So läuft die neue Testpflicht an: Bereits etliche Corona-Fälle an Berlins Schulen erkannt
Nach zwei Tagen Testpflicht steht fest: Viele Eltern lassen ihre Kinder zu Hause. Wie Schulen mit den Tests umgehen, macht eine Steglitzer Grundschule vor.
Mit der neuen Testpflicht für alle Berliner Schüler:innen sind zu Wochenbeginn etliche Corona-Infektionen bekannt geworden. Schulen berichteten auf Nachfrage von bis zu drei Fällen, von denen die ersten bereits durch PCR-Tests bestätigt worden seien. Die Senatsverwaltung für Bildung kündigte an, am Freitag eine Wochenbilanz zu ziehen.
Wie die Schulen konkret mit der Testpflicht umgehen, führte am Dienstag Oriane Brinkmann mit ihrer Klasse an der Grundschule am Stadtpark Steglitz vor: Mit einem großen Teddybären trat sie am frühen Morgen vor ihre Klasse: „Das ist jetzt unser Corona-Bär, ich habe ihn für euch von meinem Sohn mitgebracht“. Mit seinen Knopfaugen soll er dabei sein und auch den zaghafteren Kindern Mut machen, wenn sie von jetzt an zweimal pro Woche auf Corona getestet werden.
„Wenn jemand positiv ist, müsst ihr keine Panik bekommen, dann gehen wir zu Herrn Meyer und rufen eure Eltern an, die holen euch dann ab“, sagt die Klassenlehrerin noch, bevor sie zwischen den Fünftklässlern herumgeht, um Stäbchen, Testkassetten und die Testlösung zu verteilen. „Haben alle ein Taschentuch?“
So oder ähnlich sind – je nach Alter – die meisten der rund 450.000 Berliner Schüler:innen in die Woche gestartet, denn ab sofort gilt die Testpflicht an allen Schulen: Wer sich weigert, muss zu Hause bleiben, es sei denn, er hat triftige Gründe wie etwa Probleme mit der Nase. In einem solchen Fall dürfen die Eltern testen und ihren Kindern eine entsprechende Bescheinigung mitgeben.
Viel wurde über diese neue Vorschrift diskutiert, und bis zum Schluss riss der Protest nicht ab. Auch Oriane Brinkmann und ihre Kolleg:innen an der Grundschule am Stadtpark Steglitz gehörten zu den vielen Beschäftigten, die im Vorfeld Protestbriefe an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) schrieben. Allerdings – testen müssen sie dennoch, denn so hat es der Senat nun mal entschieden.
Die Eltern haben mehr Spielraum, wenn sie das Testen prinzipiell ablehnen: Da die Präsenzpflicht ausgesetzt ist, können sie ihre Kinder einfach zu Hause behalten – wobei „einfach“ gar nicht einfach ist, denn es gibt für diese Kinder kein vollständiges Angebot für das Homelearning wie in den Zeiten der Schulschließungen. Die betreffenden Schüler:innen fallen somit im Unterrichtsstoff noch weiter zurück.
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Wie viele Kinder und Jugendliche wegen der Testpflicht nicht in die Schule kamen, kann die Bildungsverwaltung nicht sagen. Die Zahl dürfte erheblich sein. Darauf deutet die erste Bilanz der Schule an der Köllnischen Heide: „Bei uns fehlten über fünf Prozent“, berichtet Leiterin Astrid-Sabine Busse. Das entspreche rund 30 Kindern, deren Eltern „diffuse Ängste“ hätten, sofern sie überhaupt ihre Gründe genannt hätten.
Neuköllner Gymnasium: Jeder fünfte Schüler blieb zu Hause
Allerdings geht Busse davon aus, dass es sich viele Familien noch anders überlegen. Bisher seien sie allerdings nicht zu überreden gewesen – auch nicht durch das Angebot, beim Test dabei zu sein.
Noch mehr Schüler:innen blieben am Neuköllner Ernst-Abbe-Gymnasium zu Hause: "Circa 20 Prozent sind nicht zum Wechselunterricht erschienen", berichtete am Dienstagabend Schulleiter Tilmann Kötterheinrich-Wedekind. Angesicht von aktuell über 620 Schüler:innen wären das rund 120, die auf den Präsenzunterricht verzichteten.
Diese Bilanz ist umso ernüchternder, als das Kollegium sich "massiv für die Testpflicht in der Schule ausgesprochen hat, weil es allen wegen der Vorbehalte der Eltern sicherer schien", berichtet Kötterheinrich-Wedekind.
