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Quarantäne von Häuserblöcken: Außer Kontrolle? Wie Berlins Bezirke gegen Corona-Ausbrüche kämpfen

Die Zahl der aktiven Fälle liegt mehr als doppelt so hoch wie Anfang Juni, die Gesundheitssenatorin ist besorgt. Wie bekämpfen die Bezirke die Pandemie?

Manchmal sind es die kleinen Worte, die alarmieren. Noch, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Mittwoch im Inforadio des rbb, seien die Virusausbrüche in Berlin „lokal isolierbar“. In diesem Satz steckt eine Warnung. Die Gesundheitssenatorin konkretisierte sie gleich mit dem nächsten Satz: Die große Gefahr sehe sie darin, sagte Kalayci, dass die Infektionen in Berlin streuen, die Menschen leichtsinnig werden.

Seit etwa zwei Wochen steigt das Infektionsgeschehen in Berlin wieder stärker an, die Ampel für R, den Reproduktionswert, leuchtet tiefrot. In Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg wurden in den letzten drei Wochen mehr als 100 Neuinfektionen gemeldet, ganze Wohnblöcke unter Quarantäne gestellt. In Reinickendorf und Spandau gab es im Juni ähnlich viele positive Tests, auch dort stehen Hausgemeinschaften unter Quarantäne. Die wichtigsten Fragen:

Wie wurden die Infektionen entdeckt?

Viele Bezirke haben ihre Testaktivitäten enorm ausgeweitet und können mittlerweile ganze Schulklassen vorsorglich testen. In Neukölln etwa wurden bei solchen Tests im bezirklichen Testzentrum CAZ Anfang Juni mehrere symptomfreie Kinder positiv getestet. Zwischen den Infektionen konnten Zusammenhänge hergestellt werden, die letztlich zur vorsorglichen Quarantäne ganzer Hausgemeinschaften geführt haben.

Rund 100 Menschen wurden so positiv getestet, mehr als 600 Abstriche durchgeführt. Nach wie vor wird vermutet, dass das Ausbruchsgeschehen durch Gottesdienste einer Pfingstgemeinde ausgelöst wurde, sich dann verbreitet hat. Weitere größere Ausbrüche soll es nicht geben. Die Rave-Demonstration auf dem Landwehrkanal oder der Black-Lives-Matter-Protest gelten aktuell nicht als besondere Ausbruchsherde.

Warum werden ganze Hausgemeinschaften unter Quarantäne gestellt?

Die Strategie nennt sich „sozialräumliches Testen“. Die Gesundheitsämter der Bezirke testen nicht nur die nach den Kriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI) festgelegten engeren Kontakte der Infizierten, sondern weiträumig deren soziales Umfeld. So soll das öffentliche Leben aufrechterhalten werden, Schulen und Kitas können offen bleiben, nur Kleingruppen kommen in Quarantäne.

Andererseits wird so eine sehr strikte Eindämmungsstrategie gefahren, in dem man ganze Sozialräume – etwa Häuserblöcke – isoliert. In den betroffenen Häusern wohnen viele auf engem Raum, weshalb sich das Virus dort schnell verbreiten konnte. Sie werden so weit wie möglich durchgetestet.

Eines Wohnhaus an der Harzer Straße in Neukölln, das unter Quarantäne gestellt wurde. Im Bezirk Neukölln wurden aufgrund einer Vielzahl von COVID-19-Erkrankungen mehrere Wohnhäuser unter Quarantäne gestellt, um eine weitere Ausbreitung der Infektion zu verhindern.
Eines Wohnhaus an der Harzer Straße in Neukölln, das unter Quarantäne gestellt wurde. Im Bezirk Neukölln wurden aufgrund einer Vielzahl von COVID-19-Erkrankungen mehrere Wohnhäuser unter Quarantäne gestellt, um eine weitere Ausbreitung der Infektion zu verhindern.
© Wolfgang Krumm/dpa

Wie wird die Quarantäne ganzer Häuser umgesetzt?

