Schönefeld fehlen Kapazitäten für den Sommer: Aus für Flughafen Berlin-Tegel verzögert sich
Die ab 15. Juni geplante Schließung Tegels muss wohl abgesagt werden. Die Fluggesellschaften rechnen mit mehr Nachfrage, die SXF-Kapazitäten reichen nicht aus.
Nach dem drastischen Einbruch bei Starts und Landungen aufgrund der Corona-Pandemie erhöhen viele Airlines zu den Sommerferien in der Hauptstadtregion das Flugaufkommen wieder. Das hat nach Tagesspiegel-Information zur Folge, dass die ab 15. Juni geplante vorzeitige Schließung des Berliner Airports Tegel wohl abgesagt werden muss.
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup wollte Kosten sparen. Deswegen sollte der Flughafen Tegel ab dem 15. Juni zunächst für zwei Monate geschlossen werden.
Aber nun nehmen die Airlines nach Tagesspiegel-Recherchen den Flugbetrieb nach dem Corona-Lockdown in stärkerem Umfang wieder auf als erwartet. Und bei steigenden Passagierzahlen geraten die Abfertigungskapazitäten am alten Schönefelder Airport, wo der gesamte Flugverkehr bis zum BER-Start am 31. Oktober abgewickelt werden soll, schnell ans Limit. Statt 30.000 können dort nur 10.000 Passagiere pro Tag abgefertigt werden.
„Aufgrund der derzeit gültigen Vorschriften über pandemiebedingte Kontaktbeschränkungen und notwendige Abstandsregelungen ist von einer durchschnittlichen Reduzierung der Abfertigungskapazität um jeweils zwei Drittel auszugehen“, heißt in einer unveröffentlichten Antwort des Senats auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Christian Gräff, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Die Aussage bezieht sich nicht nur auf Schönefeld/Alt, sondern auch auf den BER. Auch der neue Flughafen, der am 31. Oktober in Betrieb gehen soll, würde bei Abstandsvorschriften nur ein Drittel der Kapazität schaffen.
Was das bedeutet, fasst Gräff so zusammen: „Mit einer um zwei Drittel geringeren Abfertigungskapazität wäre es für die gesamte Hauptstadtregion fahrlässig, Tegel vor der Eröffnung des BER zu schließen.“
Airlines starten ab Mitte Juni neu durch
Lütke Daldrup hatte die Idee, Tegel vorübergehend zu schließen, mit dem Totaleinbruch im Flugverkehr wegen der Corona-Pandemie begründet, mit dem seit März täglich nur 1500 bis 2500 Passagiere statt 100.000 wie sonst in Tegel und Schönefeld abgefertigt wurden. Wenn nur ein Flughafen in Betrieb ist, hätte die Flughafengesellschaft laut Lütke Daldrup sieben Millionen Euro gespart.
Mit der Pandemie hatten die Airlines auch in Berlin den Flugbetrieb weitgehend eingestellt. Ab 15. Juni fliegen sie wieder.
Rechtzeitig vor der Sommersaison starten die Airlines ab Mitte Juni neu durch. So wird die irische Billig-Airline Ryanair nach einer zweiwöchigen Anlaufphase ab dem 1. Juli in der Gesamtflotte insgesamt 40 Prozent seiner Flüge durchführen, wobei es in Berlin dem Vernehmen nach etwas mehr sein sollen, von etwa 50 Prozent ist die Rede.
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Der britische Billigflieger Easyjet, seit der Air-Berlin-Pleite die größte Airline in Berlin, nimmt hier Mitte Juni den Flugverkehr wieder auf und bietet im Sommerflugplan bisher einen Großteil ihrer Flüge ab Tegel an. Von hier aus geht es unter anderem nach Düsseldorf, Köln/Bonn und München, aber auch zu touristischen Metropolen wie Athen und Rom. Ab Schönefeld stehen beispielsweise Barcelona und Mailand im Flugplan, London und Paris werden von beiden Berliner Flughäfen angesteuert.
Man wolle so lange wie möglich in Tegel starten, sagte Deutschlanddirektor Stephan Erler dem Tagesspiegel. Alternativ plant man aber auch mit einer Konzentration der Dienste auf Schönefeld.
Der gegenwärtige Flugplan umfasst die Flüge, die auch schon vor der Krise geplant waren und wird gegenwärtig überarbeitet. Allerdings erfreuen sich die Angebote bereits einer gewaltigen Nachfrage.
So sind die drei wöchentlichen Flüge von Tegel nach Dubrovnik bereits bis Ende August ausgebucht und nach Amsterdam, das fünfmal pro Woche angesteuert wird, gibt es im Juli und August jeweils nur noch einen Flug mit freien Plätzen.