Abiturienten unterliegen nicht der generellen Testpflicht
Andere Schulen berichteten nur von wenigen Kindern, die zu Hause blieben: „Letzte Woche gab es viele besorgte Eltern, aber die meisten haben sich überzeugen lassen, ihre Kinder dennoch zu schicken“, berichtet etwa Monika Stein, Leiterin der Schöneberger Lindenhof-Grundschule. Sie habe auch einige „begründete Ausnahmen“ zugelassen – etwa bei einem Kind mit zurückliegendem Naseneingriff.
„Ausnahmen“ macht allerdings auch die Bildungsverwaltung – und zwar im großen Stil, indem sie die Abiturienten, deren Prüfungen an diesem Mittwoch beginnen, von der Testpflicht ausnimmt. „Inkonsequent“ sei das, findet nicht nur Ralf Treptow von der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, die sich vehement für eine Testung aller Schüler zu Hause, nicht aber am Ort Schule stark gemacht hatte.
Allerdings berichtete Sebastian Peine, Bezirksschülersprecher von Marzahn-Hellersdorf, dass es an einigen Schulen dennoch in Eigenregie verpflichtende Tests vor den Prüfungen gebe.
„Letzte Woche war der Tiefpunkt“
„Letzte Woche war der Tiefpunkt“, beschreibt Stephan Witzke die Stimmung an seiner Buckower Lisa-Tetzner- Schule nach der plötzlichen Entscheidung des Senats, die Tests an die Schulen zu verlagern: Scheeres hatte sich dem entsprechenden Senatsvotum beugen müssen, obwohl sie selbst die Testverantwortung den Eltern überlassen wollte.
Witzke hat als Vorstand der GEW-Schulleitervereinigung von vielen Seiten erfahren, dass die Schulaufsicht mit „disziplinarischen Maßnahmen gedroht“ habe, wenn Lehrkräfte sich weigern sollten, zu testen. Darauf hatten auch Lehrkräfte des Charlottenburger Herder-Gymnasiums in einem Video am Montag hingewiesen.
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Die Stimmung sei „katastrophal“ gewesen. Allerdings geht er davon aus, „dass in zwei Wochen kein Hahn mehr danach kräht“ – ähnlich wie in Österreich, wo es auch zunächst harsche Proteste gegeben hatte. Selbst die österreichischen Lehrergewerkschaften betonen, dass sich alles gut eingespielt habe.
„Natürlich spielt sich das ein, aber Schule ist dennoch nicht der richtige Ort“, beharrt Matthias Meyer, Leiter der Schule am Stadtpark Steglitz, am ersten Testtag: Gerade hat Oriane Brinkmann drei Stockwerke über ihm die Testung beendet. Unter den Augen des „Corona-Bären“ lief alles gut, auch wenn ein Schüler Nasenbluten bekam, weshalb Brinkmann ihn den Test abbrechen ließ.
Ansonsten lief alles ruhig ab und nach 45 Minuten stand fest: Kein Kind muss von seinen Eltern abgeholt werden: „Negativ ist positiv und positiv ist negativ“, fasst einer der Fünftklässler die Erfahrung des Tages zusammen.
Jenseits der Tests gab es allerdings auch noch ganz andere Sorgen an den Schulen - und die betrafen die abermals drohenden Schulschließungen. Wie berichtet will der Bundestag an diesem Mittwoch das neue Infektionsschutzgesetz beraten.
Bildungssenatorin Scheeres stellte sich am Dienstag gegen die geplante Verschärfung der Vorschriften für den Schulbetrieb: Die von der Koalition vorgesehene Inzidenz von 165, ab der Schulschließungen erfolgen müssten, sei eine „willkürlich gegriffene Zahl“. Dies sehe die Senatorin „kritisch“, sagte ihr Sprecher dem Tagesspiegel. Scheeres frage sich, „wieso ähnlich strikte Regelungen nicht für den Bereich Wirtschaft getroffen wurden“.
Ausnahmen vom Distanzunterricht soll es nur für die Abschlussjahrgänge geben. Dabei ist dem Vernehmen nach aber noch unklar, ob auch die Neuntklässler als Abschlussjahrgang eingestuft werden. Die Neuntklässler gehören zu den Mittelstufenjahrgängen, die erst seit dem 19. April wieder in der Schule sind: Seit 15. Dezember waren sie im Distanzunterricht.