Flughafen Berlin-Brandenburg: Berlin verpasst beim BER den Anschluss
In Sachen BER agiert Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller defensiv, verwirrend, widersprüchlich - und überlässt Brandenburg die Initiative, nicht nur beim Nachtflugverbot. Dabei wird er dringend gebraucht.
Man mag es kaum glauben: Es geht voran auf der Schönefelder BER-Baustelle. Zum ersten Mal, seit der Potemkinsche Flughafen vor drei Jahren wieder einmal nicht eröffnet werden konnte, seit dem Stillstand danach. Inzwischen kämpfen sich die Räumkommandos durch das Terminalgebäude, um den Kabelsalat hinter den Wänden zu entwirren. Die Detailpläne für den Umbau der Entrauchungsanlage sind jetzt fertig, pünktlich, so dass das Monster hoffentlich gezähmt werden kann.
Ab 2. Mai wird die alte Startbahn im Norden saniert, derweil schon mal die neue Piste im Süden getestet. In aller Vorsicht, bei allem gebotenen Misstrauen: Der immer noch wacklige Fahrplan, nach dem bis Ende 2017 der BER eröffnen soll, wird eingehalten, bisher. Und die Politik?
Die verpasst den Anschluss. Die Bestellung eines neuen Aufsichtsratsvorsitzenden für die Flughafengesellschaft, die Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, verzögert sich und verzögert sich, mindestens bis zum Sommer. Das wichtigste Infrastrukturprojekt für die Region, das wegen fehlender Kontrolle kollidierte, hat weiter keinen regulären Chefaufseher. Der Posten ist seit Dezember vakant, seit Klaus Wowereit (SPD) abtrat. Nicht plötzlich, Monate vorher angekündigt.
Müller im Rückwärtsschritt
Womit man bei Michael Müller (SPD) wäre, dem Nachfolger Wowereits im Roten Rathaus. Am Flughafen ist er das nicht. Da agiert der Regierende verwirrend, defensiv, widersprüchlich, wenn überhaupt. Keine Linie, nirgends. Was ist denn los mit Berlin?
Beispiel Aufsichtsrat: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, oder doch drin bleiben? Müller hat nach dem Eintritt flugs seinen Austritt angekündigt. Er begründete das damit, dass Nachbar-Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der zweite BER-Hauptaktionär, ja auch kein Aufsichtsrat sei (was der seit 2013 nie war) und auch noch alle Minister aus dem Gremium abgezogen habe. Ganz so, als ob sich Berlin sonst davon leiten ließe, was Brandenburg macht. Müllers Ankündigung, aus dem Aufsichtsrat in die Gesellschafterversammlung zu wechseln, blieb seit Monaten: eine Ankündigung.
Beispiel Aufsichtsratsvorsitz: Müller hat das Vorschlagsrecht. Er hat im Februar öffentlich Baustaatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup als Favoriten genannt – und lässt den seitdem im Wartestand hängen, mit dem Risiko, seinen Vertrauten zu beschädigen. Will er ihn?
Beispiel BER-Chefposten: Die Nachfolge für Hartmut Mehdorn, die wichtigste Personalie, überließ Müller gleich Brandenburg. Den neuen Flughafenmanager Karsten Mühlenfeld, den Woidke und Müller gemeinsam gegen den Bund durchboxten, hat allein Woidke gesucht und gefunden. Er hatte gleich noch einen ebenso formidablen Zweitkandidaten präsentiert, als Auswahl für Müller. Und der Regierende? Aus Berlin sind keine Aktivitäten bekannt geworden, dass Müller überhaupt gesucht hat. Falls doch, dann ohne Erfolg, was auch einiges sagt.
Dobrindt agiert, Woidke agiert, Müller reagiert - kaum
Flughafenpolitik, aktive, langfristig angelegte, machen andere. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) etwa. Der bringt regelmäßig Leipzig als BER-Außenstelle ins Spiel, eine abgestimmte Operation mit Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. Diese Debatte ist für den BER, der gegenüber München und Frankfurt/Main nicht geschwächt werden darf, gefährlich. Müllers Reaktion? Lau. Der klare Einspruch kam aus Potsdam.
Woidke, immer wieder Woidke. Der Brandenburger hat in aller Stille das Sagen am BER übernommen und schlägt einen Pflock nach dem anderen ein. Sein umtriebiger Staatssekretär Rainer Bretschneider leitet seit einem halben Jahr kommissarisch den Aufsichtsrat. Und nimmt man die Quote der Richtungsbeschlüsse in dieser Zeit – Eröffnungstermin, Mühlenfeld, Finanzen – gelingt ihm das besser als früher Wowereit, dem Polarisierer und Konfliktmenschen.
