Anschlag auf dem Breitscheidplatz: Anis Amri in Berlin monatelang überwacht - ohne Ergebnis
100.000 Euro Belohnung für Hinweise auf den tatverdächtigen Tunesier Anis Amri. In Italien soll er 2011 zu vier Jahren verurteilt worden sein.
Das Bundeskriminalamt hat den Verdächtigen Anis Amri wegen dringenden Tatverdachts öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben. Ér soll 24 Jahre alt und in Tunesien geboren worden sein. Anis Amri ist nach Behördenangaben 178 cm groß, wiegt circa 75 kg, hat schwarze Haare und braune Augen." Vorsicht: Er könnte gewalttätig und bewaffnet sein!", heißt es seitens des BKA. Für Hinweise, die zur Ergreifung des Beschuldigten führen, hat das BKA eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro ausgesetzt.
Schon vor der Tat wurde gegen den Tunesier Anis Amri in Berlin ein Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat eingeleitet. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen habe ein entsprechendes Verfahren gegen Amri initiiert, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf. Die Ermittlungen dazu seien in Berlin geführt worden. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016.
In Berlin wurde Amri von März bis September dieses Jahres überwacht. Das teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Mittwochabend mit. Die Ermittlungen seien aufgrund von Hinweisen von Sicherheitsbehörden des Bundes eingeleitet worden. Es habe Informationen gegeben, wonach der in Nordrhein-Westfalen als „Gefährder“ geführte Verdächtige einen Einbruch plane, um Geld für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen - „möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen“. Die Observierung und Überwachung der Kommunikation habe aber keine Hinweise auf ein staatsschutzrelevantes Delikt erbracht.
Die verdeckte Überwachung habe lediglich Hinweise geliefert, dass Amri als Kleindealer im Görlitzer Park tätig sein könnte, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Es habe auch Hinweise auf eine körperliche Auseinandersetzung in einer Bar gegeben, vermutlich wegen eines Streits in der Dealerszene. Diese Erkenntnisse wurden den Angaben zufolge zur Strafverfolgung den zuständigen Dienststellen weitergeleitet. Für den ursprünglichen Verdacht, dass Amri sich mit einem Einbruch Geld für einen möglichen Anschlag beschaffen wollte, habe es aber keine Hinweise gegeben - trotz Verlängerung der Überwachung. Deshalb musste die Observation den Angaben zufolge im September beendet werden.
Amri, für den die Ausländerbehörde in Oberhausen zuständig sei, habe in Berlin zu diesem Zeitpunkt „nicht mehr festgestellt“ werden können, erklärte die Ermittlungsbehörde. Man habe keine Verbindungen zu seinen früheren Kontaktpersonen mehr beobachtet, der Mann sei auch an den bekannten Anlaufstellen nicht mehr angetroffen worden. Amri war offenbar mit verschiedenen Namen in ganz Deutschland unterwegs. In Polizeikreisen hieß es, der Tunesier habe sich zumindest in Nordrhein-Westfalen in der Salafistenszene bewegt.
Abschiebung mehrfach gescheitert
Amri sei im Juni 2016 als Asylbewerber abgelehnt worden, teilte der nordrhein-westfälische Innenminister mit. „Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte“, sagte Jäger. Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handele. Die für die Abschiebung nötigen tunesischen Ausweispapiere seien erst an diesem Mittwoch, also zwei Tage nach dem fatalen Berliner Anschlag, bei den deutschen Behörden eingetroffen. Amri soll im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. Unklar sei, ob der Tunesier von der Terrormiliz IS gezielt nach Deutschland geschickt wurde.
Die Ermittler hatten eine Duldung des Landkreises Kleve (Nordrhein-Westfalen) in dem Lkw gefunden, der über den Weihnachtsmarkt gerast war. Das Dokument lag im Fußraum. Dass Anis A. die Duldung verlor, deute auf einen Kampf zwischen ihm und dem polnischen Lkw-Fahrer hin, heißt es in Sicherheitskreisen. Der hatte nach Erkenntnissen der Obduktion noch gelebt, als der Täter auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz fuhr. Offenbar habe der Tunesier zunächst auf den Polen eingestochen und ihn dann bei der Fahrt auf den Weihnachtsmarkt mit einem Schuss in den Kopf getötet.
Die Duldung, die im Lkw gefunden wurde, war auf den Namen Ahmad A. ausgestellt. Dabei handelt es sich um eine von mehreren Alias-Personalien, die der Verdächtige benutzte. Jäger betonte, dass diese Duldung bis jetzt der einzige Hinweis aus den Verdächtigen sein. Anis Amri gehört Sicherheitskreisen zufolge zu einem Netz militanter Salafisten in der Bundesrepublik. Der Tunesier sei im Februar als islamistischer „Gefährder“ eingestuft worden. Der 24-Jährige zähle zum Umfeld des Hasspredigers Abu Walaa, den die Polizei am 8. November mit weiteren Salafisten wegen Terrorverdachts festgenommen hatte. Abu Walaa und die vier mutmaßlichen Komplizen sollen die Terrormiliz IS unterstützt haben.
Anis Amri hat laut politico.eu vier Jahre in Italien im Gefängnis gesessen, bevor er 2015 nach Deutschland kam. Amri sei 2011 Catania wegen Gewalttaten, Brandstiftung, Körperverletzung und Diebstahl zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Seine Strafe verbüßte Amri den Angaben zufolge in Haftanstalten in Catania und Palermo. Im Mai 2015 sei er entlassen und in Abschiebehaft in die zentralitalienische Stadt Caltanissetta verlegt worden. Wenige Wochen später sei er entlassen worden und nach Deutschland weitergereist.
Außerdem soll Anis Amri in Tunesien in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft wegen gewaltsamen Raubes verurteilt worden sein, berichtet die New York Times. Dies habe der Vater Amris der tunesischen Radiostation Mosaïque FM am Mittwoch erzählt. Laut des Vaters soll Anis Amri Tunesien bereits vor sieben Jahren verlassen haben.
IS reklamiert Tat für sich
Dier IS reklamierte die Tat bereits am Montag für sich. Ein nach dem Anschlag festgenommener Pakistaner war am Dienstag wieder freigelassen worden, weil kein dringender Tatverdacht gegen ihn bestand. In den frühen Morgenstunden am Mittwoch gab es laut RBB eine weitere Festnahme. Auch dieser Festgenommene stellte sich jedoch nicht als der Täter heraus.
Die Polizei geht davon aus, dass der Täter verletzt ist. Im Fahrerhaus des LKW wurden DNA-Spuren gesichert. Deshalb suchte die Polizei in den vergangenen Stunden sämtliche Krankenhäuser in Berlin und Brandenburg ab, wie der RBB berichtet. Die Hinweise auf den Täter werden demnach immer konkreter. Über weitere Erkenntnisse will die Polizei in einer Pressekonferenz am Nachmittag informieren.
Die Behörden fragen: Wer kann Angaben zu gegenwärtigen oder früheren Aufenthaltsorten der gesuchten Person machen?
Wer den Gesuchten sieht, soll die Polizei benachrichten und sich auf keinen Fall selbst in Gefahr bringen. Amri könnte gewalttätig und bewaffnet sein.
Für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, ist eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro ausgesetzt. Hinweise nimmt das Bundeskriminalamt unter Tel.: 0800-0130110 (gebührenfrei), info@bka.de oder an jede andere Polizeidienststelle entgegen. In begründeten Fällen können Hinweise auch vertraulich behandelt werden.
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(mit dpa)
Frank Jansen, Helena Wittlich