Appell von Bildungsforschern und Schulpraktikern: Sozial Benachteiligte sollen früher zurück an die Schulen
„Mit jedem Tag wächst der Abstand“: Deutschlands führende Schulfachleute warnen davor, dass arme Schüler noch mehr abgehängt werden.
Führende deutsche Bildungsforscher und Schulpraktiker haben am Montag einen Appell an die deutschen Kultusminister gerichtet mit dem Ziel, sozial benachteiligte Kinder und Jugendlichen bei einer schrittweisen Öffnung der Schulen „bevorzugt zu berücksichtigen“. Andernfalls würden sie noch mehr abgehängt.
Zur Begründung heißt es, dass sich die Coronakrise "besonders schwerwiegend" für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebensverhältnissen auswirke. Dadurch steige die Gefahr, dass sie „abgehängt“ würden, heißt es in dem Appell, der dem Tagesspiegel vorliegt. Diesen Schülern fehlten nicht nur die erforderlichen digitalen Geräte und der Internetzugang, sondern vor allem seien "die Möglichkeiten der familiären Unterstützung eingeschränkt", da nicht alle Eltern hinreichend mit der deutschen Sprache und den Bildungsinhalten vertraut seien.
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Seit Wochen mangele es nicht nur an schulischen Lerngelegenheiten, sondern auch an der alltäglichen deutschen Sprachpraxis: "Mit jedem Tag Abstand zur Schule wächst in ihrem Lernstand die Differenz zu denjenigen, die Tag für Tag an den von der Schule vorbereiteten Lernaufgaben arbeiteten, dabei technisch, emotional und fachlich unterstützt von ihren Eltern", beschreiben die Unterzeichner ihre Einschätzung der aktuellen Lage. Wie berichtet, beklagt der Berliner Landeselternausschuss, dass manche Lehrer die Kommunikation "verweigern".
Zwar gebe es "gute Gegenbeispiele" - von Schulen, die den Kindern die Lernmaterialien vor die Tür brächten und von Lehrkräfte, die die Jugendlichen am Handy persönlich beraten. Das strukturelle Problem werde dadurch "gemildert, aber nicht gelöst".
Es geht um eine "erweiterte Notfallbetreuung"
Da ohnehin nicht alle Schüler gleichzeitig in die Schule zurückkehren könnten, solle zunächst vor allem denjenigen Kindern und Jugendlichen der Schulbesuch ermöglicht werden, die eine besondere Unterstützung benötigen: "Sie sollten die Chance bekommen, auch vor der offiziellen Öffnung für alle Schüler in den Räumen der Schule beim Lernen von Lehrkräften betreut zu werden". Eine solche Maßnahme wäre rechtlich eine „erweiterte Notfallbetreuung“, die auf der Freiwilligkeit der Teilnahme beruhen müsste, heißt es in dem Appell.
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Um die wirklich bedürftigen Schüler zu finden, wollen sich die Forscher auf die Expertise der Lehrer verlassen, die "vermutlich recht genau wissen, wen sie in den letzten Wochen mit ihren Lernangeboten nicht oder kaum erreichen konnten". Zudem wüssten auch viele Eltern selbst, dass ihre Kinder Hilfe brauchen. Beratungseinrichtungen und die Jugendhilfe könnten zusätzlich unterstützen bei der Auswahl der bedürftigen Kinder.
In manchen Schulen dürften ganze Klassen betroffen sein
Da in manchen Schulen und Stadtteilen "vermutlich auch ganze Klassen betroffen wären", empfehlen die Unterzeichner in diesen Fällen zeitich versetzten Unterricht. Auch Unterricht an außerschulischen Lernorten sei denkbar. Zudem brauche man eine Ganztagsbetreuung für diese Klientel. Berlin will mit dem Projekt "Lernbrücken" diese Kinder erreichen.
Damit sich jene, die nicht vom vorgezogenen Schulbesuch profitieren, nicht benachteiligt fühlen, soll "die Maßnahme nur für den Zeitraum gelten, bis alle Kinder und Jugendlichen die Schulen wieder besuchen können", heißt es in dem Appell.
Initiiert wurde der Vorstoß von Cornelia von Ilsemann und Siegfried Arnz vom Entwicklungsnetzwerk für „Schulen in kritischer Lage“ der Robert Bosch Stiftung. Zu den Unterzeichnern zählen neben dem bekanntesten deutschen Pisa-Forscher Jürgen Baumert und dem einflussreichen Bildungsforscher Olaf Köller von der Universität Kiel mehrere Schulleiter, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurden.
Zudem finden sich namhafte Schulforscher etlicher deutscher Universitäten auf der Unterschriftenlisten, darunter Eckhard Klieme und Kai Maaz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Heinz Günter Holtappels vom Institut für TU-Schulentwicklungsforschung, Klaus Klemm von der Universität Duisburg-Essen, HU-Professor Anand Pant sowie die frühere Berliner Bildungssenatorin Sybille Volkholz als Vorsitzende des Fachbeirats Inklusion.
Den Appell zusammen mit der Liste der Unterstützer können Sie HIER als pdf-Datei herunterladen
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