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Die beiden Polizisten der Fahrradstaffel der Berliner Polizei, Nadine Hartung und Carsten Bass auf Streife in Mitte.
© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Karow: Autofahrerin nach Angriff auf Polizistin verurteilt

Auf dem Weg zur Arbeit wird Kommissarin Nadine Hartung auf der Straße geschnitten und angebrüllt, weil sie nicht auf dem Radweg radelte. Nun kam es zum Prozess.

Beinahe hätte die Verhandlung in einen größeren Saal verlegt werden müssen, weil die 18 Zuhörerplätze im Amtsgericht Tiergarten kaum reichten. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft doch erst befunden, „dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht“. So steht es in dem Brief, den die Polizeikommissarin Nadine Hartung im Oktober 2017 erhalten hatte. Elf Monate zuvor war Hartung auf dem Weg zur Arbeit auf der Blankenburger Chaussee in Karow von einer Autofahrerin angebrüllt und geschnitten worden, weil sie auf der Fahrbahn radelte und nicht auf dem – nicht benutzungspflichtigen – Radweg.

Hartung, die bei der Fahrradstaffel der Polizei täglich mit Verkehrsrowdies zu tun hat, sprach die Opelfahrerin an der nächsten Ampel an und gab sich mit ihrem Dienstausweis als Polizistin zu erkennen. Statt ihre Personalien anzugeben, räumte die Frau das Fahrrad beiseite, das die Polizistin vors Auto gelegt hatte, und fuhr mit heulendem Motor langsam auf sie zu – und dann weg. Eine von Hartung alarmierte Streife stoppte sie später, und eine entsetzte Passantin erbot sich als Zeugin.

All das war schon kurz nach dem Vorfall bekannt, nachdem Hartung die Frau wegen Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt hatte. Nach einem Widerspruch der Kommissarin übernahm die Anklagebehörde kurzerhand die Version der sich unschuldig gebenden Autofahrerin – und blieb bei der Einstellung. Neu aufgenommen wurde das Verfahren erst, nachdem der Tagesspiegel im Februar den Fall publik gemacht und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Akten angefordert hatte.

Im Juni erhielt die Autofahrerin einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 30 Euro und zwei Monate Fahrverbot. Weil sie sich damit nicht abfinden wollte, wurde der Fall am Freitag vor dem Amtsgericht verhandelt.

"Wie eine Täterin" gefühlt

Auf der Anklagebank sitzt eine unauffällige Frau mit blonden Locken und goldenen Baumelohrringen. Monika L. ist 72 Jahre alt und hat seit 1979 den Führerschein. Viermal pro Woche fahre sie nach Weißensee, um den Hund des Enkels Gassi zu führen. „Da ist eigentlich auch ein schöner Radweg“, sagt sie über den Tatort und wiederholt mehrfach, dass sie sich „wie eine Täterin“ gefühlt habe, als das Fahrrad vor dem Auto lag und die – aus ihrer Sicht nicht echte, weil nicht uniformierte – Polizistin auf sie eingeredet habe. Und zwar von der Seite, an die Fahrertür gestützt. Zwischendurch, als offenbar zufällig ein Rettungswagen angehalten hatte, sei sie ausgestiegen, aber die Sanitäter hätten nur mit der Polizistin geredet, nicht mit ihr.

Sowohl Nadine Hartung als auch die damals zufällig vorbeigekommene Zeugin berichten allerdings, dass auch die Feuerwehrbeamten Frau L. gewarnt hätten, einfach zu verschwinden. Und dass die Polizistin nicht neben, sondern vor dem Auto gestanden habe, mit dem die Angeklagte losfuhr. Wie knapp es war, lässt sich nicht mehr klären. Aber die Version von Frau L. passt nicht zu der der neutralen Zeugin und schon gar nicht zu der der Polizistin. Abgesehen davon, dass die Selbstjustiz der Angeklagten auch gegenüber jedem zivilen Radfahrer strafbar wäre.

Nach einer Beratung regt die Richterin an, das Verfahren gegen 1000 Euro Geldauflage einzustellen. Das lehnt der Staatsanwalt ab. Auf die Alternative, den Einspruch gegen den Strafbefehl vom Juni zurückzunehmen, lässt sich wiederum der Verteidiger nicht ein. Die Richterin gibt Frau L. eine letzte Chance, sich mit ihrem Anwalt zu beraten.

Nach zwei Minuten erklären sie, den Einspruch zurückzunehmen. Damit bleibt es bei den 60 Tagessätzen und dem Fahrverbot. „Eine Gemeinheit vor dem Herrn“, flüstert Monika L., während Nadine Hartung im Publikum sichtbar aufatmet. Sie kann erleichtert zu ihrer Arbeit fahren, die auch darin besteht, die Allgemeinheit vor Leuten wie Monika L. zu schützen.

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