Neukölln: Immer jünger: Die Dealer der U8
Sie warten am Hermannplatz, am Kottbusser Tor oder direkt in der U-Bahn. Die U8 und ihre Stationen gelten als Treffpunkte für den Drogenhandel. Gegen die jugendlichen Heroin-Dealer wird erst etwas getan, wenn Bürger Druck ausüben.
Er hat es nicht eilig. Schlendert auf dem Hermannplatz von einer Seite zur anderen, schaut sich die beschmierte Telefonzelle vor McDonald’s an, lehnt sich gegen den Poller in der Platzmitte. Er hat etwas Gel in den Haaren und trägt ein hellblaues Poloshirt, er wirkt viel schicker als die Drogenabhängigen, die nebenan vor dem China-Imbiss auf Steinplatten hocken. Dieser Jugendliche muss sich unheimlich langweilen, denkt man, aber dann, kurz vor halb drei, will er doch plötzlich los, nimmt die Rolltreppe nach unten. Die Polizei ist im Anmarsch.
Als die vier Beamten in Uniform den Hermannplatz erreichen, ist der junge Dealer bereits verschwunden. Sein Kumpel ebenfalls, der saß gleich am südlichen U-Bahn-Eingang auf der Parkbank. Die Polizisten laufen ihnen nicht hinterher, sie wollen nur die Ausweise der Abhängigen sehen, sprechen jedem von ihnen einen Platzverweis aus. „Ich mach’ doch Methadon“, sagt eine der Frauen empört. „Na, gerade dann sollten Sie sich nicht hier aufhalten“, antwortet der Polizist. „Hier kommen Sie nur in Versuchung.“
Seit Jahren gelten die Stationen entlang der U8 als Treffpunkte für den Drogenhandel. Im Norden ist es der Rosenthaler Platz, im Süden das Kottbusser Tor, die Schönleinstraße und der Hermannplatz. Wer hier Drogen will, braucht nicht zu warten, bis der Junge im hellblauen Poloshirt zurückkehrt, sobald die Luft rein ist. Man kann auch einfach die drei Jugendlichen ansprechen, die vom Hermannplatz eine Station weiter zum U-Bahnhof Schönleinstraße fahren. Und dann wieder zurück. Und dann wieder hin.
Ja, die Heroin-Dealer sind deutlich jünger geworden, sagt Antje Matthiesen von der „Ambulanz für Integrierte Drogenhilfe“. Seit ein, zwei Jahren sei das nicht mehr zu übersehen. Hin und wieder seien sogar Abhängige darüber schockiert, dass sie es inzwischen mit Kindern zu tun haben. Man kann die kleinen Händler im U-Bahn-Getümmel leicht übersehen, sagt Matthiesen. „Aber sie erkennen ihre Kundschaft, sprechen sie gezielt an.“
Am Ausgang der U-Bahnstation Schönleinstraße wird an diesem Montagnachmittag nicht gedealt. Das liegt vermutlich daran, dass Polizisten hier am Sonntag den Elfjährigen geschnappt haben, und jetzt laufen hier Kamerateams rum, und am Eingang neben der Döner-Bude wartet der Mann vom Radio mit seinem roten Mikrofon. Ob es denn schlimmer geworden sei mit den Dealern, will er von Passanten wissen. „Ja, ist es!“, sagen manche. Die meisten wollen gar nichts sagen.
Vor zehn Jahren war das Problem am Bahnhof Schönleinstraße schon mal sehr massiv. Die Dealer boten ihr Heroin damals nicht nur Abhängigen an, sondern auch den Schülern der nahegelegenen Hermann-Hesse-Schule. Auf dem Bahnsteig, an Treppenaufgängen, in den Waggons. Besorgte Eltern nahmen Kontakt zur BVG auf, doch die sei „höchst unkooperativ“ gewesen, erinnert sich eine der Elternvertreterinnen von damals. Dann habe man sich direkt an die Polizei gewandt, Briefe geschrieben, Druck gemacht. Bis die mit verstärkten Kontrollen begann. Für ein paar Monate war das Problem gelöst. Es tue sich immer erst was, wenn Druck kommt. Sebastian Leber