Von Handwerker bis Verkäufer: Berlin führt Testpflicht für jeden mit Kundenkontakt ein
Handel, Gastro, Behörden: Wer mit Kunden zu tun hat, muss sich ab sofort testen lassen. Das schien nicht mal dem Regierenden bewusst zu sein.
„Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung“, lautet ein Juristenkalauer. Bei der Berliner Corona-Verordnung ist das oft mit Überraschungen verbunden. Plötzlich fallen Regelungen auf, die anscheinend nicht einmal dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) bewusst sind. Das neueste Fundstück: Das Land Berlin führt ab sofort eine umfassende Testpflicht für Verkaufspersonal in Einzelhandel und Gastronomie sowie für Mitarbeiter:innen in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ein, wenn diese direkten Kontakt mit Kund:innen und Gästen haben.
Sie müssen sich nun mindestens zweimal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen und die Nachweise vier Wochen aufbewahren. Die Pflicht gilt nicht nur für Angestellte, sondern auch Selbstständige – also zum Beispiel für den Späti-Betreiber oder einen Handwerker, der für Reparaturen in die Wohnung kommt. Das geht aus der aktuellen Fassung der Corona-Verordnung hervor, die am Sonnabend im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wurde und seit Sonntag gilt. Der Senat hatte sie am Dienstag verabschiedet. Darin ist nur von mindestens einem Test pro Woche die Rede.
In seiner Sondersitzung am Sonnabend verschärfte der Senat diese Regelung jedoch schon wieder auf zwei Tests – entsprechend der Verpflichtung für Arbeitgeber:innen, ihren Beschäftigten mindestens zweimal wöchentlich einen Schnelltest anzubieten. Dies bestätigte die Senatsgesundheitsverwaltung dem Tagesspiegel am Sonntag auf Anfrage. Die nochmals aktualisierte Verordnung tritt am Mittwoch in Kraft.
Die Testpflicht für Personal mit Kundenkontakt kommt überraschend. In der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag war davon keine Rede. Im Gegenteil: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte für Unternehmen und ihre Beschäftigten lediglich „ein verpflichtendes Angebot, das aber nicht von jedem verpflichtend angenommen werden muss“ angekündigt. „Das ist ein himmelweiter Unterschied.“ Ähnlich äußerte Müller sich auch am Sonnabend.
Für Personal mit Kundenkontakt ist es sehr wohl verpflichtend – so steht es im neuen Paragrafen 6a der Corona-Verordnung. Eine Pressemitteilung oder sonstige Veröffentlichungen des Senats zu diesem Punkt gab es in den vergangenen Tagen trotzdem nicht. Dabei handelt es sich um eine deutliche Ausweitung der bisherigen Testpraxis.
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Die Pflicht gilt für jeden, der Kundenkontakt hat: in Unternehmen, Gaststätten, Imbissen, Supermärkten, Geschäften, aber auch Beratungsstellen, Stadtteilzentren, Museen und Galerien. Anders als bei der Testpflicht für Kund:innen, die am Sonnabend beschlossen wurde, sind also die Läden des täglichen Bedarfs nicht ausgenommen. Wie die Gesundheitsverwaltung auf Nachfrage bestätigte, trifft das auch auf Behörden zu – vom Bürgeramt bis zum Jobcenter.
Während die Verordnung bei Angestellten ausdrücklich auch die Anwendung von Selbsttests vorsieht, ist bei Selbstständigen davon nicht die Rede. Weitere Details wie die Art des erforderlichen Nachweises bei Selbsttests, waren zunächst nicht bekannt. Eine Einschränkung gibt es: Die Regelung gilt nur, „soweit ausreichend Tests zur Verfügung stehen und deren Beschaffung zumutbar ist“.
Unternehmen fühlen sich gegängelt
Die Unternehmen fühlen sich gegängelt. Denn hinzu kommt eine Homeoffice-Pflicht. Berlin ist laut Senat das erste Bundesland, das diesen Schritt geht. Die Regeln auf Bundesebene reichten nicht, Firmen seien zu wenig aktiv geworden, hieß es. Berliner Unternehmen sollen 50 Prozent ihrer Büroarbeitsplätze im Homeoffice anbieten. Aus der Wirtschaft wurde Kritik laut.
