Berliner Reise-Rechtsanwalt Karimi: „Bei Pauschalreisen steht noch Ärger bevor“
Interview mit dem Berliner Reiserechtsanwalt Roosbeh Karimi über abgesagte Reisen, die Angst vor Mietschulden und die Hilfen der Bundesregierung.
Zum Schutz vor dem Coronavirus (hier die wichtigsten Artikel dazu in der Übersicht) haben sich mehrere Länder, teils sogar einzelne Landkreise in Deutschland, komplett abgeriegelt. Touristen sind plötzlich unerwünscht, praktisch alle Urlaubspläne für die nähere Zukunft sind hinfällig. Jetzt geht es auch um die Frage: Wer kommt für den Schaden auf? Dazu haben wir Roosbeh Karimi befragt. Der 33-Jährige ist Inhaber der Kanzlei Karimi Rechtsanwälte in Berlin-Charlottenburg, die spezialisiert ist auf Reise- und Verbraucherrecht.
Herr Karimi, in Zeiten des Coronavirus müssen die Menschen zu Hause bleiben. Gebuchte Reisen finden nicht statt. Ihre Kanzlei ist auf Reiserecht spezialisiert. Beschert Ihnen die Krise jetzt viele neue Mandate?
Ja und nein. Wir haben viele neue Anfragen, der Informationsbedarf ist riesig. Man merkt das auch in den sozialen Medien, in denen ich sehr aktiv bin. Aber viele neue Mandate haben wir bisher noch nicht registriert. Ich glaube, die Menschen sind derzeit vor allem verunsichert.
Wer eine Pauschalreise gebucht hat, die jetzt abgesagt wird, bekommt ja sowieso sein Geld komplett zurück, auch ohne Anwalt.
Auch bei den Pauschalreisen steht noch einiger Ärger bevor. Die Verbände der Tourismuswirtschaft üben einen ungeheuren Druck auf die Bundesregierung aus, dass im Fall von höherer Gewalt nicht der komplette Reisepreis zurückgezahlt werden muss, sondern die Kunden nur Gutscheine bekommen. Einige Anbieter handhaben das jetzt schon so, einen derartigen Fall habe ich selbst.
Aber darauf muss man sich als Kunde nicht einlassen, oder?
Nein. Und auch der Wunsch der Reiseveranstalter, dass eine solche Gutscheinlösung rückwirkend eingeführt werden soll, ist rechtlich gar nicht möglich.
Im vergangenen Jahr ist mit Thomas Cook der damals zweitgrößte Reiseveranstalter pleitegegangen. Drohen jetzt in Covid-19-Zeiten weitere Insolvenzen?
Wir werden sicherlich viele Pleiten von kleinen Reiseveranstaltern und Nischenanbietern haben. Ich glaube nicht, dass es noch mal einen der großen erwischt. Die Bundesregierung hat ja zahlreiche Finanzhilfen beschlossen bis hin zu Staatsbeteiligungen.
Die 110 Millionen Euro, mit denen Thomas Cook gegen Insolvenz versichert war, haben ja hinten und vorne nicht gereicht. Deshalb springt der Staat ein und zahlt den Kunden die fehlende Summe. Wie wäre es dieses Mal? Ist die gesamte Branche mit 110 Millionen Euro abgesichert oder jedes Reiseunternehmen?
Es gibt nur drei oder vier Versicherungsunternehmen, die dieses Geschäft überhaupt machen. Die 110 Millionen Euro gelten für den Versicherungsschutz einer Versicherung, unabhängig davon, wie viele Veranstalter diese Versicherungsgesellschaft unter Vertrag hat. Die Bundesregierung hatte im Dezember versprochen, die Thomas-Cook-Opfer zu entschädigen, bisher ist aber kein Geld geflossen. Und sie hat es immer noch nicht geschafft, die EU-Pauschalreiserechtslinie so umzusetzen, dass Reisende wirklich hundertprozentig abgesichert sind. Dabei wäre es doch einfach gewesen, die Mindesthaftungssumme von 110 Millionen auf 500 Millionen Euro heraufzusetzen. Dann wären alle Reisen in der laufenden Saison abgesichert gewesen. Das ist nicht passiert. Daher müssten die Steuerzahler bei einer weiteren Pleite vielleicht erneut Geld nachschießen.
Neben Reise- ist Verbraucherrecht Ihr zweites Steckenpferd. Was sind die größten Sorgen der Verbraucher in der aktuellen Krise?
Mieter haben Sorge, in Kurzarbeit zu rutschen und die Miete nicht mehr bezahlen zu können.
