Nach Kompromiss am Oranienplatz: 31 weitere Flüchtlinge erhalten Ablehnungsbescheide
Am Mittwoch sollen weitere in Berlin untergekommene Flüchtlinge ihre Unterkünfte verlassen. Und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg verhängt wegen der Kosten der besetzten Hauptmann-Schule eine Haushaltssperre.
Die Berliner Behörden bleiben bei ihrer Linie: Auch am Mittwoch werden Flüchtlinge, die unter die sogenannte Oranienplatz-Regelung fallen, aus ihren Unterkünften ausziehen müssen. Der Regelung zufolge hatte der Senat angekündigt, die Asylanträge der rund 300 Flüchtlinge zu prüfen, die einst den Oranienplatz besetzt hielten. Die neuen 31 Betroffenen sollen am Mittwochmorgen ihre Ablehnungsbescheide erhalten. "Die ausländerrechtliche Prüfung ist abgeschlossen", sagte eine Sprecherin der Senatssozialverwaltung am Dienstag.
Einige von ihnen sollen Berlin wohl schon verlassen haben, und in die Bundesländer zurückgekehrt sein, aus denen sie während der Oranienplatz-Proteste gekommen waren. Das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales wird die verbliebenen Flüchtlinge auffordern, ihre Unterkünfte in Neukölln, Marienfelde und Friedrichshain zu verlassen. Weil die Lage durch die Besetzung des Daches in der Friedrichshainer Unterkunft angespannt ist, wird damit gerechnet, dass zahlreiche Polizisten bereitstehen.
Flüchtlinge zu teuer: Haushaltssperre kommt
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird am heutigen Mittwoch eine Haushaltsperre verhängen. Das hat Finanzstadträtin Jana Borkamp (Grüne) am Dienstag in einer Sitzung des Bezirksamts angekündigt. Grund sind die immensen Kosten, die wegen der Betreuung der Flüchtlinge in der Gerhard-Hauptmann-Schule angefallen sind und immer noch anfallen. Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) bezifferte diese Kosten gegenüber dem Tagesspiegel auf „1,5 bis zwei Millionen Euro“. Die Haushaltssperre bedeutet, dass alle Anschaffungen von der Finanzstadträtin genehmigt werden müssen. „Anders bekommen wir die Kosten nicht in Griff“, sagt Panhoff. „Mit diesen Ausgaben haben wir nicht gerechnet.“ Bis heute leben rund 45 Flüchtlinge in der ehemaligen Schule, die im Dezember 2012 besetzt worden war. Der Bezirk muss die 16 privaten Sicherheitsleute bezahlen, die rund um die Uhr den Zutritt zur Schule kontrollieren und mehr als 30 000 Euro pro Monat kosten, dazu Müllentsorgung und Aufräumarbeiten. Zudem bezahlt der Bezirk freiwillig Geld an die Flüchtlinge analog dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Geld gibt es später vom Land zurück.
Entspannung in der Gürtelstraße
Zumindest vor dem Hostel in der Gürtelstraße in Friedrichshain, in dem immer noch neun Flüchtlinge sitzen, die sich weigern, das Gebäude zu verlassen, hatte sich die Lage am Dienstag zwischenzeitlich entspannt. Ein Krankenwagen ist weggefahren, ein Feuerwehrfahrzeug mit Sprungpolster ist ebenfalls abgerückt, auch der Feuerwehr-Verbindungsbeamte ist verschwunden. Die Lage der Flüchtlinge, die sich aufs Dach zurückgezogen haben und auf offiziellem Weg keine Nahrung erhalten, hat sich entspannt. So sieht es die Polizei.
Ein Grund für diese entspannte Situation ist nach Informationen des Tagesspiegel auch der Umstand, dass die Flüchtlinge doch Lebensmittel erhalten. In einem Fall hat ein Polizist erlaubt – und dabei gegen eine klare Anweisung der Einsatzleitung verstoßen –, dass Unterstützer Brot zu den Flüchtlingen weiterleiten.
Die Flüchtlinge haben im obersten Stockwerk ein Zimmer besetzt und die Tür verrammelt. Vom Zimmer kommen sie allerdings aufs Dach. Aus dem Fenster dieses Zimmers wurde an einem Seil ein Korb in ein unteres Stockwerk abgelassen und kurz darauf wieder hochgezogen. Vermutlich gefüllt mit Lebensmitteln. Diese Aktion wurde beobachtet. In dem Hostel leben ganz offiziell mehrere Dutzend weiterer Flüchtlinge.
Die Tür zum Zimmer ist blockiert, die Polizei hat offenbar das gesamte oberste Stockwerk des Hostels besetzt, so dass auf diesem Weg keine Lebensmittel zu den Flüchtlingen kommen können. „Wir lassen unverändert keine Nahrungsmittel durch“, sagt Polizeisprecher René Rodemann.
Kein Grund, Flüchtlinge gewaltsam vom Dach zu holen
Allerdings versorgt die Polizei die Flüchtlinge mit Wasser, am Dienstag stellte sie den neun Männern auch Tee zur Verfügung. Ein Verhandlungsführer sprach am Dienstagmittag mit den Flüchtlingen. Offenbar allerdings ohne Erfolg. Gleichwohl sagt Rodemann: „Die Lage ist entspannt.“
Sollte sich die Situation allerdings zuspitzen, dann könne die Feuerwehr mit einem Krankenwagen oder einen Einsatzfahrzeug sehr schnell vor Ort sein. Nach einem solchen Noteinsatz sieht es derzeit allerdings nicht aus, zumal wenn die Flüchtlinge Lebensmittel haben.
Vorrangiges Ziel der Polizei, sagte Rodemann, sei es, „die Leute aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Dach zu holen“. Fabio Reinhardt, Sprecher für Migration und Flüchtlingspolitik der Piraten-Fraktion, vermutet dagegen, „dass die Polizei die Flüchtlinge mürbe machen möchte“. Er sehe derzeit keinen Grund dafür, dass man die Flüchtlinge gewaltsam aus dem Hostel holen müsste. Die Betroffenen drohen ohnehin damit, in so einem Fall aufs Dach zu steigen und sich runter zu stürzen.
Nahrungsentzug auf längere Zeit hinterlässt Schäden
Die Feuerwehr ist für solche Fälle mit Sprungpolstern ausgerüstet. Diese drei mal drei Meter großen Matten gehörten zur Standardausrüstung jedes Löschfahrzeugs, sagt Sven Gerling, Pressesprecher der Feuerwehr. In Abstimmung mit der Polizei und der Senatsinnenverwaltung ist das Fahrzeug, das bisher vor dem Hostel gewartet hatte, aber wieder abgezogen, da die Polizei derzeit keine Notwendigkeit für seinen Einsatz sieht. Vor Ort sind aber 60 Polizisten.
Sollte Nahrung freilich über längere Zeit ausbleiben, dann drohen gesundheitliche Schäden. Ohne Essen könnten Menschen bis zu 30 Tage, in Einzelfällen auch bis zu 70 Tage ausharren, sagt Corinna Lenz, Internistin des Unfallkrankenhauses Berlin. Der Körper greift dann auf seine Fett-, Eiweiß- und Zuckerreserven zurück. Wenn die erschöpft sind, kann es zu Ödemen kommen, die Hirnleistung lässt nach, und letztlich tritt der Tod ein.
Die Feuerwehr tauchte am Montag aber trotzdem in der Gürtelstraße auf: Bis 12.30 Uhr wurde sie zu zwei Einsätzen gerufen – allerdings in Seniorenstiften. (mit Tsp)