Stadtentwicklung in Berlin-Schöneberg: „Begegnungszone“ Maaßenstraße ist bald fertig
Als Vorbild für andere Kieze wird die Maaßenstraße zur verkehrsberuhigten „Begegnungszone“. Bis September soll der Umbau abgeschlossen sein, sogar ein Aussichtsturm entsteht.
Lob vom ADAC für eine Verkehrsberuhigung? Das wäre einst undenkbar gewesen, schließlich protestierten die Autolobbyisten früher mit dem kernigen Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ gegen Tempolimits. Doch die Zeiten haben sich geändert. Am Mittwoch zeichnete der ADAC das Pilotprojekt „Begegnungszone Maaßenstraße“ in seinem Städtewettbewerb aus. Diesen unterstützen auch der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund, der Verkehrssicherheitsrat und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Seit dem vorigen Dezember rollen Bagger für den Umbau zwischen dem U-Bahnhof Nollendorfplatz und dem Winterfeldtplatz, die neuen Verkehrswege sind jetzt deutlich zu erkennen. Der Umbau kostet etwa 700 000 Euro und wird zum Teil durch EU-Fördermittel finanziert. Schilder weisen auf Berlins erste „Begegnungszone“ hin, die im August fertig werde. Tatsächlich dauert dies wohl bis September, denn es gab Probleme mit einer nicht kartierten Gasleitung, die erst spät entdeckt wurde.
Die Bergmannstraße und der Checkpoint Charlie folgen
Im Schöneberger Vergnügungsviertel geht es nicht um irgendein Kiezprojekt, sondern um ein Modell, das auch andernorts in der Stadt ausprobiert werden soll.
Weitere Zonen sind in der Kreuzberger Bergmannstraße und am Checkpoint Charlie in Mitte geplant. Und Berlin ist nicht allein: Stuttgart setzte die Idee 2012 in einer Straße um. Zwei Jahre später folgte Erfurt.
Parken verboten
Schon seit einigen Jahren gilt Tempo 30 in der Maaßenstraße – gerast wurde allerdings trotzdem, vor allem nachts. Künftig sind 20 km/h erlaubt. Damit sich Auto-, Motorrad- und Radfahrer daran halten, wird die Fahrbahn verschwenkt und schmaler. Pro Richtung sollen sich Autofahrer und Radler eine Spur teilen. Nur für Lieferwagen bleibt eine Haltezone übrig, knapp 50 Parkplätze entfallen.
Dies ist der einzige Kritikpunkt des ADAC, der Ersatzplätze in der Nähe verlangt. Die Verkehrsverwaltung argumentiert dagegen, es gebe „1000 Parkplätze in fußläufiger Entfernung“. Außerdem werde im Bezirk überlegt, den Stellplatzmangel in den Seitenstraßen durch eine Parkraumbewirtschaftung zu lindern.
Die Radwege auf den Gehwegen entfallen, weil sich Fußgänger und Radler oft in die Quere kamen. Über die Veränderungen war seit Ende 2013 in zwei Bürgerveranstaltungen und in einem Onlineforum diskutiert worden.
In Fußgänger-Oasen soll es Bänke geben, aber keine Gastronomie
Neue Aufenthaltsflächen mit Sitzbänken, „Sitztieren“ für Kinder und anderen Straßenmöbeln sollen Passanten zum Verweilen einladen. Auf keinen Fall will man Gastwirte auf den hinzugewonnenen Flächen ausschenken lassen. Tempelhof-Schöneberg genehmigt schon seit 2012 keine neuen Lokale in der Maaßenstraße, um die „überbordende Gastronomie“ zu bremsen. Auf dem Mittelstreifen am Nollendorfplatz kommt ein Aussichtsturm hinzu.
„Punktuelle“ Verkehrsberuhigung findet der ADAC gut
Volker Krane, ADAC-Vorstand in Berlin-Brandenburg, lobte die „bedarfsgerechte, bezahlbare und umweltgerechte“ Planung der Berliner Stadtentwicklungs- und Verkehrsverwaltung. „Punktuelle“ Verkehrsberuhigungen seien sinnvoll, wenn „der Durchgangsverkehr kaum eine Rolle spielt“ und es wie in der Maaßenstraße viele Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern gebe.
Das Modell bleibt hinter den Vorbildern zurück
Die Umsetzung unterscheidet sich allerdings stark vom ursprünglichen Vorbild, dem „Shared Space“, in dem sich Autofahrer und Fußgänger auf Augenhöhe begegnen. In den Niederlanden sind alle Verkehrsteilnehmer in solchen Zonen gleichberechtigt, in der Schweiz haben die Fußgänger sogar Vorrang. Doch so etwas erlaubt die deutsche Straßenverkehrsordnung nur in Spielstraßen mit Schrittgeschwindigkeit.
Auch Radstreifen auf der Fahrbahn, die der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) für die Maaßenstraße forderte, sind in verkehrsberuhigten Straßen unzulässig. Dasselbe gelte für Zebrastreifen, sagte jetzt der Projektleiter der Berliner Fußgängerstrategie, Horst Wolhlfahrt von Alm.
Unterschiedliche Konzepte für jede Straße
Das führt zu einem Kuriosum: Weil die Planer an den Kreuzungen zur Nollendorfstraße und am Winterfeldtplatz trotzdem bremsende Elemente wollen, entstehen Pseudo-Zebrastreifen mit um 90 Grad verdrehten Streifen.
Zum zweiten Projekt in der Bergmannstraße gab es erste Veranstaltungen mit Anrainern, die eigentliche Bürgerbeteiligung startet im September. Der Checkpoint Charlie kommt frühestens 2017 an die Reihe. Verkehrsplaner Wohlfahrt von Alm sagt, für jeden Ort seien „individuelle Lösungen“ nötig. Zum Beispiel könne man das Parken in der Bergmannstraße nicht überall verbieten.