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Da gab's noch was zu essen. Kurz vor der Schließung der Buden waren diese am Sonnabend gut besucht.
© Cay Dobberke

Berlin-Charlottenburg: Aus für die Buden an der Gedächtniskirche

Nach 15 Jahren musste der Markt an der Gedächtniskirche schließen, weil die Buden die Optik des Platzes verschandelt haben sollen. Jetzt klagen Touristen über die verrammelten Imbissstände – und betroffene Händler stehen vor dem Gang zum Arbeitsamt.

Ivan kommt aus der russischen Stadt Ufa, er bummelt mit seiner Frau beim Berlinbesuch über den Breitscheidplatz. Da sieht er die verrammelten Holzbuden, die sich an die Gedächtniskirche schmiegen. „Es wäre besser, wenn die offen wären“, sagt der kräftige Mann. Als Tourist wolle man hier im Zentrum Berlins doch spontan was trinken und einen Snack essen.

Den kleinen Markt mit Imbiss-, Souvenir- und Kunsthandwerksständen gab es seit 15 Jahren – seit Samstagabend ist er Geschichte. In den vorigen Monaten war die Zahl der Buden von mehr als 20 auf rund ein Dutzend reduziert worden – wegen der Optik –, doch das genügte dem zuständigen Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf nicht. Nun mussten die Hütten schließen. Sie bleiben vorerst noch stehen, sollen aber im Laufe dieses Monats weggeräumt werden. Fast alle bis zuletzt verbliebenen Händler und Mitarbeiter sehen sich beruflich vor dem Aus.

Kein Imbiss mehr unterm Kreuz. Jetzt stehen die Holzbuden verwaist da.
Kein Imbiss mehr unterm Kreuz. Jetzt stehen die Holzbuden verwaist da.
© Mike Wolff

„Ich werde Hartz-IV-Empfängerin“, sagt eine frustrierte Crêpes-Verkäuferin am Wochenende. Nach rund 30 Jahren schließt auch die beliebte Chickendönerbude „Superhahn“. „Wir haben noch keinen anderen Standort gefunden“, sagen die Betreiber, die den Imbiss vor rund zwei Jahrzehnten übernommen hatten. Den Stammplatz am östlichen Ende der Kantstraße mussten sie bereits vor mehr als einem Jahr für den Bau des Hochhauses „Upper West“ räumen.

Maruf Parlak, der Touristen Erfrischendes an der „Fruit Bar“ verkaufte, musste jetzt alles wegwerfen, nun folgt der Gang zum Arbeitsamt, wie er sagt. „Deutsche Bürokratie“, fügt sein Mitarbeiter achselzuckend hinzu – „dabei machen doch offene Läden Touristen froh“. Mehr Glück haben die Hamburgerbrater von „Hauptstadtburger“. Nach Auskunft eines Mitarbeiters entsteht ein festes Lokal im Einkaufscenter „Mall of Berlin“, das Ende Mai am Leipziger Platz öffnen soll.

Bezirkspolitiker sahen Buden als Schandflecke

Nach Ansicht des Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrats Marc Schulte (SPD) hatten die Buden „das Bild der Gedächtniskirche als Kulturdenkmal verschandelt“. So sahen es auch die meisten anderen Bezirkspolitiker. Der Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hatte bereits Schultes Amtsvorgänger, der heutige Bundestagsabgeordnete Klaus-Dieter Gröhler (CDU), eine Frist gesetzt: Die Buden sollten nur noch während der Sanierung des alten Kirchturms geduldet bleiben.

Die Fertigstellung war für Ende 2013 geplant. Aber es gibt noch immer Schäden am Beton unter der Glockenstube, der Abbau der Gerüste wurde gestoppt und soll erst ab Juni weitergehen. Pfarrer Martin Germer bat Stadtrat Schulte erfolglos, die Frist bis dahin zu verlängern; sonst sei mit Schadensersatzforderungen von Händlern zu rechnen. Laut Germer wurden über die Vermietungseinnahmen die zweite Pfarrstelle und die Reinigung des Podiums an der Kirche finanziert. Dagegen stammen die Mittel für die Turmsanierung allein aus Spenden und Lottomitteln, viele Bürger beteiligten sich als „Fugenpaten“. Mittlerweile wirbt die Gemeinde für „Podiumpatenschaften“, denn auch die Bodenplatten draußen sind marode.

Nur Souvenirshop und Dritte-Welt-Laden dürfen bleiben

„Achtung unebener Boden Sturzgefahr! Mind your step“ steht draußen auf einem Schild, mit dem Versprechen: „Wir werden die Pflasterung sanieren“, wenn genügend Spenden eingegangen seien. Dann folgt der Verweis auf „ein Terminal für EC- und Kreditkartenüberweisungen in der Gedenkhalle im Alten Turm“. „Markt zur Unterstützung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ steht auch auf den Schildern an den nun geschlossenen Buden. Einzig der tiefer gelegene „Souvenirshop“ darf weiter Einnahmen auch zugunsten des Kirchenfördervereins machen. Und der Dritte-Welt-Laden im Neuen Turm bleibt ebenfalls offen.

Pfarrer Germer geht es aber nicht nur ums Geld. Durch soziale Kontrolle hätten die Händler die Probleme mit Alkoholikern, Drogensüchtigen und der Kriminalität rund um die Kirche vermindert. Vorerst abgeblitzt ist der Pfarrer mit seiner Idee eines Kirchencafés mit Außengastronomie. Es sollte im Nebengebäude am westlichen Rand des Breitscheidplatzes entstehen, das „Foyer“ genannt wird und als Beratungsstelle dient. Sowohl der Bezirk als auch Landeskonservator Jörg Haspel lehnten Gastronomie aus Denkmalschutzgründen ab. Germer deutet an, er sehe eine neue Lösung für das Café, nennt dazu aber noch keine Einzelheiten.

Christiane Mölges, 64, lebte 30 Jahre lang bei Marburg auf einem Dorf, nun ist sie zurück in der alten Heimat und begeistert von der Lebendigkeit der Stadt. Aber die Buden? „Ein Schandfleck, dieses Country-Living-Getue passt doch nicht.“ Verkaufsstände für Getränke und Snacks sollten trotzdem sein, „aber bitte minimalistischer“. Und sie sagt: Auch „Jesus hat einst Händler aus dem Tempelbereich vertrieben. Aber Kirchen waren eben schon immer auch zentrale Handelsorte – darüber sollten sich die Planer mal inhaltlich Gedanken machen“.

Cay Dobberke, Annette Kögel

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