Easyjet, die größte Airline der Region, kündigte am Dienstag an, im Juli jede zweite Strecke wieder bedienen zu wollen. Ab August sollen es dann 75 Prozent sein, allerdings in geringerer Frequenz „von 30 Prozent der regulär geplanten Kapazität von Juli bis September“.
Lufthansa stockt ihr Flugprogramm in Berlin auf
Angesichts der wieder rasant steigenden Nachfrage haben sich die meisten Fluggesellschaften dem Vernehmen nach gegen eine vorzeitige, temporäre Tegel-Schließung ausgesprochen. Sie befürchten, dass es gerade durch die verlangsamte Abfertigung aufgrund der Abstandsregeln in Schönefeld zu Engpässen kommt. Man kommentiere behördliche Anfragen nicht, hieß es dazu bei Easyjet.
Die Lufthansa-Gruppe, die derzeit aus Tegel täglich einige Flüge zu den Umsteige-Airports München und Frankfurt/Main anbietet, stockt ihr Flugprogramm in Berlin auf. „Die Lufthansa Group erweitert ihr Flugangebot in Berlin ab dem 15. Juni. Die Verbindungen nach Frankfurt und München werden leicht aufgestockt, zudem werden Zürich und Brüssel wieder angeflogen“, sagte Lufthansa–Sprecherin Sandra Courant.
Auch die Wiederaufnahme der Verbindung nach Wien sei in Planung. „Eurowings fliegt zusätzlich zu Köln, Düsseldorf und Stuttgart ab Juni nach Palma de Mallorca.“ Ab Juli sei eine weitere Ausweitung zu erwarten, heißt es.
Die Lufthansa hat ihre Berliner Basis bisher ausschließlich in Tegel. Sie hat keinen Abfertigungsschalter in Schönefeld, das Kürzel „SXF“ ist im Buchungssystem nicht einmal auffindbar.
Entsprechend kritisch sieht man dort eine Tegel-Schließung weiterhin. „Kurzfristige Standortwechsel sind aufwendig und kostenintensiv“, sagt Sprecherin Courant. „Sinnvoll wäre es, die Einstellung des Flugbetriebs in Tegel präzise auf die Inbetriebnahme des BER abzustimmen.“
Antrag bisher nicht bei der Berliner Luftfahrtbehörde eingereicht
Inzwischen wird selbst die Zeit knapp, um Tegel ab 15. Juni „von der Betriebspflicht“ zu befreien. Auf dieses Datum hatten sich Berlin, Brandenburg und der Bund, die Gesellschafter der Flughafengesellschaft am 20. Mai geeinigt. Eine Bedingung der Eigner war aber, dass „die bedarfsgerechte Bedienung des zivilen Luftverkehrs jederzeit sichergestellt“ sein muss, was nun fraglich wird. Beantragt war bisher eine temporäre Schließung zum 2.Juni.
Der nötige Flughafen-Antrag für die Schließung ist bei der Berliner Luftfahrtbehörde bisher nicht eingereicht. Der Antrag müsse nach Eingang zunächst „sorgfältig geprüft werden“, erklärte die zuständige Senatsverwaltung am Dienstag. Danach werden Airlines und Bodendienstleister angehört.
Der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF) fordert zügige Klarheit. „Um die Wiederaufnahme des Verkehrs in Berlin planen zu können, brauchen die Airlines vor allem schnellstmöglich Planungssicherheit, welche Flughafenkapazitäten in den Monaten ab Juli zur Verfügung stehen“, sagte Geschäftsführer Michael Engel dem Tagesspiegel. „Ansonsten läuft Berlin Gefahr, in der Wiederaufnahmephase im Vergleich zu anderen Standorten abgehängt zu werden.“
Ein Umzug nach Schönefeld „und ein Rückumzug nach Tegel, um dann noch einmal von Tegel an den BER umzuziehen“, sei für die Airlines „keine Option.“
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Die Flughafengesellschaft schließt inzwischen zumindest nicht mehr aus, dass Tegel doch bis zum BER-Start offen bleiben könnte. Und auch der Chef selbst, Engelbert Lütke Daldrup relativiert: „Mit mir wird es keine leichtfertige Schließungsentscheidung geben“, sagte Lütke Daldrup in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“.
Im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hatte er sich schon in der vergangenen Woche nicht mehr festgelegt. Er verwies darauf, dass er Tegel früher schließen und während des Lockdowns ab April nicht zwei Flughäfen am Netz hatte lassen wollen.
„In den letzten zwei Monaten nicht zu fliegen, wäre wirtschaftlich vernünftiger gewesen“, sagte Lütke Daldrup. „Wir hätten einen Sparbeitrag erzielen können.“ Schon dort war es eine Aussage im Konjunktiv.