaffen. Der aktuelle Antrag des Konsulats auf Raumnutzung sei noch in der Prüfung. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu hatte vehement vor dem Einfluss Ankaras auf die hiesigen Kinder gewarnt - insbesondere angesichts der Entwicklung in der Türkei unter Erdogan seit dem Putschversuch.
Grundlage des Konsulatsunterrichts war 1957 ein Kulturabkommen zwischen der Türkei und Deutschland: Der türkische Sprach- und Heimatkundeunterricht sollte den „Gastarbeiter“-Kindern die Rückkehr in ihre Heimat erleichtern. Diese Grundlage ist längst entfallen, weil die Familien in Deutschland bleiben. Die CDU-Bildungsstadträte von Pankow und Treptow-Köpenick, Torsten Kühne und Cornelia Flader, begrüßten den Vorstoß aus Mitte.
Aus dem Büro von Frank Mückisch, dem CDU-Bildungsstadtrat von Steglitz-Zehlendorf, hieß es am Mittwoch, der Konsulatsunterricht falle bisher noch unter die Rubrik "Muttersprachlicher Unterricht" und werde als solcher "nicht mit einer Nutzungsgebühr für die Räume belegt". Das Schulamt habe allerdings "vor dem politischen Hintergrund" bei der Senatsverwaltung für Bildung nachgefragt "und noch keine abschließende Entscheidung über die Einstufung erhalten". Daher habe der Bezirk "bisher nichts am Status Quo geändert.
Die Finanzverwaltung unterstützt das Vorgehen von Mitte
Die SPD-geführte Finanzverwaltung teilte mit, sie unterstütze das Vorgehen von Mitte „ausdrücklich“. Aus der Bildungsverwaltung hieß es, an etlichen Schulen gebe es „eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit den aus der Türkei entsandten Lehrern und keine Meldungen über „Vorfälle“. Dennoch strebe Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Entwicklung „öffentlicher Alternativangebote“ an.
Die Koalition will generell muttersprachliche Angebote ausbauen. Dies wurde in der Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2016 festgehalten.
Fremdsprachliche Angebote werden ausgebaut - aktuell für Russisch
Am Dienstag unterzeichneten die Bildungsverwaltung und das Russische Haus der Wissenschaften und Kultur eine neue Vereinbarung zur "Intensivierung ihrer Zusammenarbeit". Dabei geht es um gemeinsame Veranstaltungen, Informationsaustausch und Konsultationen sowie um die "Woche der Russischen Sprache". Konkret geplant sind Fortbildung von Lehrkräften, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen und Zertifikatsprüfungen. Zudem geht es in der Vereinbarung um die Teilnahme an Kommissionssitzungen zur Entscheidung für die Auswahl von Studienbewerbern zum Studium an russischen Hochschulen".
Schon in der Vergangenheit habe das Russische Haus immer wieder mit Veranstaltungen und Angeboten Schülern und ihren Russischlehrern die Möglichkeiten geboten, ihre Sprachkenntnisse "anzuwenden oder aufzufrischen", hieß es aus der Bildungsverwaltung.