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Filmaufnahmen an Originaldrehorten, hier im Jahr 1926, waren in den Weimarer Jahren eher die Ausnahme. Die Regisseure bauten ihre Kulissen auf die grüne Wiese oder lieber noch ins Atelier.
© Ullstein Bild

Weimarer Kino: Achtung, Kamera läuft!

Aufwendige Kulissenbauten, sorgfältig inszenierte Massenszenen, prachtvolle Filmpaläste prägten das Kino der Weimarer Jahre. Porträt einer Kultur.

Langsam dämmert es, ein Herbstabend wie jeder andere, doch auf Eiswerder, der kleinen Spandauer Havelinsel, bricht gleich die Hölle los: „Die Fabrik steht fest, der Hof ist angefüllt mit Benzinfässern, Waggons usw., eine Fabrik in Betrieb. Dann aber schießt eine kleine Rauchwolke empor, erst zaghaft, später mächtig, eine Feuersäule folgt ihr in den Himmel. Funkenregen geht nieder.“ Es ist der Auftakt zum finalen Inferno: „Eine gewaltige Detonation, eine Stichflamme, der hintere Schornstein wankt, birst im halben Fall, reißt im Sturz das Fabrikdach mit sich und geht im Feuermeer unter.“

Dies ist kein Bericht von den Dreharbeiten zu einem aktuellen Action-Kracher. Kino-Großmeister Fritz Lang saß vielmehr im Regiestuhl, um die mit 16 Kameras gefilmte Szene von „Das Testament des Dr. Mabuse“ zu dirigieren. Das heißt, er hat wohl eher gestanden, als er auf seinem Schaltbrett, mehr Sprengmeister als Filmkünstler, die Reihenfolge der Detonationen bestimmte, immer mit Blick auf die Windrichtung, damit ihm nicht Rauchschwaden die Aufnahme versauten. Noch einmal drehen, das war ausgeschlossen, die Herrichtung der alten Staatlichen Pulverfabriken hatte schon genug Zeit und Geld verschlungen, man hätte sie praktisch neu aufbauen müssen.

Aus Flugzeughallen wurden Filmateliers

Ein Triumph der Pyrotechnik 1932, beobachtet von einem Reporter der „Lichtbild-Bühne“. Ein typischer Ufa-Drehtag, jedenfalls angesichts des betriebenen Aufwandes. Aber auch wieder untypisch, denn Drehen an einem originalen, in diesem Fall realen Schauplatz war damals keineswegs üblich. Die Regisseure des Weimarer Kinos, das auf der Berlinale in der Retrospektive und auch in den Classics mit E. A. Duponts „Das alte Gesetz“ gefeiert wird, ließen sich die Gehäuse ihrer Traumwelten lieber bauen, draußen auf der grünen Wiese oder besser noch in ihren riesigen, witterungsunabhängigen Ateliergebäuden, die sie auch dem verlorenen Krieg verdankten. Für die Flugzeugproduktion brauchte man sie nicht länger, und so wurden die Albatros-Werke in Johannisthal zur größten Filmproduktionsstätte Europas und die Zeppelin-Halle in Staaken zum größten Filmatelier der Welt. Bis zu einer Höhe von 28 Metern konnte man dort bauen.

Erstn Busch entdeckt als Baruch, Sohn eines orthodoxen Rabbiners, sein Herz für die Schauspielkunst, Eine Szene aus E.A. Duponts "Das alte Gesetz" 1923 in Berlin gedreht.
Erstn Busch entdeckt als Baruch, Sohn eines orthodoxen Rabbiners, sein Herz für die Schauspielkunst, Eine Szene aus E.A. Duponts "Das alte Gesetz" 1923 in Berlin gedreht.
© Deutsche Kinemathek/Berlinale

Freilich war das noch immer zu niedrig für Kulissenmonster wie in Friedrich Wilhelm Murnaus „Der letzte Mann“ (1924). Eines der gezeigten Großstadtgebäude, eigentlich nur eine Mauer, ragte 60 Meter hoch – für damalige Kinoarchitekten ein Wolkenkratzer, nur unter freiem Himmel zu realisieren. Im Film wirkt es, als tappe Emil Jannings durch eine Hochhauswüste, mit Straßen voller dahinsausender Autos, ähnlich wie in „Asphalt“ (1929) von Joe May, der die hektische, fast den wackeren Wachtmeister Holk (Gustav Fröhlich) verschlingende Großstadt im Studio simulierte.

Doch es gab Ausnahmen, Filmdrehs on location, wenngleich Erich Kästners Fantasie beim Beschreiben der Dreharbeiten zu „Emil und die Detektive“ (1931) wohl ein wenig nachgeholfen hat. Demnach will er auf der Terrasse des Cafés Josty an der heutigen Bundesallee Ecke Trautenaustraße gesessen haben, als ihm plötzlich ein Herr am Nebentisch bekannt vorkam. Auch ein Junge mit Koffer und Blumenstrauß fiel ihm auf, der den Mann beobachtete, sich versteckte. Der Mann, das war der Herr Grundeis, der Dieb, der sich aber, von Kästner angesprochen, als der Filmbösewicht Fritz Rasp vorstellte: Kästner war in die Dreharbeiten zur Verfilmung seines Kinderbuchklassikers geraten. So behauptete er jedenfalls.