Woidke pflegt die strategische Achse zu Mühlenfeld und verfolgt beharrlich seinen Plan, weniger Nachtflüge für seine BER-Anwohner herauszuholen: Er macht Politik. Den Beschluss, den Landesanteil an der neuen 1,1-Milliardenspritze zu sichern, haben die Brandenburger zuerst gefasst.
Früher waren die Verhältnisse umgekehrt. Da war der BER tatsächlich der „Berliner Flughafen“. Ohne Klaus Wowereit lief nichts, im Guten wie im Schlechten. Er gab den Kurs vor, degradierte im Aufsichtsrat alle anderen zu Statisten. Sein damaliger Vize, Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck, der sich bis zum BER-Nichtstart 2012 nicht um den Airport kümmerte, war nicht unglücklich darüber. Aber warum räumt Michael Müller so das Feld, fällt ins andere Extrem?
Der BER ist für Müller ein brenzliges Thema
Dass der Regierende den Flughafen möglichst meidet, hat Gründe, auch nachvollziehbare: die Belastung, jung im Amt, genügend andere Baustellen in Berlin. Selbstschutz, intuitive Vorsicht, auch Unsicherheit, wegen der Berliner Wahlen nächstes Jahr. Mit dem BER konnten Politiker bisher nur verlieren. Und Müller hat die Erfahrung gemacht, dass er umso schneller beliebt wurde, je weniger er mit dem „Fluchhafen“ präsent war.
Wowereit erlebte das andersherum. Und da ist diese Berliner SPD-CDU-Koalition im Vor-Wahlkampf-Stadium, in der sich Müller und Frank Henkel mittlerweile belauern – wie beim Umgang mit den Berliner Aufsichtsratsmandaten, mit dem Vorsitz.
Trotzdem: Berlin wird am Flughafen gebraucht. Eine klare Linie des Roten Rathauses wäre nötig, um objektiv gegensätzliche Interessen im Gefüge dieses öffentlichen Drei-Eigentümer-Projektes besser auszutarieren. Um etwa Unwuchten brandenburgischer Flughafenpolitik auszugleichen, die inzwischen überproportional auf den Lärmschutz der Anwohner ausgerichtet worden ist. Von Berlin wird es maßgeblich abhängen, ob die überfällige Erweiterung des bereits zu kleinen Großflughafens rechtzeitig angepackt und finanziert wird.
Das kostet, mag unpopulär sein, aber es muss jetzt geschehen. Weil alle Welt eben auf Berlin fliegt. Nähme Michael Müller diese Rolle endlich an, könnte er sogar gewinnen, mit dem neuen Flughafen der Berliner.
Na bitte! BER wird zum Großflughafen
Sechs Kilometer Fahrweg
2017 soll der BER eröffnet werden. Doch schon jetzt spielt der Berliner Flughafen in der Liga der Großen mit – zumindest was die Rollzeiten der Flugzeuge am Boden betrifft. Weil ab 2. Mai die Nordbahn saniert wird, müssen sie bis zum 24. Oktober vor dem Start die sechsfache Distanz zur Südbahn zurücklegen – bei den Abflügen in westlicher Richtung sind das sechs Kilometer und 20 Minuten Fahrzeit. Gerade bei Billigfliegern, die auf kurze Bodenzeiten setzen, kann es zu Verspätungen kommen.
Spott in München
Damit befindet sich Schönefeld in prominenter Gesellschaft. In Frankfurt beispielsweise kalkulieren die Airlines die oft eine Viertelstunde dauernde Rollzeit am Boden in den Flugplänen ein. Und wenn in München vom hintersten Ende der entferntesten Piste gestartet wird, erklären die Piloten bisweilen ihren Passagieren, dass sie letztendlich doch zum Ziel fliegen und nicht fahren.
40 Minuten in Amsterdam
Noch länger dauert es in London-Heathrow oder Paris-Charles de Gaulle. Spitzenreiter in Europa dürfte aber der Flughafen Schiphol bei Amsterdam sein, wo auf der abgelegenen „Polderbaan“ landende Flugzeuge schon einmal 30 bis 40 Minuten zum Terminal brauchen. In Dallas/Fort Forth beträgt die Entfernung je nach Piste bis zu 16 Kilometer. An den großen Drehkreuz-Airports in den USA haben die Behörden 2007 eine durchschnittliche Rollzeit zur Startbahn von 18,5 Minuten ermittelt. Am Boden bewegen sich die Flugzeuge übrigens mit einem Tempo von bis zu 40 km/h.
Thorsten Metzner