Berlins IHK-Präsidentin Beatrice Kramm befürchtete zusätzliche Belastung und Verunsicherung durch bürokratische Auflagen. Es müsse geklärt werden, wie das Land die Betriebe bei der Test-Beschaffung logistisch und finanziell unterstützen werde. Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg kritisierte, die Unternehmen seien viel weiter als die Politik. Wo es möglich ist, sei die Belegschaft mehrheitlich längst im Homeoffice. Und für die Pläne des Senats seien jede Woche mehr als zwei Millionen Tests nötig. Diese Menge werde absehbar kaum verfügbar sein.
Völlig offen ist für die Unternehmen auch, wie sie die Testpflicht bei der Kundschaft im Einzelhandel überwachen soll. Ab Mittwoch müssen Berliner einen tagesaktuellen negativen Corona-Test zum Einkaufen in Geschäften, für Besuche im Friseur- oder Kosmetiksalon sowie in Museen und Galerien vorweisen. Ausgenommen sind Supermärkte, Apotheken und Drogerien. Das Modell „Click and Meet“ für einen Shoppingtermin im Elektro- oder Baumarkt ist damit hinfällig.
Malls und Einkaufszentren sollen Tests nicht nur anbieten, sondern auch deren Durchführung organisieren. Laut Senat sollen auch Selbsttests der Kunden „unter Aufsicht“ für den Einzelhandel möglich sein. Ob das bedeutet, dass die Händler dann den Selbsttest überwachen sollen, blieb offen. Ebenso, wie sie die Echtheit der Testbestätigungen und die Identität der Kundschaft überprüfen könnten.
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Weiter gilt: Berliner:innen können die kostenlosen Testangebote nutzen, die Bund und Land jedem einmal wöchentlich ermöglichen. Für die kostenlosen Schnelltests stehen laut Senat stadtweit mehr als hundert Teststellen bereit. Auf der Seite test-to-go.berlin sind alle offenen Einrichtungen aufgelistet. In drei größeren Zentren ist ein Test auch ohne Anmeldung möglich. Zudem gibt es viele kleinere „Test-to-go“-Stationen.
Auch überall dort, wo sich mehr als fünf Menschen in Räumen versammeln – nicht in der eigenen Wohnung – müssen Negativ-Tests nachgewiesen werden. Das gilt etwa für Versammlungen von Wählergemeinschaften, Parteien oder für Betriebsversammlungen, nicht aber für Demonstrationen sowie die Tätigkeit von Parlament, Regierung und Justiz. Modellprojekte in der Kultur mit getestetem Publikum können nicht weiter stattfinden, sie werden verschoben. Nach Ostern solle die Lage neu bewertet werden, hieß es.
Medizinische OP-Masken reichen nicht mehr
Ausgeweitet wird die Maskenpflicht. Ab Mittwoch müssen im öffentlichen Nahverkehr, in Arztpraxen, Krankenhäusern, Pflegestationen, im Einzelhandel und in Kultureinrichtungen FFP2-Masken getragen werden. Medizinische OP-Masken reichen nicht mehr.
Die Notbremse, die Bund und Länder Anfang März beschlossen und erst am vergangenen Dienstag ausdrücklich bekräftigt hatten, sieht anders aus als das Berliner Modell. Danach müssten Lockerungen zurückgenommen werden, wenn die Inzidenz stabil mehr als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen ausweist. In Berlin liegt der Wert seit Dienstag über dieser Schwelle und steigt weiter. Der Senat sieht sein beschlossenes Paket als alternative Notbremse. Es wäre ein einfacher Weg gewesen, den MPK-Beschluss zur Notbremse eins zu eins umzusetzen, sagte Müller. Der Senat habe sich zu einem „differenzierteren Weg“ entschlossen.