Kriminalität im Berliner Nahverkehr: Bahnhöfe brauchen mehr Personal - für höhere Sicherheit
Fahrgäste und Politiker fordern mehr Mitarbeiter auf Berliner U- und S-Bahnhöfen – und nicht nur Kameraüberwachung. Doch das ist teuer.
- Klaus Kurpjuweit
- Ronja Ringelstein
Sicherheit und Nahverkehr: Das passt nur zusammen, wenn es mehr Personal auf den Bahnhöfen und in den Zügen gibt. Davon zumindest ist Jens Wieseke, der stellvertretende Vorsitzende des Fahrgastverbandes Igeb überzeugt. Und findet Unterstützung in der Politik.
In fast allen Punkten stimme der Zustandsbericht zur Lage bei der U-Bahn, den die 66-jährige Carmen Schiemann an den Tagesspiegel geschickt und den wir am Dienstag veröffentlicht hatten. Schiemann hatte sich über Raucher und Trinker sowie über Pöbeleien und Drohungen beklagt, denen Fahrgäste und Mitarbeiter immer häufiger ausgesetzt seien. Sicherheitsmitarbeiter griffen oft nicht ein.
Auch Wieseke meidet nach seinen Angaben inzwischen, wo immer er kann, Fahrten mit der U-Bahn-Linie U 8 (Wittenau–Hermannstraße), obwohl dort sein „Hausbahnhof“ liegt. Die U-Bahn werde zunehmend als „rechtsfreier Raum“ wahrgenommen, sagte Wieseke. Fahrgäste fühlten sich allein gelassen. Abhilfe könne nur durch mehr ausgebildetes Sicherheitspersonal geschaffen werden.
30 bis 40 "Problembahnhöfe"
Gefährliche Orte seien nicht nur die Bahnhöfe Alexanderplatz, Zoo und Kottbusser Tor, die von der Polizei besonders überwacht werden, sagte Wieseke. Nach seinen Erkenntnissen gibt es 30 bis 40 "Problembahnhöfe" unter den insgesamt 173 Stationen. Dort müsse das Sicherheitspersonal konzentriert werden. Wer sich nicht an die Regeln halte, müsse zur Not rausgeschmissen werden.
Das sei nicht so einfach, konterte BVG-Sprecherin Petra Reetz. Die Mitarbeiter, egal, ob bei der BVG oder einer Fremdfirma angestellt, könnten unliebsame Personen nur auffordern, den Bahnhof zu verlassen. Weigerten sich diese, könne nur die Polizei einschreiten, die dann das Hausrecht durchsetzen müsste.
Doppelt so viele Mitarbeiter benötigt
Rund 200 Sicherheitsmitarbeiter seien täglich im Einsatz, verstärkt durch sechs Hundeführer, sagte Reetz. Hinzu kommen wieder gemeinsame Streifen mit der Polizei, die vor Jahren abgeschafft worden waren. Nach Wiesekes Ansicht müssten es ungefähr doppelt so viele Mitarbeiter sein, wenn der Nahverkehr attraktiv bleiben solle.
Mehr Personal sei das „A und O“, sagte auch Frank Zimmermann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Ansonsten verstehe er die Aufregung nicht, denn aktuell ginge die Kriminalität im öffentlichen Raum schließlich zurück. „Einzelne Rohheitsdelikte werden mehr, aber darauf reagieren wir gezielt“, sagte Zimmermann.
Tatsächlich hat die Gesamtzahl der Straftaten in U- und S-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen laut Senatsinnenverwaltung in den vergangenen Jahren abgenommen, es gibt beispielsweise weniger Taschendiebstähle, Vandalismus oder Schwarzfahrten. Angestiegen ist aber die Zahl der Gewalttaten. So registrierte die BVG 2017 insgesamt 3310 solcher Delikte. Das waren rund 250 Taten mehr als im Jahr zuvor und 440 mehr als 2013. Frank Zimmermanns fachpolitischer Kollege der Grünen, Benedikt Lux, setzt ebenfalls auf mehr Personal, ist allerdings etwas selbstkritischer als der Koalitionspartner: „Es ist noch nicht genug getan worden. Die sozialen Probleme, Armut und Verwahrlosung nehmen zu, da bleibt eine Menge zu tun. Wir sind jetzt dabei, die Zahl des Sicherheitspersonals stetig zu erhöhen.
