Nostalgische Besuche am Flughafen: „So ein Ende hat Tegel nicht verdient“
Der Flughafen Tegel schließt vorübergehend ab dem 15. Juni. Ob er wieder öffnet ist unklar. Viele Flughafen-Liebhaber suchen den Airport auf, um sich zu verabschieden.
Deniz Ertugrul steht vor Terminal A und ist trotz Feiertag beschäftigt. „Sie können hier nicht rein“, sagt er zu einem Ehepaar. Zwei Minuten später weist er eine Familie ab. „Leider geschlossen.“ Seit zehn Jahren arbeitet Ertugrul in Tegel in verschiedenen Funktionen. Als Disponent, im Boarding, zuletzt als Luftsicherheitskontrolleur, jetzt eben Türsteher.
Seit einer Woche ist Terminal A für den Publikumsverkehr geschlossen, in den verlassenen Gängen flimmert noch Werbung auf den Bildschirmen. Zuletzt hatten in dem Gebäude nur noch die Apotheke und eine Starbucks-Filiale geöffnet. Doch es kam niemand mehr.
Seit Wochen wird der verbliebene Luftverkehr – etwa zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – im Terminal C abgewickelt. Für Terminal A, das markante Hexagon, interessieren sich nur noch nostalgische Flughafen-Liebhaber. Ertugrul muss sie verscheuchen.
Wenn Tegel am 15. Juni wahrscheinlich für immer vom Netz geht, sei das kein schönes Ende, findet er. Wenigstens als Inlandsflughafen hätte er sich einen Weiterbetrieb gewünscht, immerhin habe der Betrieb gut funktioniert. „Tegel hat das zwölffache seiner Kapazität geleistet“, sagt er und klingt stolz. „Ich arbeite hier gerne, bin in zehn Minuten zu Hause“, sagt er.
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Zum BER werde er zwei Stunden brauchen, befürchtet er. Er will sich nach einem neuen Job umsehen, doch so einfach sei das in der aktuellen Krise nicht. Dann muss Ertugrul wieder ein paar Neugierige enttäuschen. „Kein Einlass, tut mir leid.“
„Ich bin nur wegen der besonderen Architektur hier“
Einer von ihnen ist Allard van der Haok. Mit Mundschutz, großer Spiegelreflex und Rucksack streift er über das Gelände, sucht nach Perspektiven und Details. „Ich bin nur wegen der besonderen Architektur hier“, sagt er. Der 60er Jahre Stil, das brutalistisch-funktionale gefalle ihm.
Van der Haok ist selbst Architekt, zieht auf der Suche nach Motiven häufig durch die Stadt und wohnt wegen des Stils im Hansaviertel. Er zeigt auf die Fliesen, Kacheln an der Decke, den Tower. „Hier ist alles auf das Sechseck ausgelegt.“
Dass der Flughafen schließt, bewege ihn eigentlich nicht. Nur um den Bau sei es traurig, so ein Airport werde wohl nicht nochmal auf der Welt gebaut. „Der BER interessiert mich vom Stil gar nicht.“
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Viele, die an diesem Tag zum Flughafen gepilgert sind, haben mehr Emotionen. Einige sind mit dem Rad gekommen, andere in Wanderschuhen. Mit Maske, Rucksack und Teleobjektiv laufen sie auf dem Areal, fotografieren die fast leere Anzeigetafel, die geparkten Maschinen und das Rollfeld.
„Tegel ist für mich Heimat“
„Tegel ist für mich Heimat“, sagt ein Mann, der mit Kamera und großem Stativ den Tower im Visier hat. Der 30-Jährige ist in Reinickendorf nicht weit vom Flughafen groß geworden, als Kind hätten seine Großeltern vom Bau und der Luftbrücke erzählt. Tegel als Ort der Freiheit in einer eingesperrten Stadt. Die Faszination hat sich übertragen. Als Planespotter war er regelmäßig auf der Besucherterrasse und am Zaun, hat Starts und Landungen festgehalten.