Wie Heinrich George auf dem Alex Schlipse verkaufte

Immerhin, der Drehort Café Josty darf als verbürgt gelten, ebenso wie der Wintergarten in der Friedrichstraße in E.A. Duponts „Varieté“ (1925) oder der Alexanderplatz in der Verfilmung des Romans von Alfred Döblin (1931), diesmal dem Publikum zur Kenntnis gebracht von einem Reporter der „Filmwoche“. An einem frühen Morgen war ein Lastwagen aufgetaucht, Arbeiter hatten zwischen dem Kaufhaus Tietz und dem Lehrervereinshaus eine riesige Bretterwand aufgebaut: „Achtung, Baustelle!“ Da war aber keine, eine mysteriöse Angelegenheit also, und geheimnisvoll blieben auch die anderen Damen und Herren, die abwechselnd dort zusammenkamen, darunter „ein Herr mit Regenmantel mit geheimnisvollem Apparat“, schließlich „ein breitschultriger, gutmütig lächelnder Mann“ mit Koffer, den er aufklappte und seine Ware anzupreisen begann: „Nu uffjepasst, Damen wie Herren, warum soll der feine Mann Schlipse tragen, und der Prolet trägt keene? Ja, Damen wie Herren, weil er se nich binden kann – det wird jetzt allens anders mit meinem Original jarantiert patentiertem Schlipshalter Trumpf.“ Heinrich George hatte vor Laufkundschaft seinen großen Auftritt als Franz Biberkopf – ein Drehtag von fünf Stunden, bei reiner Drehzeit von fünf Minuten, im Film geschrumpft auf 60 Sekunden. Im Studio, mit Scheinwerfern statt der unzuverlässigen Sonne, geht das fixer.

Die Goldene Galerie im Schloss Charlottenburg wurde zum Wiener Ballsaal

Eine Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis, die bereits der Berichterstatter des „Prager Tageblatts“ bei den Dreharbeiten zu E.A. Duponts „Das alte Gesetz“ (1923) moniert hatten: „Für eine belanglose Szene, die nur einen winzigen Schwung im Rhythmus einer Handlung bedeutet, arbeitet ein Heer von Maschinisten, Elektrikern und Beleuchtern acht Tage lang. Acht Tage lang technische Vorbereitungen, um einen Schlosssaal in ein Filmatelier zu verwandeln, Ärger mit Behörden, Angst vor möglichem unersetzlichem Schaden, jeder Hammerschlag wie in Watte gepackt: für zwei Meter Film.“ Gedreht wurde in der Goldenen Galerie des Schlosses Charlottenburg, die einen Wiener Ballsaal darstellte, während die Filmbauten in Weißensee, ein frühes Zentrum der deutschen Filmproduktion, nachgebaut wurden, das galizische Schtetl wie das Gebäude des Burgtheaters, Kulisse für imponierende Massenszenen.

Solche Menschenaufläufe drehte man gern, angesichts der vielen Arbeitslosen war es kein Problem, genügend günstige Statisten zu bekommen. 4500 Menschen sollen Spalier gestanden haben, als 1920 Ernst Lubitsch auf dem Tempelhofer Feld für „Anna Boleyn“ den mit weiteren 1000 Kleindarstellern gedrehten Hochzeitszug der Titelheldin und Heinrichs VIII. nach Westminster Abbey drehte. Solch ein Spektakel lockte sogar Reichspräsident Friedrich Ebert an.

Eine Weltraum-Rakete startet am Ufa-Palast

So aufwendige Produktionen bedurften angemessener Präsentation. Die Premierenkinos waren pompöse Prestigebauten, vorneweg der Ufa-Palast am Zoo mit seiner neoromanischen Architektur und der Lichtgestaltung, die Joseph Roth so beeindruckte: „Die Beleuchtung bestand aus Morgendämmer und Abendröte zugleich, aus Himmelsklarheit und Höllendunst, aus Stadtatmosphäre und Waldesgrün, aus Mondenschein und Mitternachtssonne.“ Marmorhaus und Gloria-Palast standen dem kaum nach. Und erst die Premieren: Zu Fritz Langs „Spione“ (1928) glotzte ein Riesenauge von der Fassade, und die Riesenlettern des Titels verwandelten sich durch geschickte Lichtdramaturgie in bedrohliche Pupillen. Zum Start von Langs „Frau im Mond“ (1929) wurde gar die Fassade des Ufa-Palasts zum Abbild des Kosmos. „Hoch über den drei Eingangsportalen schoss in regelmäßigen Abständen die Attrappe einer Weltraumrakete aus einem voluminösen Globus und verlor sich im künstlichen Sternenhimmel“ – so beschreibt Klaus Kreimeier in „Die Ufa-Story“ das Spektakel.

Natürlich hatten nicht alle Kinos diesen Standard, aber allein deren Anzahl imponiert. Heute gibt es nach Angaben der Filmförderungsanstalt 97 Kinos in Berlin, auf die sich 281 Kinosäle verteilen. 1925 dagegen konnte man in 342 Kinos auf insgesamt 147 612 Plätzen Filme sehen, Tendenz steigend: Ende der Dreißigerjahre gab es bereits über 400 Kinos in der Stadt.

Fritz Langs Feuerzauber in „Das Testament des Dr. Mabuse“ hatte man da allerdings in noch keinem einzigen zu sehen bekommen. Er war erst nach Hitlers Machtergreifung fertig geworden. Joseph Goebbels lobte den Film in seinen Tagebüchern zwar später als „sehr aufregend“, hatte sich aber laut einem Eintrag vom 29. März 1933 früh festgelegt: „,Dr. Mabuse’ von Fritz Lang gesehen. Praktische Anleitung zum Verbrechen. Wird verboten.“

Zum "Weimarer Kino in Berlin" gibt es am 24. und 25. Februar, jew. 13.30 Uhr, eine Videobustour zu den Drehorten berühmter Filme dieser Zeit, samt Sektempfang im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Treffpunkt ist vor dem Haus Potsdamer Straße 5 in Tiergarten. Die 2 1/2-stündige Tour kostet 23 Euro, ermäßigt 17,50 Euro. Infos unter www.videosightseeing.de

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