Berlins Bezirke setzen auf Sozialarbeiter und Kommunikation. Anders als etwa in Göttingen wurden in Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg keine Zäune aufgebaut oder Hundertschaften der Polizei eingesetzt. Mit Aushängen und in Gesprächen wurden die Bewohner über die vorsorglichen Quarantänemaßnahmen informiert. Mehrmals am Tag patrouillieren Streifenwagen der Polizei an den Gebäuden vorbei, das Ordnungsamt unterstützt sie.

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Getestet wurden die Menschen in den Wohnungen. Das Technische Hilfswerk versorgt die Bewohner seit der vergangenen Woche mit Grundnahrungsmitteln, auch das Rote Kreuz hilft. Hygieneartikel, Medikamente und Babynahrung werden in Neukölln durch 30 ehrenamtliche Helfer verteilt, Übersetzer erklären die Maßnahmen. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg setzt man vor allem auf Kommunikation.

Der Einsatz der Polizei soll die allerletzte Option sein. Quarantänebrüche will deshalb niemand ausschließen – „es ist ein Balanceakt zwischen sozialen Fragen und der Eindämmung des Virus“, heißt es aus Neukölln.

Ist die Eindämmungsstrategie der Bezirke bislang erfolgreich?

Zurzeit steigen die Infektionszahlen zwar noch. Aus den Bezirken heißt es aber, dass sie die Lage im Griff haben. Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid sagt: „Die Situation inklusive der Quarantäne ist bei uns stabil.“ Es bestehe reger Kontakt mit den Betroffenen. Amtsarzt Nicolai Savaskan hält den Ausbruch in Neukölln für weitgehend eingedämmt.

Die Strategie habe „epidemiologisch sehr gut funktioniert“, es tauchten kaum noch neue Infektionen auf. Am Freitag wird dort die Quarantäne aufgelöst.

Dilek Kalayci (SPD), Berliner Gesundheitssenatorin, setzt sich ihre Schutzmaske auf. Sie hatte für eine verschärfte Maskenpflicht plädiert.
Dilek Kalayci (SPD), Berliner Gesundheitssenatorin, setzt sich ihre Schutzmaske auf. Sie hatte für eine verschärfte Maskenpflicht plädiert.
© Wolfgang Krumm/dpa

Wie gehen die Gesundheitsämter mit weiteren Ausbrüchen um?

Es kann immer zu lokalen Ausbrüchen kommen. Es gibt zurzeit wieder mehr als 800 aktive Corona-Fälle in Berlin, mehr als doppelt so viele wie Anfang Juni. Besonders Veranstaltungen in geschlossenen Räumen, Gottesdienste oder gesellige Abende in Restaurants und Bars gelten als risikoreich. In Neukölln will man deshalb die eigene Strategie zusammen mit dem Robert-Koch-Institut evaluieren.

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Die Erfahrungen aus Göttingen, wo es zu größeren Konflikten kam, will man für die Zukunft einbeziehen. Einige Bewohner in Neukölln fühlten sich nicht ausreichend informiert, andere verweigerten die Zusammenarbeit. „Wir haben viel gelernt, was die Aufklärung vor Ort betrifft“, sagt Neuköllns Stadtrat Falko Liecke (CDU). Als Allheilmittel gilt die Quarantäne ganzer Häuserblöcke nicht.

Welche Verschärfungen der Eindämmungsmaßnahmen drohen?

Sollte das Virus weiter gestreut haben als bekannt, drohen neue Einschränkungen. „Wir müssen dann schauen, ob wir weitere Lockerungen sein lassen oder Maßnahmen ergreifen“, sagt Gesundheitssenatorin Kalayci. Ein zweiter berlinweiter Lockdown gilt als unwahrscheinlich, viele Betriebe würden das nicht überleben. Der Senat hat die Maskenpflicht verschärft, verhängt Bußgelder bis zu 500 Euro.

Entscheidend ist, in welchen Farben die Dreierampel des Senats leuchtet: Zweimal Gelb heißt Redebedarf, zweimal Rot heißt Handlungsbedarf. Es gäbe die Möglichkeit, heißt es aus Senatskreisen, Sperrstunden für Restaurants und Bars wieder einzuführen, Besuche in Krankenhäusern und Heimen erneut zu verbieten. Der Öffnungsplan für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen könnte kassiert werden oder das Kontaktverbot wieder eingeführt werden. Noch ist das nicht nötig.

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