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Bundesweit ist die Polizei im vergangenen Jahr verstärkt gegen kriminelle Clans vorgegangen. In Berlin rückten Beamte zu 382 Einsätzen aus. 
© Bernd Thissen/dpa

Geisel legt Bilanz zu Clankriminalität vor: Behörden warnen vor mafiösen Hilfsangeboten

Berlins Innensenator sieht erste Erfolge im Kampf gegen kriminelle Clans. Doch ein Ermittler warnt: Sie nutzen auch die Coronakrise aus.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bezeichnete den verstärkten Kampf gegen kriminelle Mitglieder arabischstämmiger Clans stets als Marathon – nach Jahren des Zauderns der Politik hatte er die Probleme Ende 2018 mit einem Fünf-Punkte-Plan angepackt. Nun legte Geisel am Montag eine erste Bilanz vor. Die Gewerkschaft der Polizei kommentierte, eine „gute erste Stadionrunde“ des Marathons sei geschafft.

Die Polizei rückte im vergangenen Jahr zu 382 Einsätzen aus, kontrollierte 702 Objekte, darunter 190 Shisha-Bars, 322 Cafés und Bars, 60 Wettbüros und Spielstätten, 25 Barber-Shops sowie 11 Juweliere. 86 Geschäfte wurden geschlossen. Es folgten 972 Strafanzeigen und 5908 Anzeigen zu Ordnungswidrigkeiten, meist wegen Verkehrsverstößen.

Wie bei der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik ist der 22-seitige Bericht von Polizei und Innenverwaltung zunächst ein Tätigkeitsnachweis. Er sagt noch nichts darüber aus, in wie vielen Verfahren tatsächlich gerichtsfest und abschließend eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit festgestellt wurde. 

Aus der Polizei gibt es deshalb auch kritische Worte. „Innensenator Geisel listet tausende Ordnungswidrigkeitenanzeigen auf. Dass ein Großteil davon Falschparker vor den Shisha-Bars betrifft, wird nicht gesagt", erklärte Jörn Badendick, Sprecher des Polizei-Berufsverbands „Unabhängige". Damit allein werde Clankriminalität also nicht effektiv bekämpft. "Bei den Straftaten ist es mit der Anzeigenfertigung durch die Polizei nicht getan, es bleibt abzuwarten inwiefern die Anzeigen auch in eine Verurteilung münden", sagte Badendick.

Zumindest aber vermittelt der Bericht eindrücklich, wie aktuell das Problem weiterhin ist. „Im Bereich der Clankriminalität hatte sich eine Parallelwelt entwickelt mit eigenem Kodex und der Ablehnung des geltenden Rechts. Das konnten wir nicht länger dulden“, sagte Geisel. „Die Regeln des Rechtsstaates gelten ausnahmslos für alle. Das hat sich auch 2020 in Zeiten der Corona-Pandemie nicht verändert.“ Als Beispiel nannte Geisel die Betrugsermittlungen zu Corona-Soforthilfen der Berliner Förderbank IBB für Unternehmen.

Sechs Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlichem Subventionsbetrug

Auf Anfrage erklärte ein Polizeisprecher: „Derzeit werden sechs Ermittlungsvorgänge wegen Subventionsbetrug zum Nachteil der IBB im Zusammenhang mit Corona Soforthilfen geführt, in denen Personen aus dem Umfeld krimineller arabischstämmiger Strukturen als Beschuldigte geführt werden.“ Darunter soll auch mindestens ein Mitglied des Remmo-Clans sein. In den sechs Verfahren sei bislang ein Schaden im mittleren fünfstelligen Bereich festgestellt worden, sagte der Polizeisprecher.

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Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte, bei den Betrugsfällen mit den Corona-Hilfen sei „die Verschmelzung von gewerblichen Strukturen und Kriminalität deutlich erkennbar“. Daniel Kretzschmar, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, warnte vor Anpassungseffekten in der Organisierten Kriminalität, die aufgrund der Covid19-Pandemie zu erwarten seien. „Die Behörden sollten wachsam sein, wenn Notlagen von Gastronomen oder anderen Betrieben zum Türöffner für mafiöse Hilfsangebote werden“, sagte Kretzschmar.