Es war damals ein Fehler, das Bahnhofspersonal komplett zu streichen, die Folgen spüren wir immer noch.“ Lux sagt, er selbst fahre täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, und die Situationen unterschieden sich stark, je nachdem, wo man in der Stadt unterwegs sei. „Wir sind auf dem richtigen Weg, aber es muss weitere Schritte geben. Mehr Sicherheitspersonal erhöht die Sicherheit und auch das Sicherheitsgefühl der Menschen.“
"Die Kamera kommt nicht runter und hilft"
Marcel Luthe, Innenexperte der FDP, sieht hier die BVG in der Pflicht: „Jeder Cent, den die BVG in Kameras investiert, fehlt am Ende beim Sicherheitspersonal. Wir haben ja eine breite Aufzeichnung in Bahnhöfen und Bussen. Das zeigt einmal mehr, dass diese Videoaufzeichnung offensichtlich nicht funktioniert“. Die BVG habe Personal abgebaut und dafür die Investitionen in Kameras ausgeweitet. Das bewirke das Gegenteil von dem, was es sollte, sagte Luthe. „Es kommt nun mal keine Kamera runter und hilft ihnen.“
Man kenne die Schwerpunkte, wo man eingreifen müsse, was man auch mache, sagte Reetz. Fahrgäste könnten sich immer über die Notrufsäulen melden, von denen es mindestens zwei auf jedem Bahnsteig gebe. Entgegengenommen würden die Notrufe von einem Mitarbeiter in der Leitstelle, in der auch ein Polizist sitzt. Kameras könnten gezielt die Lage erfassen. Und oft reiche schon eine Durchsage, um eine brenzlige Situation zu beruhigen.
Nicht vorgehen wolle die BVG gegen Obdachlose, die sich in Bahnhöfe zurückziehen, sagte Reetz. Diese Menschen seien bereits ganz unten angekommen. Hier gelte: Wenn sie die Fahrgäste nicht belästigen, lasse sie die BVG in Ruhe.
Die S-Bahn setzt zusammen mit der Bundespolizei auf Bahnwachen mit ständig präsenten Sicherheitsmitarbeitern. Im Januar wurde die erste Wache im Bahnhof Gesundbrunnen eröffnet; die Stationen Friedrichstraße, Ostkreuz, Westkreuz und Schöneberg sollen folgen; die Streifen sind nach An gaben von Sprecher Ingo Priegnitz bereits unterwegs.
Acht Millionen jährlich für Sicherheitspaket
Auch die Zahl der Hundestreifen soll von 2 auf 20 erhöht werden. Acht Millionen Euro soll das Sicherheitspaket jährlich kosten. Auch bei der BVG sei eine solche Finanzierung möglich, sagte Fahrgastvertreter Wieseke. Durch den Verzicht auf die von Tagesspiegel-Leserin Schiemann geforderten Zugangssperren. Deren Einbau würde nach Schätzungen von Wieseke bis zu einer halben Milliarde Euro kosten. Mit diesem Geld könnten auch Stellen im Sicherheitsbereich finanziert werden, sagte Wieseke.
Unabhängig davon sind im vergangenen Jahr erneut mehr Menschen mit der U-Bahn gefahren. Mit 563 Millionen Fahrten zählte die BVG nach eigenen Angben zehn Millionen mehr als 2016. Beim Bus gab es mit 441 Millionen Fahrten acht Millionen mehr als ein Jahr zuvor, und auch die Straßenbahn legte um dreieinhalb Millionen Fahrten auf 197 Millionen zu.
Im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) gab es insgesamt mit 1,5 Milliarden Fahrten eine Zunahme um 1,9 Prozent. Umsteiger werden hier nur einmal gezählt.