Mietspiegel 2019: Alles wird teurer in Berlin, vereinzelt sprunghaft
Der neue Mietspiegel wertet viele Quartiere auf, etwa in Prenzlauer Berg. Das erlaubt kräftige Mieterhöhungen. Die Durchschnittsmiete steigt nur moderat.
Das Timing der FDP war gut – nur die Nachrichtenlage lieferte der Kampagne der Liberalen nicht wirklich Auftrieb: Sebastian Czaja und Landesvorstand Christoph Mayer hatten sich am Montag vor dem Haus der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen mit ihrem neuen Plakat aufgebaut: „Du sollst nicht stehlen“ steht da drauf und der Dichter oder Werber blieb durchaus im Bild mit der erläuternden Zeile: „Für gewöhnlich lassen wir die Kirche im Dorf“ – an die zehn Gebote wollten sie dann schon erinnern angesichts der geplanten „Enteignungen“.
Katrin Lompscher, Herrscherin über das staatliche Bauen und Wohnen in Berlin, ist bekanntlich Politikerin der Linken und sie hat sich ja für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ausgesprochen. Also begegnete Lompscher ähnlich klassenkämpferisch einem durchaus pragmatischen Vorschlag der beiden Berliner Liberalen, wie eine unverzügliche Entlastung aller Berliner Mieter möglich wäre, dogmatisch: Statt die Grundsteuer einfach zu senken und damit nach FDP-Rechnung Mieter um mehr als 200 Euro im Jahr zu entlasten, was der Senat im Alleingang tun könnte, schlug Lompscher vor: „Der Bund sollte die Umlagemöglichkeit der Grundsteuer auf Mieter streichen.“
Das ist angesichts der Kräfteverhältnisse in der großen Koalition, dem Übergewicht der CDU/CSU, ganz ausgeschlossen. Das Herz der Christdemokraten schlägt eher zugunsten der Vermieter. Und der Lompscher-Vorschlag würde diese belasten. Aber so konnte die Senatorin sich und die Berliner Koalition aus der Verantwortung ziehen.
Kurz darauf, bei der Vorstellung des Mietspiegels 2019, konnte Lompscher ihre Freude kaum verhehlen: Wie vom Tagesspiegel vorab berichtet, steigen die Mieten in der Stadt nur noch halb so schnell wie bei der letzten turnusmäßigen Erhebung vor zwei Jahren: um 2,5 Prozent statt um 4,8 Prozent jährlich.
Alle am Mietspiegel beteiligten Verbände haben diesen auch unterzeichnet
Außerdem bleibt die Durchschnittsmiete unter sieben Euro: nämlich bei 6,72 je Quadratmeter. Hinzu kommt, dass erstmals alle an der Erhebung des Mietspiegels beteiligten Verbände diesen auch unterzeichnet haben, was vor zwei Jahren nicht der Fall war.
Und weil auch alle Wohnlagen in der Stadt nach wissenschaftlichen Methoden neu eingestuft wurden, sieht Lompscher eine „Stärkung des Mietspiegels und dessen Gerichtsfestigkeit.“ Und sie ließ auch nicht die Gelegenheit für eine kleine Watsche an die Deutsche Wohnen aus: Den Chef der Aktiengesellschaft habe sie angeschrieben und den Wunsch geäußert, dass auch „Herr Zahn als größter privater Vermieter und Mitglied im Verband, der den Mietspiegel anerkannt hat, aufhört gegen den Mietspiegel zu prozessieren.“
Kräftige Mieterhöhungen für jene, die in einer aufgewerteten Lage leben
Wie berichtet prozessiert die Deutsche Wohnen, die nach dem Willen der Volksinitiative ebenso wie alle anderen Großeigentümer von mehr als 3000 Wohnungen „vergesellschaftet“ werden soll, immer noch gegen Mieter und stellt dabei die Gültigkeit des Mietspiegels in Zweifel.
Bei den eher guten Nachrichten für Mieter könnte man fast übersehen, dass der neue Mietspiegel auch viele kräftige Mieterhöhungen für jene mitbringt, die in einer aufgewerteten Lage leben. Und das werden immer mehr. Denn nur noch 28 Prozent der Stadtquartiere sind im neuen Mietspiegel „einfache Lagen“ – gegenüber 33 Prozent vor zwei Jahren.
Der Linken-Abgeordnete Michail Nelken schimpfte auf Twitter, dass die „neue Wohnlageneinordnung dem starken Mietspiegelanstieg in den Gründerzeitquartieren einen zusätzlichen Schub gibt“. So sei „Prenzlauer Berg fast komplett um eine Wohnlage höher gestuft“.
Neue Wohnungen kosten bis zu 14,83 Euro je
Und Nelken nannte das „Gleimviertel, den Arnimplatz, die Grüne Stadt“, alles früher einfache Lagen, nun mittlere. Gegen den „Mietenwahnsinn“ helfe nur ein „Mietenstopp“, warb er für die Einführung eines generellen Mietendeckels.
Ohnedies verschlingen schon heute die Wohnkosten etwa die Hälfte der Einkommen der Berliner, weil die Mieten in der Stadt viel schneller steigen als die Einkommen. Neue Wohnungen aus den Baujahren 2003 bis 2017 mit 60 bis 90 Quadratmetern kosten bis zu 14,83 Euro je Quadratmeter nettokalt und zwar sogar in einfachen Lagen.
Die „höchste Steigerungen“ gab es bei den besonders beliebten Altbauten, die bis 1918 entstanden: um 3,8 Prozent jährlich. Besonders begehrt sich auch große Wohnungen mit mehr als 90 Quadratmetern, deren Mieten ebenfalls um mehr als drei Prozent im Jahr stiegen.
Immer weniger Menschen ziehen um
Und weil die Verdrängung der Menschen mit geringen und mittleren Einkünften aus dem Zentrum unerbittlich fortschreitet, steigen nun auch die Mieten in „einfachen Lagen“, wo diese am ehesten noch eine Wohnung finden: Dort stiegen die Mieten ebenfalls um drei Prozent jährlich.
Aber ohnehin ziehen immer weniger Menschen um. Weil es so so gut wie keine Wohnungsangebote mehr gibt. Der „Neuvermietungsanteil“ sei deutlich gesunken, hieß es bei der Vorstellung des Mietspiegels. Dasselbe gelte für die „Fluktuation“, also Mieterwechsel. Auffällig sei außerdem: Bei 50 Prozent der Neuvermietungen gab es Mietanpassungen Schuld daran seien „institutionelle Vermieter“, die „immer, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, eine Mietenanpassung durchführen“.
Mieterverein sieht keine Entwarnung
Mit „institutionell“ sind Aktiengesellschaften, Fonds und andere gemeint, die Wohnungen als „assets“ bewerten und „Gelegenheiten“ sehen im Erwerb solcher Bestände, deren Mieten erhöht werden können. Denn das erhöht zugleich den Wert der Wohnungen beim Verkauf oder aber den (Börsen-) Wert der Firma, die diese besitzt.
Der Berliner Mieterverein sieht daher keine „Entwarnung“ und stellte „wieder deutliche Mieterhöhungspotenziale“ fest mit „Steigerungen von über zehn Prozent und teilweise sogar über 20 Prozent“.