Vorstoß der Berliner SPD-Fraktion: Auch Sekundarschulen sollen Notbetreuung anbieten
Bei der Öffnung der Schulen will die SPD der Förderung benachteiligter Schüler Vorrang vor dem Regelbetrieb geben. Am Dienstag berät der Senat über das Thema.
Wenn ab kommenden Montag allmählich die Öffnung der Schulen beginnt, will die Berliner SPD-Fraktion die Notbetreuung von den Grundschulen auf die Sekundarschulen ausweiten und ihr im Zweifelsfall den Vorrang vor dem regulären Unterricht geben. Ein entsprechender Antragsentwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, wurde vom Fraktionsvorstand bereits beschlossen.
Das Augenmerk der Fraktion richtet sich auf Schüler, die zu Hause vernachlässigt werden, auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, auf Förderschüler und Kinder berufstätiger Alleinerziehender. Ein weiteres Kriterium, um in die Notbetreuung aufgenommen zu werden, wäre, dass in den vier Wochen der Schulschließung kein Kontakt zwischen einem Schüler und den Lehrkräften zustande kam: ein klarer Fall von Schuldistanz.
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Dass diese Gruppen von Schülern schnellstmöglich zurück in die Schule kommen, soll oberste Priorität haben. Im Antrag lautet das so: „Die Erweiterung der Notbetreuung hat bei kapazitätsbedingten Konflikten Vorrang gegenüber der Rückkehr zum Regelbetrieb.“
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Da die Schulen mit erheblichen räumlichen und personellen Engpässen rechnen, ist das Kapazitätsargument entscheidend, denn beides – erweiterte Notbetreuung plus Rückkehr zum Regelbetrieb – ist nicht überall machbar. Im Gegenteil: Schon gibt es Schulfachleute, die davon ausgehen, dass es wegen des Abstandsgebots und der übrigen Einschränkungen „bis Weihnachten“ dauern könnte, bis alle Jahrgänge zurück in den Schulen sind.
Bildungsforscher gehen in die gleiche Richtung
Schon vor einer Woche hatten sich namhafte Bildungsforscher und Schulpraktiker an die Bildungsminister der Länder gewandt und an sie appelliert, den sozial benachteiligten Schülern den Vortritt in den Schulen zu lassen. Allerdings ist inzwischen klar, dass jedes Bundesland mit diesem Problem anders umgehen wird – je nachdem, wie groß die Gruppe der Kinder aus bildungsfernen und armen Familien ist: In Berlin ist diese Gruppe im Verhältnis zur Gesamtschülerzahl besonders groß.
„Berlin ist nicht Stuttgart. Unsere Kinder brauchen beim Wiedereinstieg in die Schule andere Antworten als Flächenländer“, sagt denn auch Maja Lasic, die bildungspolitische Fraktionssprecherin der SPD. Damit die besonders bedürftigen Schüler schnell zurück in die Schulen kommen, sei in Kauf zu nehmen, dass andere Kinder länger warten müssten, um ein weiteren Auseinanderdriften beim Bildungserfolg zu verhindern.
An diesem Dienstag wird sich der Senat mit dem Thema befassen. Erwartet wird, dass sich die rot-rot-grünen Senatoren mit Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) über den Vorstoß der SPD-Fraktion austauschen werden.
Die Kultusminister suchen gemeinsamen Rahmen
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte bereits am Montag ein "Rahmenkonzept für die Wiederaufnahme von Unterricht in den Schulen" beraten, das am Dienstag "endabgestimmt" werden und der Ministerpräsidentenkonferenz für die nächste Beratung mit der Bundeskanzlerin zugeleitet werden soll, wie die KMK mitteilte.
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Am Montagabend wurde von der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig, offiziell nur mitgeteilt, dass die Gespräche "insgesamt sehr konstruktiv und von dem gemeinsamen Willen geleitet waren, ein Gesamtkonzept für die Öffnung der Schulen vorzulegen". Welche Rolle dabei die Frage einer vorzeitigen Öffnung für soziale Benachteiligte spielte, war nicht zu erfahren.
Die Fraktion fordert eine "Dienstanweisung" der Senatorin an Lehrer
Der SPD-Antrag beschäftigt sich auch mit der Rolle der Lehrer: Damit auch außerhalb der Notbetreuung Förderung stattfindet, fordert die Fraktion, dass Scheeres eine "allgemeine Dienstanweisung" erlässt, mit der die "Ausgestaltung des Kontaktes" zwischen Pädagogen und Schülern während der Beschulung zu Hause "genau definiert werden soll". Damit solle der vorhandene Leitfaden für Lehrkräfte "auf verbindliche Füße gestellt werden" - etwa im Hinblick auf "die Häufigkeit und Form der individuellen Kontakte".
Wie berichtet, kritisierte bereits der Landeselternausschuss (LEA), dass manche Lehrer den Kontakt "verweigern". Bildungssenatorin Scheeres hatte es im Tagesspiegel-Interview aber abgelehnt, derartige Anweisungen zu treffen, die schon der LEA eingefordert hatte.
Leasing-Geräte für das digitale Lernen?
Damit die sozial benachteiligten Schüler zuhause besser im Homeschooling zurecht kommen, will es die SPD-Fraktion nicht bei den 10.000 Endgeräten belassen, die das Land Berlin für diese Schülergruppe anschafft. Vielmehr müsse es die Endgeräte für alle Schüler geben, die Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs-und-Teilhabe-Paket haben. Dabei dürfte es sich in Berlin um rund 100.000 handeln.
Die Fraktion schlägt ein "auf Dauer angelegten Leasing-Verfahren" vor, mit dem "adäquate Laptops mit einer standardisierten und volllizenzierten Software-Lösung kostenfrei an Schülerinnen und Schüler verliehen werden können".