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In der Leitstelle der Vattenfall-Tochtergesellschaft Stromnetz Berlin (Archivbild). Der Berliner Senat möchte das Unternehmen kaufen.
© imago/Bernd Friedel

Mehr Homeoffice, aber weniger Gewerbe: Berlin verbraucht wegen Lockdown deutlich weniger Strom

Die Corona-Krise wirkt sich auf den Energieverbrauch der Hauptstadt aus, sagt der Stromnetzbetreiber. Schon bald aber werde der Verbrauch auf Rekordhöhe steigen.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich merklich auf den Stromverbrauch in der Hauptstadt ausgewirkt. Das geht aus Zahlen für das Gesamtjahr 2020 (hier im PDF-Download) hervor, die die Stromnetz Berlin GmbH als Betreiberin des lokalen Stromverteilnetzes veröffentlicht hat. Demnach fiel der Verbrauch von 13.302 Gigawattstunden im Gesamtjahr 2019 um 4,08 Prozent auf 12.759 Gigawattstunden im Jahr 2020.

Dies sei – auch aufgrund der vergleichbaren Wetterlage in beiden Jahren – tatsächlich als eine Auswirkung der Pandemie zu betrachten, sagte Stromnetz-Berlin–Geschäftsführer Thomas Schäfer am Donnerstag bei der Präsentation der Zahlen in einer Video-Pressekonferenz.

Man habe zudem eine deutlich andere Verteilung der Stromlasten beobachten können, erklärte der Manager. „Wir haben gesehen, dass wir weniger Strom auf der Mittelspannungsebene von 10 kV (Kilovolt), auf denen wir Gewerbe, Hotels, Museen und auch viele Clubs anschließen, verteilt haben“, sagte Schäfer. Gleichzeitig sei geringfügig mehr Strom über die Niederspannungsebene (0,4 kV oder 400 Volt) verteilt worden, an der die Netzbetreibergesellschaft in der Regel Privathaushalte der Stadt mit elektrischer Energie versorgt. In der Summe aber sei der Verbrauch aber gesunken. Bei Konjunkturfachleuten gilt sinkender Stromverbrauch als Indikator für eine schrumpfende Wirtschaftsleistung.

Mittel- und langfristig aber rechnet das Unternehmen mit einer stark steigenden Stromnachfrage, was auch mit der Digitalisierung immer neuer Lebens- und Geschäftsbereiche zusammenhängt. So arbeitet Stromnetz Berlin gerade an einem Anschluss eines großen Rechenzentrums an das Hochspannungsnetz (110 Kilovolt). Dieses IT-Zentrum dürfte permanent rund 100 Megawatt Leistung benötigen, das sei in etwa so viel wie alle 200.000 Haushalte im Bezirk Tempelhof-Schöneberg zusammen. „Uns liegen bereits mehrere Anfragen auf ähnliche große Stromabnehmer für die kommenden zehn Jahre vor“, fügte Schäfer hinzu.

Sein Unternehmen plant nicht nur aus diesem Grund hohe Investitionen: Allein im laufenden Jahr sollen 234 Millionen Euro in den Aus- und Umbau des Netzes fließen, das mit 35.200 Kilometern so lang ist, dass es bald den Erdball am Äquator (40.075 Kilometer) umfassen könnte. 2020 hatte Stromnetz Berlin mit 197 Millionen etwas weniger investiert.

Thomas Schäfer ist der Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Stromnetz Berlin GmbH und Vorgesetzter über 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Thomas Schäfer ist der Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Stromnetz Berlin GmbH und Vorgesetzter über 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
© Stromnetz Berlin GmbH

Der Fokus bei den Investitionen liege weiterhin auf den Kernpunkten Versorgungssicherheit, Kundenorientierung und Unterstützung der Stadt auf ihrem Weg zur Klimaneutralität, hieß es. Dabei gehe auch um die Verlegung letzter oberirdisch laufender Leitungen unter die Erde. „So können wir der Stadt auch Flächen für anderweitige Verwendung zurückgeben“, sagte Schäfer. Unter anderem sei die Verlegung einer Hochspannungsleitung, die vom Ostkreuz in Lichtenberg Richtung Wuhlheide im Bezirk Treptow-Köpenick verläuft, geplant.

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Die Stromnetz Berlin GmbH ist eine 100-Prozent-Tochter des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall, operiert aber weitgehend unabhängig von der Mutter, weil Regulierungsbehörden in Bund und auf EU-Ebene seit Ende der 90er Jahre aus Wettbewerbsgründen generell auf eine möglichst große Trennung von Stromproduktion, -Vertrieb und der Verteilung der Energie drängen. Auf Berliner Landesebene ist es zugleich erklärtes Ziel der rot-rot-grünen Koalition, Zugriff auf das örtliche Stromnetz zu erhalten. Damit wird aktuell für 527 in Berlin aktive Stromanbieter die Energie verteilt. Mit dieser Dienstleistung lassen sich keine extrem hohen, aber doch stabile Renditen erwirtschaften. 1997 hatte das Land Berlin mit dem Verkauf der Mehrheitsanteile an der damaligen Bewag die Kontrolle über das Netz abgegeben.

Vergangenen Oktober hatte Vattenfall dem Land Berlin nach jahrelangem Gezerre vor Gerichten überraschend den Verkauf des Netzes angeboten. Die Offerte gelte noch bis zum Sommer 2021, heiß es damals. Eine Einigung steht noch aus. Schäfer konnte oder wollte dazu keine näheren Angaben machen. Er wisse nicht um den Stand der Dinge, gehe davon aus, dass seine Planungen zu Investitionen von einem möglichen Eigentümerwechsel nicht stark betroffen wären.

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Ganz im Sinne des Landes Berlin widmet sich die Stromnetz Berlin in diesem Jahr der Förderung der Elektromobilität, insbesondere mit der dafür notwendigen Integration der Ladesäulen ans Netz so wie dem Austausch der klassischen Ferraris-Stromzähler gegen „Smart-Meter“, die auch elektronisch aus der Ferne abzulesen sind. Man arbeite an einem neuen Betriebsführungskonzept für die Digitalisierung in der Niederspannung, der Automatisierung von Mittelspannungsstationen sowie der Planung, dem Bau und Inbetriebnahme neuer Umspannwerke und Netzknoten, hieß es weiter.

„Unterm Strich zielen alle Vorhaben des Unternehmens darauf ab, die Stadt auf ihrem Weg zur Klimaneutralität und somit bei der weiteren Elektrifizierung, zum Beispiel des Verkehrssektors, zu unterstützen – ganz gleich, in wessen Eigentum sich das Berliner Stromnetz befindet“, fasste Schäfer zusammen. Berlin wolle ein attraktiver Ort für Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie für seine Gäste und Bewohner bleiben. „Dies erfordert ein modernes und leistungsfähiges Stromnetz. Daran arbeiten die rund 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens jeden Tag.“

Statistisch musste jede Berlinerin und jeder Berliner im vergangenen Jahr nur 8,9 Minuten auf Strom verzichten. So verlässlich war das Netz bisher noch nie. 2019 war die Zuverlässigkeit mit 34,7 Minuten extrem schlecht. Grund dafür war der Blackout von Köpenick im Februar 2019. Damals waren rund 31.000 Haushalte für 31 Stunden ohne Strom.

Kevin P. Hoffmann

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