Bettina Rust im Tiergarten: „Berlin-Bashing finde ich langweilig“
Bettina Rust, die samtig gedimmte Stimme von Radio Eins, hat ein Buch über ihre Lieblingsorte in der Stadt geschrieben. Ein Treffen am Neuen See.
Als Bettina Rust an diesem Vormittag das Café am Neuen See betritt, würde man ihr eigentlich gönnen, dass sie gleich wieder nach Hause radeln darf. Ein bisschen müde scheint sie noch, das Lächeln für die Fotos strengt sie an, gelingt aber. Klar, ganz Profi. Am Abend zuvor wurde es spät. Da hat sie am anderen Ende des Tiergartens, am Brandenburger Tor, das Abschlusskonzert des Einheitsfestes moderiert. Jetzt spricht sie aber nicht über Headlinerin Nena und dass die selbstverständlich ihre „99 Luftballons“ steigen ließ, sondern über die Aussicht von der Bühne: „Das war toll, die ganze Straße des 17. Juni war voller Menschen.“
Rust kann gut mit großem Live-Publikum, vielen ist sie aber vor allem als samtig gedimmte Stimme von Radio Eins bekannt: Seit 2002 immer sonntags, von 14 bis 16 Uhr im Gespräch mit Prominenten und Menschen, die sie interessieren. Künstler und Kreative aller Genres, Politiker, Wissenschaftler, Sportler und Schauspieler, Kiezgrößen, Experten für alles Mögliche. In diesem Jahr waren etwa Alexander Osang, Barrie Kosky, Franziska Giffey und Joko Winterscheidt bei ihr im Studio. „Ursula von der Leyen jage ich schon ewig hinterher, die kriege ich irgendwie nicht.“
Sei’s drum, die meisten kommen gern. Weil sie einfühlsam ist, ohne ins Schmierige zu kippen. Weil sie nicht bohrt. Weil die Gespräche trotzdem Tiefe haben, weil man beim Hören immer wieder lachen muss. „Ich merke, dass meine Gäste von sich aus sehr persönliche Sachen sagen, wenn ich sie einfach durch ihre Gedanken laufen lasse. Da kommen jetzt vielleicht nicht immer private Riesenkracher, aber Details, die vielleicht sogar mehr über diese Menschen aussagen.“
Das Ende der Beziehung mit Hamburg
Wenn sich Bettina Rust für eine Sache noch mehr interessiert als für Menschen, dann für Berlin – wobei das ja oft dasselbe ist. „Bevor ich herzog, lebte ich in einer hübschen, zuverlässigen Beziehung mit Hamburg, aber zwischen uns lief nichts mehr. Das mit Berlin begann als Affäre, wir hatten immer großen Spaß miteinander“, erzählt sie. Nun lebt die gebürtige Hannoveranerin seit mehr als 20 Jahren in Berlin, durchgehend in Schöneberg, und aus der Affäre ist die Liebe ihres Lebens geworden. Meistens ist die 51-Jährige mit Rad und Hündin Elli unterwegs. So hat man sie auch von 2013 bis 2016 in der RBB-Sendung „Stadt, Land, Hund“ erlebt, da besuchte sie Prominente in deren Kiezen. Ihr erstes Buch, das gerade erschienen ist, knüpft da an. „Berlin – Lieblingsorte“ sieht aus wie ein Reiseführer, ist aber eigentlich ein Kolumnenbändchen über gut 60 Plätze, Läden, Bars, Museen, grüne Inseln in der ganzen Stadt.
Es geht nicht um Geheimtipps, es geht vielmehr um ihren Blick auf Berlin, auf die Menschen, die sie hier trifft: Frank Conte Schäfer, Friseur mit bewegter Geschichte und schrägem Salon in Prenzlauer Berg. Thomas Mertens, dessen Antiquariat in der Winterfeldtstraße vollgestopft ist mit wundersamen Trouvaillen, dreiköpfigen Nerzen und Dinosaurierzähnen. Im Text zum Café am Neuen See träumt sie davon, genug Geld zu haben, um das Gelände – den eckigen, vorne verglasten Pavillon, den Biergarten rundherum – einmal pro Jahr mieten zu können. Dann würde sie unter den Lichterketten Feste feiern, mit wagenradgroßen Pizzen und staunenden Passanten. Für den Moment reicht ihr auch das Avocadobrot mit Ei und der Blick auf den See, über den ein Reiher hinwegfliegt.
Das Café kannte sie schon, da lebte sie noch gar nicht in Berlin. Anfang, Mitte der Neunziger muss das gewesen sein, „als die Loveparade noch cool war“. Im kleinen Pavillon legten DJs auf, die Partys waren gut, die Leute auch. Kann man sich heute gar nicht vorstellen, so gemütlich-behäbig ist die Stimmung hier zwischen den kleinen bollernden Kaminöfen und dem älteren Paar am Nebentisch, das nicht miteinander spricht.