Die Bundesregierung will das ja mit einem Kündigungsverbot bei Mietrückständen verhindern, ist zu lesen. Außerdem sollen Kreditnehmer, die ihre Raten wegen der Covid-19-Pandemie nicht zahlen können, einen Zahlungsaufschub bekommen. Wie wirksam sind Ihrer Meinung nach denn solche Hilfen?
Na ja, sie helfen, aber nur vorübergehend. Was bringt es denn, wenn jetzt jemand wegen eines Mietausfalls nicht die Kündigung bekommen darf, aber der Mieter dann nach Ablauf der Schutzfrist mehrere Monatsmieten auf einmal zahlen muss? Oder Unternehmen jetzt eine Steuerstundung erhalten und die Beträge dann später doppelt und dreifach nachzahlen müssen? Das Problem wird nur nach hinten verschoben. Eine echte Hilfe sind ja nur die Zuschüsse, die kleine Firmen und Solo-Selbstständige bekommen und behalten können.
Warum haben Sie sich auf Reise- und Verbraucherrecht spezialisiert?
Ich war einer der letzten Rechtsreferendare, die bei Air Berlin gearbeitet haben, bevor die Fluggesellschaft pleitegegangen ist. Da hatte ich viel mit Reise- und Fluggastrechten zu tun, allerdings auf der „falschen“ Seite. Für mich stand nach dem Studium schnell fest, dass ich mich als Anwalt niederlassen möchte – dieses Mal auf der „richtigen“ Seite. Ich arbeite mit Fluggastrechteportalen im Internet zusammen und habe daher überwiegend Verbraucher als Mandanten. Ich arbeite aber auch für einige Unternehmen aus der Reisebranche, aber dabei ist mir wichtig, dass Kunden anständig behandelt werden.
Die Tui sitzt in Hannover, die Lufthansa in Frankfurt. Warum ist Ihre Kanzlei in Berlin? Hier gibt es doch weder große Reiseveranstalter noch Airlines.
Ich bin in Berlin geboren, habe immer hier gelebt und kann mir schwerlich vorstellen, Berlin zu verlassen. Ich komme nicht aus einer Juristenfamilie …
Woher kommt Ihr Name?
Meine Eltern sind aus dem Iran. Ich habe die Kanzlei vor fünf Jahren aus dem Nichts aufgebaut und zwar von Anfang an digital. 98 Prozent meiner Mandanten habe ich im Internet akquiriert. Der Standort der Kanzlei spielt dann keine große Rolle.
Läuft der Kontakt mit den Mandanten auch überwiegend digital?
Ja, ich habe generell wenige Termine in der Kanzlei, im Moment wegen des Coronavirus gar keine. Ich maile oder telefoniere mit den Mandanten.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Das Kernteam besteht aus fünf Leuten.
Sie konkurrieren mit Internetportalen wie Flightright, EU-Claim oder Fairplane, die billiger arbeiten. Wie können Sie bestehen?
Ich habe mit einigen Internetportalen ganz offensiv Partnerschaften gesucht. Wenn ein Fall vor Gericht geht, brauchen die Firmen ja einen Anwalt, der sie vor Gericht vertritt. Ich sehe die Portale daher gar nicht so sehr als Konkurrenz. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat und kein Risiko eingehen will, ist bei einem solchen Inkassoportal ganz gut aufgehoben. Aber ein Portal wird mit Ihrem Fall nur dann vor Gericht ziehen, wenn der Fall klar ist. Und auch in diesem Fall müssen Sie bis zu 40 Prozent Ihrer Forderung an das Portal als Provision abgeben. Das wäre bei mir nicht so. Allerdings drohen bei einer Forderung von 250 Euro, etwa wegen einer Flugverspätung, Gerichts- und Anwaltskosten von bis zu 500 Euro, da überlegt man sich schon, ob man das Klagerisiko eingehen will.
Wie reisen Sie selbst?
Ich reise manchmal pauschal, manchmal buche ich auch nur den Flug und schaue, was dann passiert.
Fallen Ihnen bei Ihren Reisen Mängel stärker auf als normalen Leuten? Denken Sie bei einem kaputten Pool daran, dass Sie den Reisepreis mindern können? Hier zehn Prozent, da fünf Prozent?
Nein, das mache ich nicht. Ich suche nicht nach Fehlern. Wenn ich Mängel sehe, weiß ich natürlich, was meine Rechte sind. Ich feilsche aber nicht um jedes Prozent.
Sollte man mal fünfe gerade sein lassen?
Ja. Ich sag meinen Mandanten geradeheraus: Wer für 500 Euro zwei Wochen Ägypten all inclusive gebucht hat, soll sich nicht beschweren, wenn das Essen lauwarm ist.
Das Interview führte Heike Jahberg.