Fast die Hälfte der Strafanzeigen wegen Drogenhandel

In fast der Hälfte der 2019 aufgenommenen Strafanzeigen geht es um Drogengeschäfte, wie aus der Bilanz hervorgeht. Beschlagnahmt wurden fast 35 000 Euro aus Drogengeschäften, 969 Verkaufseinheiten Betäubungsmittel, 31 606 unversteuerte Zigaretten, rund 554 Kilogramm unversteuerter Wasserpfeifentabak sowie 123 Autos und zwei Motorräder sowie 104 Waffen. 126 bei den Kontrollen angetroffenen Personen wurden wegen vorliegender Haft- oder Vorführungsbefehlen festgenommen.

Ein Fünftel aller von den Berliner Behörden geführten Verfahren zur Organisierten Kriminalität betreffen arabischstämmige Clans. Kriminelle Mitglieder bestimmter libanesisch- und arabischstämmiger Großfamilien waren in den vergangenen Jahren wegen diverser Straftaten verurteilt worden. Dazu gehörten Überfälle auf Schmuckabteilungen etwa im Luxuskaufhaus KaDeWe sowie spektakuläre Einbrüche in das Bode-Museum mit dem Diebstahl einer riesigen Goldmünze und in eine Sparkasse. 

Die Behörden gehen auch gegen den Versuch vor, die Erlöse aus Straftaten zu legalisieren. 2018 wurden 77 Immobilien von Angehörigen des Remmo-Clans mit einem Gesamtwert von 9,3 Millionen Euro sichergestellt, im April 2019 folgten die Mieteinnahmen, vor einigen Wochen wurden zwei der Immobilien per Beschluss des Landgerichts eingezogen.

Clans finanzieren sich auch durch Rotlichtmilieu

Weitere Einnahmequellen der Clans sind neben Drogenhandel und Koks-Taxis der Steuerbetrug beim Verkauf von Shishatabak, aber auch das Rotlichtmilieu. Und Rivalitäten zwischen Clan-Mitgliedern werden schon mal gewaltsam auf offener Straße mit Schusswaffen, Messern, Holzlatten und Macheten ausgetragen. 

Die Straftäter und die kriminellen Strukturen nutzen bei ihren Machenschaften auch „ihre Verbindungen zu speziellen Szenen wie Rockern, Türstehern, Rappern und Boxern sowie gewerbliche Aktivitäten, wie das Betreiben von Shisha-Bars, An- und Verkaufsgeschäften, Barber-Shops, Juweliergeschäften und Autovermietungen“, heißt es in dem Bericht. Die Clans seien in „ziemlich allen Betätigungsfeldern unterwegs“, sagte GdP-Landeschef Norbert Cioma. Über kriminelle Machenschaften „werden Milliarden Euro erwirtschaftet“.

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Es geht aber auch um Jugendkriminalität, verbotene Autorennen und „Tumultlagen“. Und wenn es zu Strafverfahren kommt, stellen die Ermittler fest, dass Zeugen und Opfer bedroht, eingeschüchtert oder mit Geld zum Schweigen gebracht werden. Zudem fällt den Ermittlern „konspiratives und dreistes Verhalten der Straftäter“ auf, wie etwas „das Ausspähen von Polizeiliegenschaften oder die Vernichtung und Entwendung von Beweismitteln“.

Innensenator Geisel sagte, dass die Kontrollen gemeinsam mit Ordnungsämtern, Zollbehörden und Finanzbehörden fortgesetzt und auf alle Bezirke ausgeweitet werden. Aber auch die Prävention soll gestärkt werden. Das Bezirksamt Neukölln und die Polizei arbeiten an einem Aussteigerprojekt, das 2021 an den Start gehen und Betroffenen helfen soll, die kriminellen Strukturen hinter sich zu lassen.

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