Mit Unzulänglichkeiten umgehen
Für Bettina Rust haben Orte nie nur eine Geschichte. Die eigenen Assoziationen mischen sich mit Erzählungen und Erinnerungen anderer und das soll im besten Fall auch ihr Buch. „Vorerleben“ nennt sie das und überlegt, ob es dieses Wort denn auch gibt. Ihr Berlin ist voll von Geschichten, vielen schönen, die man im Buch nachlesen kann. Negatives, Unangenehmes gibt es auch in ihrem Berlin. Eine bestimmte Art von Männern, die sich respektlos verhalten und Frauen belästigen, das beunruhigt sie zunehmend. „Ich sehe natürlich, was hier falsch läuft, aber ich versteife mich nicht darauf. Berlin-Bashing langweilt mich.“
Sie hat ihren eigenen Weg gefunden, zumindest mit den kleinen Unzulänglichkeiten umzugehen: Wenn sie etwas stört, versucht sie, es zu ändern. „Im Kleinen, ohne orthodox oder missionarisch zu sein, ohne dass es in einen Helferkomplex ausartet.“ Als sich eine Gehwegplatte vor einem Schöneberger Seniorenwohnheim absenkte, telefonierte sie in in der Bezirksverwaltung herum, versuchte einen Zuständigen zu finden. Überraschung: „War nicht einfach.“ Sie hat auch wegen einer gefährlichen Ampelschaltung angerufen. Ob die wirklich geändert wird – wer weiß das schon? Aber der „Verkehrsberuhigungshubbel“ an der Maaßenstraße, Winterfeldstraße, wegen dem die Radfahrer in den Gegenverkehr ausgewichen sind, ist verschwunden, nachdem sie deswegen anrief. Auch die alte Wasserpumpe vor dem Haus, die kaputt war, als die Hitze auf Berlin drückte, wurde repariert. Rust erzählt das nicht einfach so, man muss sie direkt danach fragen und auch dann ist es ihr ein bisschen unangenehm. „Christina Heiss, die zuständige Bezirksstadträtin, denkt bestimmt, ich sitze den ganzen Tag mit einem Kissen am Fensterbrett.“
Rust glaubt einfach, dass jeder etwas tun kann. Versperrt ein umgekipptes Rad den Gehweg? Einfach aufheben und allen geht’s besser. „Weniger meckern und mehr: Ist doch ganz geil hier.“ Wenn sie an Berlin denkt, versucht sie es mit einem Vergleich: „Berlin ist wie eine WG: Alle beschweren sich, dass es keine sauberen Teller gibt, aber keiner will den Abwasch machen. Und manchmal tritt man dem anderen gegen die Tür, am Ende muss man sich jedenfalls miteinander arrangieren in dieser großen, tollen Wohnung.“
Der Michael-Jackson-Gedenkbaum
Vom Café am Neuen See bricht sie mit Elli nun in Richtung Straße des 17. Juni auf. Sie sind oft im Tiergarten unterwegs, vor allem im großen Teil, der an diesem Tag noch wegen der Einheitsfeier abgesperrt ist. In ihrem Buch erinnert Rust nicht nur an die bewegte Geschichte des Tiergartens nach dem Zweiten Weltkrieg – Rodung, Gemüseanbau, dann Wiederaufforstung. Sie zählt auch die Figuren auf, die ihr hier begegnen, die „Lachgruppen und Schweigegruppen, Sonnenanbeter, Schildkröten, Waschbären“, auch „Jogger, Walker, einen Rückwärtsgeher“. Und da gibt es diese, „eine ältere Meckertante, die bei Wind und Wetter im Bikini an derselben Stelle liegt, Zeitung liest und jeden Hund ankeift“. Einmal entblößte sich ein Mann vor ihr. Sie war so perplex, dass sie am Thema vorbei brüllte: „Du Scheiß-Exorzist!“ Heute kann sie darüber lachen, normalerweise sei es hier ja ganz schön.
Und immer interessant sowieso: Zielstrebig läuft Bettina Rust auf einen Punkt nicht weit vom Café zu. „Ich weiß nicht, wie es passiert ist und warum, aber das ist der Michael-Jackson-Gedenkbaum“, sagt sie und präsentiert eine klapprige Traubeneiche, die über und über mit Bildern des King of Pop geschmückt ist, jemand hat eine herbstliche Girlande gebastelt und Kastanien an Fäden aufgehängt. Man merkt, dass Rust das für reichlich bekloppt und zugleich absolut fabelhaft hält. Wieder so ein kleines Stück Berlin, an das man denken muss, wenn man vorbeifährt.
Verkehrsberuhigte Zone für Helmut Kohl
Zu hundert Prozent bekloppt findet sie jedenfalls die gerade von der Berliner CDU aufgeworfene Idee, den Großen Stern in „Helmut-Kohl-Platz“ umzubenennen. „Das ist so unsexy. Er soll gewürdigt werden, natürlich, aber kann man dafür nicht lieber eine verkehrsberuhigte Zone in Dahlem nehmen?“
Also schnell weiter, auf den gewundenen Wegen rund um den Neuen See, wo ihr Apfelbäume auffallen und wo sie den Stock für Elli aus bemerkenswert gelenkiger Schulter schleudert. Linker Hand mäandert der Neue See, durchsetzt von Inseln, schön sumpfig, ein Biotop. Rechter Hand taucht der Landwehrkanal auf. Vom gegenüberliegenden Ufer, da wo der Zoo beginnt, schauen Alpakas herüber. Dann entdeckt sie pinkfarbene Vögel im Außengehege nebenan und staunt. Die Tiere haben Ähnlichkeit mit zu kurz geratenen Flamingos. Was ist das bloß? Vielleicht eine Geschichte für ihr nächstes Buch.
„Berlin – Lieblingsorte“, Insel Taschenbuch, 236 Seiten, 12 Euro. Lesung in der Urania am 9. November, 19.30 Uhr.
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