Inzwischen wohnt der Mann im Norden Brandenburgs. Um sich zu verabschieden ist er mit dem Auto eine Stunde angereist. „Man hat gesehen, dass Tegel aus allen Nähten platzt, aber deswegen hätte man ihn nicht schließen müssen.“ London, Paris und andere Metropolen hätten auch mehrere Flughäfen. Er sei traurig, dass der Airport nun in der Coronakrise dichtgemacht werde. Ganz ohne Feier, kaum noch Flüge, fast vergessen. „So ein Ende hat Tegel nicht verdient.“
„Die Stadt ermordet sich hier gerade selbst“
Zwei Frauen im mittleren Alter haben rosa Nelken mitgebracht. „Die wollen wir zur Beerdigung niederlegen“, sagt eine. Sie meinen es ernst, beide sind Vielflieger, sind zwei- bis dreimal die Woche in Tegel. Ihre Freundin ist sauer auf die rot-rot-grüne Politik: „Die Stadt ermordet sich hier gerade selbst.“ Berlin schneide sich vom Rest der Welt ab, der BER könne nicht mit München oder Frankfurt mithalten.
Tegel hätte man für Vielflieger wie sie offenhalten müssen – als Luxusterminal. „Schönefeld ist doch schlimmer als jeder Dritte-Welt-Flughafen“, sagt sie. Dreckig, Kaugummi unter den Sitzen, nicht mal eine Lounge gebe es.
Taxifahrer haben 80 Prozent Umsatzeinbußen
Auch am Taxistand vor Terminal C sind sie sauer auf die Politik. „Wir haben 80 Prozent Umsatzeinbußen. Wenn sie Tegel schließen, werden es 100 Prozent sein“, sagt ein Fahrer, die Männer um ihn herum nicken.
Seit Wochen ist ihnen das Geschäft eingebrochen. Vier bis fünf Stunden warten sie auf eine Fahrt. „Gestern hatte ich bis Feierabend zwei Fahrten“, sagt ein älterer Mann mit Hut. 44 Euro habe er in 14 Stunden verdient. „Das war ein guter Tag.“ Wenn Tegel in drei Wochen schließt, wissen sie nicht wohin.
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Die Taxistände in der Stadt sind voll, aber kaum jemand nutzt sie noch. Die Touristen sind weg, viele Geschäftsleute auch. Nach Schönefeld dürfen sie nicht – weil das in Brandenburg liegt. „Da hat eine 8000-Einwohner-Gemeinde einer 3,7 Millionen-Einwohner-Stadt die Regeln diktiert“, sagt einer verärgert. Die Verkehrssenatorin habe sich über den Tisch ziehen lassen, „peinlich“ sei das.“
Es ist merkwürdig still
Doch dann kommt Bewegung in die Taxischlange. Am Ende von Terminal C öffnet sich die Schiebetür. Menschen mit Masken und Koffern strömen heraus. Aus Amsterdam ist eine KLM-Maschine gelandet – eine von nur acht an diesem Tag. Mit dem Ellbogen werden die Reisenden begrüßt, manche berühren sich mit den Schuhen. In die Arme fällt sich niemand, es ist merkwürdig still.
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Etwas abseits steht ein Paar, das sechs große Koffer dabei hat. Zehn Jahre haben die beiden in New York gelebt, jetzt sind sie zurück in ihrer Heimatstadt. „So haben wir uns den Umzug nicht vorgestellt“, sagt die Frau. Ihre Mutter hat sie abgeholt, muss aber Abstand halten. Zu schlimm wütet das Coronavirus in New York.
Praktisch, einfach und schnell sei der Airport
Nur die Schlüsselübergabe machen sie, dann zwei Wochen in Quarantäne. „Wir sind aus dem Osten, da haben wir nicht so die Bindung zu Tegel“, sagt die Mutter. Praktisch, einfach und schnell sei der Airport, findet die Tochter. Dass sie hier eben vermutlich das letzte Mal gelandet ist, löst in ihr nichts aus.
Dann entfernen sich die letzten Passagiere, das Scheppern der Rollkoffer verhallt. Es ist ruhig, das nächste Flugzeug wird erst in vier Stunden erwartet. Nur immer neue Fotografen kommen, schauen und fotografieren den Flughafen, der längst zum Wahrzeichen der Stadt der Freiheit geworden ist.
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