Öffentlicher Nahverkehr in Berlin: „Willst du eins auf die Fresse?“
Tagesspiegel-Leserin Carmen Schiemann fährt viel Bus und Bahn. Pöbeleien, Vandalismus, Belästigung erlebt die 66-Jährige oft. Ein Erfahrungsbericht.
Freitag, 23.3.18, zwischen 19 Uhr und 19.30 Uhr steige ich am Bahnhof Gesundbrunnen von der S-Bahn in die U 8 um. Auf dem Bahnsteig in Richtung Wittenau „begrüßt“ mich eine Gruppe arabisch sprechender Jugendlicher, die laut „feiernd“ in einer großen Wolke Haschisch rauchend sitzen. Die Musik schallt über den ganzen Bahnhof. Die meisten Wartenden wenden sich ab und halten Abstand, weil sie sich belästigt fühlen. Auf zwei anderen Bänken sitzen Trinker, laut mit den Flaschen klappernd und rauchend. Kronkorken und brennende Kippen fliegen auf die Gleise.
Wo ist das Personal auf dem Bahnhof? Klaro, wurde irgendwann wegen „zu teuer“ gestrichen, dafür gibt es mobile Sicherheitsdienste. Am Bahnhof Osloer Straße steige ich kurz aus, um eine Zeitung zu kaufen: Im Laden ist der Verkäufer dabei, zwei laut gestikulierenden Kunden zu erklären, dass er keine 500-Euro-Scheine wechselt. Die beiden Herren gehen unter Pöbeleien und „Scheiß Deutsche“-Rufen aus dem Laden.
Auf der Ebene der Ladenzeile ist in der Mitte des Bodens ein Kreidegemälde auf dem Boden mit einem Becher für Kleingeldspenden, daneben eine Bitte in gebrochener Sprache. Der „Maler“ hat einen kleinen Hund dabei, beide habe ich schon des öfteren gesehen. Auf dieser Ebene ist inzwischen ein Wisag-Sicherheitsdienst eingetroffen, der Mitarbeiter erklärt mir, er warte auf die Polizei, da der „Maler“ mehrere Hausverbote habe. Nun sei die Anzeige wegen Hausfriedensbruch durchzusetzen. Der „Maler“ läuft inzwischen unter lautem Gepöbel weg, er weiß, was passiert. Muss der eigentlich sein Gemälde selber beseitigen oder zahle ich die Reinigung mit meinem Fahrgeld und den Steuern?
Mir tun die BVG-Mitarbeiter leid, die durch die Urinpfützen laufen müssen
Dann passiert Folgendes: Aus Richtung der U 8 kommt einer der Jugendlichen vom Gesundbrunnen die Treppe herauf. Laut pöbelnd mit genauso lauter arabischer Musik aus dem Handy und ziemlich „zugedröhnt“ pöbelt er den Sicherheitsdienst an: „Was guckst du, du alter Wichser, willst du eins auf die Fresse?“
Der Sicherheitsmitarbeiter sagt mir, dass er den Typen kennt, eingreifen hätte keinen Zweck. Ob der Jugendliche sich gegen andere Fahrgäste auch so benimmt? Oder gar zu Hause? Ob der Jugendliche sich gegen Kontrolleure auch so benimmt? Fahrkarte? Vermutlich Fehlanzeige!
Auf das Eintreffen der Polizei warte ich nicht mehr, ich habe bereits vor dem Kauf meiner Zeitung im besagten Laden über den SOS-Ruf den Sicherheitsdienst benachrichtigt. Ich fahre dann mit der U 8 weiter zum Franz-Neumann-Platz, auf dem Bahnsteig unten in Richtung Wittenau ähnliche Szenen, rauchende Trinker, Spucken auf den Bahnsteig und so weiter. Auf dem Bahnhof Franz-Neumann-Platz zwei Gruppen von Trinkern in der Nähe des Kiosks, laut gröhlend in einer osteuropäischen Sprache, Kippen und Kronkorken fliegen in die Gleise. Vor einigen Tagen pinkelte einer der Männer an eine Säule auf dem Bahnhof. Der Mann machte sich nicht einmal die Mühe und ging in eine der Ecken am Bahnsteig, wie es die Pinkler sonst tun.
Mir tun die BVG-Mitarbeiter leid, die dort ihre Arbeit verrichten und durch die Urinpfützen laufen müssen. Aus allen vier Ecken des Bahnhofs stinkt es. Noch mal: Wo ist das Personal auf dem Bahnhof? Klaro, wurde irgendwann wegen „zu teuer“ gestrichen, dafür gibt es mobile Sicherheitsdienste?
Die BVG will sich attraktiver machen mit Fahrkarten in Turnschuhen, freiem WLAN und anderem, wofür viel Geld ausgegeben wird. Das und die wilde Freiheit mag den jugendlichen Touristen „bunt“ und „lässig“ erscheinen, mir als Steuern zahlender Berlinerin nicht. Ich rate meinen Besuchern aus anderen Städten inzwischen lieber, mit dem Mietwagen zu fahren oder dem Taxi – ist das die Zukunft mit weniger Autos auf den Straßen in Berlin? Die BVG hat Beförderungsbedingungen und Hausrecht. Sie ist dafür verantwortlich, beides durchzusetzen, und braucht dafür vernünftig bezahltes Personal.
Das hat nichts mit einer „Stadt der Freiheit“ mehr zu tun
Was Busfahrer sich teilweise bieten lassen müssen, erlebe ich ebenfalls oft mit. Die Busfahrer kontrollieren seit langem schon keine Fahrausweise mehr, aus Befürchtung vor Übergriffen. Warum werden die Mitarbeiter allein gelassen und sind nicht mehr zu zweit auf den Bussen? Wo ist das Personal auf den Bussen? Klaro, wurde irgendwann wegen „zu teuer“ gestrichen. Warum soll dann zukünftig Schwarzfahren laut Innensenator Geisel nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein? Der Schwarzfahrer erhält eine Leistung, und für die muss man bekanntlich zahlen, so wie wenn man im Laden Butter kauft. Ich selbst meide inzwischen bestimmte Bahnhöfe, fahre lieber einen Umweg und brauche länger. Von meinen Bekannten höre ich gleiches.
Ich bin jetzt fast 67, solche Verhältnisse spotten jeder Beschreibung und haben nichts, aber auch rein gar nichts mit einer „Stadt der Freiheit“ mehr zu tun, als die Berlin von seinen Tourismuswerbern angepriesen wird. „Stadt der Freiheit“ ist ein Slogan aus West-Berliner Zeiten und wird jetzt missbraucht für die Zerstörung von Allgemeingut. Nein, das vermüllte Berlin und seine inzwischen unsicheren und verdreckten Öffis werden nicht attraktiver.
Warum gibt es in anderen europäischen Städten Sperren am Eingang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, an denen sich jede und jeder mit einer Fahrkarte ausweisen muss? Und zusätzlich (!) gibt es dort Personal auf den Bahnhöfen! Dort ist die Sicherheit der Fahrgäste bei Notfällen bestimmt genau so gesichert. Teurer als Kameras, Sicherheitsdiensten und erhöhter Aufwand an Reinigung ist mehr Personal bestimmt nicht.
Carmen Schiemann, 66, ist gebürtige Berlinerin und lebt in Reinickendorf-Ost. Ihr Text erreichte den Tagesspiegel als Leserbrief. Haben Sie ähnliches erlebt oder andere Erfahrungen gemacht? Teilen Sie es uns in den Kommentaren mit!
Carmen Schiemann