Die Banlieues der Hauptstadt: Berlin spaltet sich in ein reiches Zentrum und arme Ränder
Trotz des Wachstums der vergangenen Jahre teilt sich Berlin immer mehr in Arm und Reich. Vor allem die Randbezirke sind von sozialer Benachteiligung betroffen.
Berlin boomt – aber nicht überall. Die Stadt könnte sich ähnlich entwickeln wie Paris und andere Großstädte vor ihr: Wohlstand und Wachstum in City-Lagen und Großsiedlungen am Stadtrand, in denen die aus den begehrten Gebieten verdrängten Haushalte mit geringen Einkünften leben.
Dies zeigt das aktualisierte „Monitoring Soziale Stadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Und hat dabei noch einige weitere überraschende Ergebnisse.
So konzentrieren sich die „Verschlechterungen“ der sozialen Lage im Westen Berlins. Betroffen auch dort ausschließlich: die „äußere Stadt“. Die Planer sprechen deshalb auch von einer „Peripherisierung sozialer Benachteiligung“. In Paris wird die Autobahn, die an den Stadtrand führt, „Périphérique“ genannt.
Gleichsam als „Banlieues“ von Berlin, mit einer Konzentration „sozialer Benachteiligung“, listet der Bericht Reinickendorf und das Märkische Viertel, die Gropiusstadt, das Falkenhagener Feld, Charlottenburg-Nord, Gesundbrunnen, Britz sowie weitere Ortsteile von Neukölln, aber auch von Spandau sowie Moabit, Kreuzberg und als einzigen Ost-Berliner Stadtteil Hellersdorf auf.
Wobei Hellersdorf zugleich auch als Stadtteil mit überdurchschnittlich guter Entwicklung aufgeführt wird. Die Erklärung ist einfach: Teilweise liegen auf- und abwärtsstrebende Gebiete dicht beieinander. Kleinteilig mit Reihen- und Einfamilienhäusern bebaute Viertel in den grünen Vorstädten sind oft von Pendlern mit mittleren Einkommen bewohnt, dort, wo in der Nachbarschaft Großsiedlungen während der 1960er bis 1980er Jahren entstanden, leben überdurchschnittlich viele Haushalte mit geringen Einkommen.
Senat ruft Mittel aus dem Bundesprogramm „Stärkung Berliner Großsiedlungen“ ab
Darauf reagiert der Senat mit einem Strauß an Beratungs- und Unterstützungsprogrammen. Das bekannteste darunter ist das „Quartiersmanagement“, das den Bewohnern einen oder mehrere Ansprechpartner stellt, die bei Bedarf bei Ämter- und Behördenkontakten helfen oder in schweren Konflikten einen kurzen Draht zur örtlichen Polizei haben.
24 Standorte in Berlin will der Senat außerdem vor dem Kippen bewahren, indem er Mittel aus dem neuen Bundesprogramm „Stärkung Berliner Großsiedlungen“ abruft.
„Es ist erfreulich, dass sich die sozialen Unterschiede leicht verringert haben, trotzdem ist Berlin auch weiterhin durch räumliche Unterschiede geprägt“, sagt die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Linke). Die „nachhaltige Bekämpfung sozialräumlicher Problemlagen“ müsse „mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie fortgeführt“ werden.
Tatsächlich schließt der Bericht mit dem Hinweis, dass die Folgen des Lockdowns auf Handel und Wirtschaft nicht berücksichtigt sind. Die Daten im Bericht gehen auf Statistiken und Umfragen zurück, die teilweise über ein Jahr alt sind. Berlin lag damals noch in einem wirtschaftlichen Aufholprozess, mit überdurchschnittlich hohem Wachstum.
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Gewachsen waren auch Einkommen und Beschäftigungen – zwei der wichtigen Faktoren zur sozialen Einordnung der Stadtquartiere – Arbeitslosigkeit, Transferbezug trotz Beschäftigung sowie Kinderarmut. Dabei prüfen die Forscher den Status eines Gebiets zum Zeitpunkt der Erhebung und vergleichen das mit der Lage zwei Jahre zuvor – daraus leiten sie eine positive oder negative Dynamik ab. Und geben entsprechende Empfehlungen an den Senat, etwa welche Gebiete einen „besonderen Aufmerksamkeitsbedarf“ haben, wenn sich die soziale Lage dort verschärft.
Anlass zur Sorge und neu zu dieser Gruppe hinzugekommen sind im aktuellen Bericht die „Planungsräume“ Gesundbrunnen (Wedding/Mitte), Volkspark Prenzlauer Berg (Pankow), Plötzensee (Charlottenburg-Wilmersdorf), Gütersloher Weg (Spandau), Wissmannstraße und Goldhähnchenweg (Neukölln) sowie das Gelbe Viertel (Marzahn-Hellersdorf).
Dem stehen neun Planungsgebiete mit positiven Tendenzen gegenüber. Das sind „vornehmlich Planungsräume in Spandau“. Spandau, von West-Berlinern zu Mauerzeiten gerne noch mit dem Zusatz „bei Berlin“ versehen, hatte im letzten Jahrzehnt etwas den wirtschaftlichen Anschluss verloren. Dabei ist der Bezirk dank Anbindung mit einer schnellen U-Bahn-Linie, reichlich hübscher Wasserlagen und zuletzt reger Bautätigkeit eine Alternative zu überfüllten, hochverdichteten Stadtlagen. Die Entlassung gleich mehrerer Quartiere aus dem Kreis städtebaulicher Sorgenfälle spricht dafür, dass dies nun zunehmend erkannt wird.
Neun Planungsgebiete mit positiven Tendenzen
Von solchen Gebieten „mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf“ haben die Forscher 42 in Berlin identifiziert, einer von zehn Planungsräumen der Stadt (426) ist betroffen. Betroffen sind Quartiere mit sehr niedrigem „sozialen Status“ und zugleich „negativer Dynamik“ – einfach ausgedrückt: wenn überdurchschnittlich viele Arbeitslose oder Geringverdiener dort leben, deren Kinder aufgrund der geringen Haushaltseinkommen von Armut bedroht sind – und die Zahl der somit sozial Benachteiligten in den vergangenen zwei Jahren noch zugenommen hat.
Beim größtem Wohnungsverband Berlin und Brandenburg (BBU) hieß es auf Anfrage: „Die Ergebnisse zeigen, dass gerade bei den zurzeit neu entstehenden Siedlungsprojekten wie den Buckower Feldern oder Tegel von Beginn an auf eine ausgewogene Mieterschaft, eine gute Verkehrsanbindung sowie gute Kitas und Schulen geachtet werden muss“, sagt Sprecher David Eberhart.