Pollesch verbündet sich mit „Liebig34“: Aktivisten stürmen in Premiere am Deutschen Theater
Vor der Premiere des neuen Stücks von Regisseur René Pollesch stürmen Bewohnerinnen eines umkämpften Hausprojekts das Theater – und finden namenhaften Zuspruch.
„Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden“, singen rund 40 Personen, als sie mit einem großen Banner ins Deutsche Theater in Berlin laufen. „Keine Räumung, sie kriegen uns nicht raus, Liebig bleibt für immer unser Haus.“ Sie demonstrieren für den Erhalt des Hausprojekts „Liebig34“ in Berlin-Friedrichshain, der Räumungsprozess läuft bereits und wird wohl im Januar entschieden.
Sie singen etwas schief, aber dafür laut, in der Mitte der Bar des Theaters. Einige Gäste verlassen den Raum, andere jubeln, eine Frau hält sich die Ohren zu. Die meisten warten ab, bis es vorbei ist, lassen ihre Sekt- oder Weingläser ruhen.
An diesem Sonntagabend steht die Premiere von „(Life on earth can be sweet) Donna“ des Regisseurs René Pollesch an. Ausverkauft. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hat seine Karten bereits abgeholt, das Stück sollte gerade beginnen. Die Protestaktion ist mit der Theaterleitung abgestimmt, wurde dem Publikum oder der Öffentlichkeit aber nicht angekündigt, teilte die Pressestelle dem Tagesspiegel auf Nachfrage mit. Pollesch sei im Bilde gewesen.
Unterstützung durch „Staub zu Glitzer“
Die Bewohnerinnen der Liebig34 wurden dabei durch das Kollektiv „Staub zu Glitzer“ unterstützt, welches vor zwei Jahren die Volksbühne besetzt und sich dort für die Auflösung der gefestigten Theaterstrukturen und später für Pollesch als "Übergangsintendanten" stark gemacht hatte. Tatsächlich wird dieser das Haus ab 2021 übernehmen.
Sein neues Stück am Deutschen Theater streift die Theorien der emeritierten US-Professorin und Feministin Donna Haraway. In einer Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt diese, übersetzt ins Deutsche: „Ich möchte meinen Namen mit Begeisterung in die Liste der Unterstützer aufnehmen und eine Botschaft der Solidarität und Schwesternschaft senden. Wohnen ist ein zentraler Faktor für die gegenseitige und weltweite Fürsorge.“
Demnach gibt es eine Liste mit Personen, die sich ebenfalls für das Hausprojekt Liebig34 einsetzen wollen. Nach Tagesspiegel-Informationen handelt es sich dabei um namenhafte Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bereich Theater und Literatur, darunter eine Nobelpreisträgerin. Die Liste soll im Januar veröffentlicht werden und damit der Kampf um den Erhalt des „anarcha-queer-feministischen“ Hausprojekts weitergehen.
[Politik konkret vor Ort - immer in unserem Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. Einmal pro Woche, ganz unkompliziert und kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de]
Vor Gericht hat das Projekt wohl nur noch wenig Chancen. Eigentlich wollte sich der zuständige Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) für die Liebig34 einsetzen. Er führte Gespräche mit Gijora Padovicz. Der Padovicz-Unternehmensgruppe gehören neben dem Haus in der Liebigstraße 34 rund weitere 200 Gebäude in Berlin, überwiegend im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Bei der Liebig34 hatte Padovicz eine Räumungsklage eingereicht. 2018 endete der auf zehn Jahre befristete Gewerbemietvertrag, den der Bewohner-Verein mit dem Hausbesitzer abgeschlossen hatte. Seitdem weigern sich die Bewohner auszuziehen und kündigten Widerstand an. Das Haus hatte im letzten Jahr vermehrt Schlagzeilen gemacht, da es dort immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war.
Ein erster Prozesstermin musste unterbrochen werden, nachdem Aktivistinnen den Saal gestürmt hatten. Der Nachholtermin wurde erneut verschoben. In der Liebig 34 leben „Gender-Identitäten kollektiv und ohne Cis-Männer zusammen“, erklärt Ronny, Pressesprecherperson des Kollektivs. Als Cis-Mann wird eine Person verstanden, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde und sich auch als Mann identifiziert. Man habe einen hierarchiefreien „Safe Place“ geschaffen, „der uns hilft, Machtstrukturen und Privilegien zu reflektieren.“
Protestaktion ohne Cis-Männer
An der Performance am Premieren-Sonntag nahmen ausschließlich „FLINT*-Personen“ teil: das steht für Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen und ist eine Abkürzung, die nicht nur Frauen in feministische Arbeit inkludieren will, sondern alle Personen, die vom Patriarchat unterdrückt werden.
Initiator der Aktion war das neu gegründete Kollektiv „Kein Haus weniger“, das sich für den Erhalt linker Hausprojekte stark macht. „Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin lediglich die Stadt, in der mal die Mauer stand. Sie wäre sozial, politisch und kulturell um Vieles ärmer“, heißt es in einem Gründungsstatement. „Wir sagen: Jetzt ist Schluss! Kein Projekt, kein Haus weniger!“
Neben der Liebig 34 wird auch das „Potse“ genannt, ein Jugendclub in Schöneberg, dem die Räume genommen wurden. Zahlreiche weitere alternative Projekte stehen vor dem Aus oder einer ungewissen Zukunft. Genannt werden auch Wagenplätze in Lichtenberg oder das Syndikat, eine Bar in Neukölln.
Robert Klages