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Hinter den Kulissen. Ilan Stephani will das Thema Prostitution aus der Schmuddelecke holen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Prostitution in Berlin: Anschaffen aus Neugierde

Ilan Stephani hat während ihres Studiums als Prostituierte gearbeitet. In ihrem Buch berichtet sie über ihre Zeit in einem Berliner Bordell.

Wer sich mit Ilan Stephani auf einen Tee trifft, tritt in einen wohligen Raum aus Kerzenlicht, weichen Kissen und dampfenden Bechern ein. In der Ecke steht auf einem kleinen Altar, das Bild der hinduistischen Göttin Kali, der Gruppenraum hinter dem Vorhang erinnert an ein Yogastudio. Die zierliche 31-Jährige sitzt in bequemen Hosen im aufrechten Schneidersitz, spricht wohlüberlegte Sätze über Traumaheilung und Energieniveau. Sie sagt aber auch Sätze wie: „Meine Logik von Scham ist nicht: Je nackter ich bin, desto freier bin ich.“

Ilan Stephani ist vieles gleichzeitig: Die gebürtige Berlinerin hat Philosophie und Kulturwissenschaften studiert, nebenbei als Prostituierte gearbeitet, Tantra und Körpertherapie gelernt, ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, sie gibt Selbstverteidigungskurse für Frauengruppen. „Ich nenne mich nicht Therapeutin“, sagt sie. „Ich sehe mich als Fädenknüpferin zwischen den Feldern.“

Buch über ihre Zeit als Prostituierte

Nun hat sie in Zusammenarbeit mit der Journalistin Theresa Bäuerlein das Buch „Lieb und teuer“ über ihre Zeit als Prostituierte herausgebracht. Zehn Jahre ist das bereits her, jetzt kann sie ihre Erlebnisse mit Abstand reflektieren. Das Ergebnis ist ein Buch, das mit Recht Aufsehen erregt hat: Im Gegensatz zu anderen Erzählungen von ehemaligen Prostituierten, geht Stephani weit über reine Beschreibung oder gar Voyeurismus hinaus. Sie versucht nicht nur, Prostitution und damit Sexarbeiterinnen und Freier aus der Schmuddelecke zu holen, sie analysiert Prostitution als Phänomen in der Mitte unserer Gesellschaft, als Symptom für eklatante Missstände in der Beziehung zwischen den Geschlechtern. Ihre Thesen sollen den Leser zur Selbstreflexion anregen, mit ihrer Kritik etwa am Prostituiertenschutzgesetz zeigt sie, wie etwas vermeintlich Privates durchaus politisch sein kann.

Der „Puff“, wie sie ihn schonungslos nennt, und Sex sind für Stephani keine ausgelagerten Räume, sondern Spiegel der Gesellschaft, in denen sie einen gründlichen Einblick in verkrustete Rollenmuster, abgestumpfte Sexualität und viel Unsicherheit bekommen hat: Sie lernte Männer kennen, die in dem Ideal des harten, starken Mannes gefangen sind und entdeckte, dass sie deshalb so gut als Prostituierte funktioniere, weil sie dazu erzogen worden war, angenehme Gesellschaft zu sein, zu funktionieren und nicht zu viele Fragen zu stellen.

Prostituierte aus Neugierde

Sie selbst bezeichnet sich als „Tochter aus gutem Hause“, wuchs mit verständnisvollen Eltern auf, genoss Bildung und relative finanzielle Unabhängigkeit, denn den Job als Prostituierte betrieb sie in erster Linie aus Neugierde. Das Bordell, in dem sie arbeitete, gehörte zum gehobenen Segment, die Kunden waren meist gebildet, wohlhabend und aufmerksam. Stephani hatte die Freiheit, Freier abzulehnen und jederzeit mit der Prostitution aufzuhören. Es lässt sich nur erahnen, was Frauen mit knappen finanziellen und sozialen Ressourcen, die womöglich in weniger komfortabel ausgestatteten Einrichtungen arbeiten, als Prostituierte erleben. Denn trotz der guten Arbeitsbedingungen empfand Stephani die Arbeit als abstumpfend und erlebte sogar eine Vergewaltigung.

Diese Erfahrungen prägen sie noch heute: Nach ihrer Zeit als Prostituierte beschäftigte sie sich ausgiebig mit Körpertherapie und Tantra, um wieder sensibler zu werden und ihr Trauma zu verarbeiten. Heute gibt sie ihr Wissen als Körpertherapeutin an andere Frauen weiter, arbeitet mit sexuell traumatisierten Frauen. Sexuelles Trauma bedeutet für sie nicht nur Vergewaltigung, sondern jegliche Form von Grenzüberschreitung, gegen die sich das Opfer nicht wehren konnte und die nicht ausreichend verarbeitet und geheilt wurde. „Was uns Menschen von Tieren unterscheidet, ist, dass das Tier rennt und zittert, wenn es Angst hat“, sagt sie. „Menschen sind keine zitternden Nervenbündel, sie behalten den Stress im Körper und tragen ihn als Trauma mit sich herum.“ Deshalb lehnt sie zu freizügige Praktiken und allzu offensive Gesprächsstrategien ab, denn gerade traumatisierte Frauen bräuchten Grenzen und Sicherheit. „Wir stellen uns Trauma vor wie eine Blase, die man anpiksen muss“, vergleicht sie. „Dabei ist dieses Anpiksen häufig eine Retraumatisierung.“

Sie möchte Frauen Selbstbewusstsein geben

Lieber nähert sie sich dem Erlebnis an, löst kurz die Erinnerung aus und entfernt sich dann wieder zu sicheren Gesprächsthemen.

Alternativ versucht sie, den Frauen über Arbeit mit dem Körper Selbstbewusstsein zurückzugeben: Bei ihren „Tiger Work“-Seminaren lernen sie Selbstverteidigung und dürfen zum Abschluss den mit Schutzpanzerung ausstaffierten Trainer einmal ganz ohne Hemmungen verprügeln. So soll auch der Kopf begreifen, wie viel Stärke in einem steckt. Eine andere Technik besteht darin, dass sie ihre Kundin am Arm berührt und sie bittet, mit aller Kraft dagegenzuhalten, damit sich die Frau ihrer eigenen Kraft bewusst wird. Meistens arbeitet sie mit Gruppen, denn so können die Teilnehmerinnen sich gegenseitig unterstützen und sind weniger abhängig von ihr als Therapeutin.

Bei aller Frauenpower – um Männerhass und Ablehnung von Nähe geht es Ilan Stephani nicht, im Gegenteil. „Eine halbe Stunde später wird es ihnen besser gehen, sie werden die heimlichen Gedanken losgeworden sein, ihre Energie in ein Winkelchen Latex gepresst und in einem Mülleimer entsorgt haben. Insofern sind die wirklichen Opfer ihrer Sexualität die Männer selbst“, schreibt sie in ihrem Buch. Frauen hätten zumindest gute Rollenvorbilder, Männern fehle dagegen die Mitteilungskultur. „Dieser abgehobene, teflonbeschichtete Männlichkeitspanzer, bei dem man nur auf die Karriere fixiert ist, ist etwas so Unsinnliches“, findet sie. Ob Kali und Kerzenschein die Sinnlichkeit zurückbringen, ist allerdings eine andere Frage.

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