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Am Wochenende locker entspannen: bei der Karaokeshow im Mauerpark.
© dpa

Ende eines Trends?: Berlin ist nicht mehr die coolste Stadt der Welt

Berlin verliert seinen unfertigen Charme – und fällt im Rating der Trendsetter zurück. Die Berliner Szene ist inzwischen alarmiert und verunsichert. Ein paar Experimente sollen jetzt helfen.

Die Coolness ist weg. Au weia! Trendschnüffler des Musikmagazins „Rolling Stone“ haben festgestellt, dass das Berghain, einst als „bester Club der Welt“ gerühmt, von Touristen auf der Suche nach dem Berghain-Feeling überrannt wird. Wobei das Feeling natürlich abhanden kommt. Die „New York Times“ bemerkte, dass Berlin sich manchmal schon anfühle wie Brooklyn. Das schmerzt.

Inzwischen ist die Berliner Szene alarmiert und verunsichert. Berlin nicht mehr angesagt? Der Hype vorbei? Das Online-Magazin „Amy & Pink“ spricht bereits vom „Ende einer Ära: Berlin ist offiziell nicht mehr coolste Stadt der Welt.“ Deutlicher geht’s nicht. Tom Schilling, der im Kino als „Oh’ Boy“ durch das gentrifizierte Berlin irrte, hatte schon vor Monaten im „Stern“ gemahnt, Berlin sei „alles andere als eine Hipster-Metropole“. Nämlich „sehr fragil“ unter der hippen Oberfläche.

Was ist hier los? Der derzeit hochrangigste Experte in Fragen von Kultur und Coolness, Musikmanager und Kulturstaatssekretär Tim Renner, sei noch nicht zu Auskünften bereit, sagt sein Sprecher. Er tritt den neuen Job erst am 28. April an. Der zweitwichtigste Experte, Jochen Sandig vom Radialsystem, jettet gerade von Madrid nach Bilbao, zur Konferenz „Stadt als kulturelles Ökosystem“. Das passt. Sandig erklärt am Telefon, Berlin befinde sich „an einer Wegscheide“. Die Stadt könne noch viele Potenziale heben und entwickeln, wenn die Politik diese auch erkenne. Falsch sei, dem „Bilbao-Effekt“ – die mittelmäßige Stadt glänzt durch ihr Guggenheim-Museum – mit „Großbauprojekten“ wie der Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld nachzueifern und gleichzeitig bedeutende Künstler wie die Choreografin Sasha Waltz „zu vergraulen“. Künstler und Kreative sollten in politische Entscheidungen eingebunden werden. „Berlin muss auf kleinteilige Strukturen setzen.“

Die Brachen der Nachwendezeit verwandeln sich in Geschäftsviertel

Es vollzieht sich in der Stadt jetzt das, wovor die Technopäpste und Partypioniere der 90er Jahre immer gewarnt haben: Berlin wird langsam normal, die Brachflächen der Nachwendezeit verwandeln sich in Geschäftsviertel, immer mehr Menschen wohnen und arbeiten im Zentrum, sitzen tagsüber in Büroetagen und gehen abends ins Fitnessstudio. Währenddessen müssen Berlin-Besucher zur systemkritischen Subkultur und ihren Machern an den Stadtrand fahren.

Das geschlossene Tacheles an der Oranienburger Straße ist ein stummes Mahnmal dieser Entwicklung. Viele Clubs in den Wohnquartieren von Mitte und Pankow mussten schließen, weil sich Nachbarn in den Loftetagen und Dachgeschossen, die ihre Clubbing-Phase längst hinter sich haben, über laute Musik und betrunkene Gäste beschwerten.

Kann eine Metropole, die wirtschaftlich wachsen will, auf Dauer den Charme des Unfertigen und Anarchischen bewahren? Es laufen diesbezüglich einige Experimente. In den Prinzesinnengärten am Moritzplatz wird das Selbergärtnern auf teurem Baugrund geübt, ein ökologisch-sozialer Utopia-Selbstversuch. Absolut cool, reich an purem Berlin-Gefühl, aber der steten Gefahr ausgesetzt, sich auf der internationalen Anerkennung als Vorzeigeprojekt auszuruhen, dem Bequemen und Erwartbaren zu viel Raum zu geben, sich nur noch zu wiederholen.

"Kreatives Dorf" auf dem Holzmarkt als nächstes Experiment

Ein weiteres Experiment beginnt im Frühjahr. Auf dem Holzmarkt beginnen die Arbeiten für das „kreative Dorf“ einer Genossenschaft mit Club, Gründerzentrum und Werkstätten. Die Gründer waren jahrelang umhergezogen, hatten ihren Club „Bar 25“ immer wieder neu erfunden, zuletzt in „Kater Holzig“ umbenannt und mit einer tagelangen Closing-Party verabschiedet. Dieses Vagabundieren durch die Ruinen der Stadt war enorm erfolgreich, an jedem neuen Ort wurde eine neue Welt erschaffen, und bevor das Projekt in die Fänge der Routine geraten konnte, war es schon wieder beendet.

„Ich kenne die Macher vom Holzmarkt und glaube, dass sie das schaffen“, sagt Sandig. Doch die Politik reagiert nur langsam auf die Appelle der Kreativen. Im Forum „Stadt-Spree“ wurden Investoren und Clubbetreiber an einen Tisch gebracht, um ihre Interessen abzugleichen. Das miteinander Reden wird aber kaum dazu führen, dass Luxuswohnungen am Wasser nicht gebaut werden, weil gegenüber öfter gefeiert wird. Die geltenden Gesetze schützen in erster Linie die Bewohner vor ihrer Umgebung, nicht umgekehrt. Clubbetriebe gelten nicht als notwendige Infrastruktur wie Kitas.

Immer noch viele Möglichkeiten für Menschen mit Ideen

Seit einem Jahr gibt es das „Musicboard“ mit der Senatsmusikbeauftragten Katja Lucker. Sie kann dem Musikleben der Stadt mit 1,5 Millionen Euro unter die Arme greifen. Ein kleines Budget, um die hipste Partymetropole der Welt auf Niveau zu halten. Katja Lucker findet nicht, dass Berlin an Innovation und Strahlkraft verloren hat. „Die jungen Musiker sagen uns, sie finden es extrem toll, in dieser Stadt zu sein.“ Es gebe immer noch viele Räume und Möglichkeiten für Menschen mit Ideen und Energie. In puncto Nachtleben würde Jochen Sandig Berlin allerdings nur noch auf Platz zwei sehen – hinter Istanbul.

Der Autor des Times-Artikels „Brooklyn on the Spree“ ließ eine Metapher einfließen, die das internationale Berlin-Gefühl gut einfängt. Die Kräne, die sich ständig über der Stadt drehten, würden es nie bis zur fertigen Skyline schaffen. Man baut und baut, ohne jemals fertig zu werden. Beispiele sind bekannt. Die vielen Baustellen mitten im historischen Zentrum haben dem Tourismus bislang nicht geschadet. Was wird passieren, wenn alles fertig ist? Das Stadtschloss als Architekturpflaster und hübsche Kulisse wird nicht reichen, die Welt zu begeistern. Über seine Nutzung wird noch viel zu reden sein.

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