zum Hauptinhalt
Ein Flüchtling auf dem Schornstein des Hostels in der Gürtelstraße.
© Tassilo Hummel
Update

Berlin-Friedrichshain: Flüchtling droht mit Sprung vom Hostel-Dach

Ein Flüchtling droht damit, vom Dach des Hostels in der Gürtelstraße zu springen. Die Polizei spricht derweil mit der Gruppe und versucht, auf sie einzuwirken. Unterstützer halten eine spontane Solidaritätskundgebung vor dem Gebäude. Die anderen Unterkünfte sollen dafür schnell neu belegt werden.

Die Lage am Hostel in der Gürtelstraße spitzte sich am Mittwochnachmittag weiter zu: Einer der Flüchtlinge bekräftigte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass die Flüchtlinge entschlossen seien vom Dach zu springen, sollte die Polizei versuchen, sie aus dem Gebäude zu holen. Die Polizei war zu dem Zeitpunkt weiterhin im Gebäude und versuchte, auf die Flüchtlinge einzuwirken - ohne Druck, wie Sprecher Klaus Schubert am Morgen betonte. Es handele sich vielmehr um eine vertrauensbildende Maßnahme. Allerdings stelle es sich als schwierig heraus, eine friedliche Lösung zu finden. Bereits gestern hatte die Polizei Wert darauf gelegt, den Flüchtlingen kein Ultimatum gestellt zu haben, wie ein Tweet der Polizei zeigt.

Die Polizei ging zu dem Zeitpunkt davon aus, dass acht bis zehn Flüchtlinge weiterhin im Hostel waren. Zwei weitere, die offenbar nicht zu der Gruppe gehört, wurden mittlerweile aus dem Gebäude gebracht. Sie hatten am Dienstag darum gebeten, noch eine Nacht bleiben zu dürfen. Dies war ihnen erlaubt worden. Nachdem sie am Mittwoch jedoch nicht gehen wollte, hatte der Betreiber Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt.

Gegen 15:30 Uhr war eine Gruppe von etwa 40 Unterstützern der Flüchtlinge am Gebäude eingetroffen. Es handelte sich hierbei um eine spontane Solidaritätskundgebung auf Deutsch, Englisch und Französisch, die sich auch an die Flüchtlinge auf dem Dach richtete.

Seit gestern Nachmittag ist der Bereich um das Hostel gesperrt. Der Grund: Auf dem Hausdach befinden sich Flüchtlinge, die sich weigern, ihre Unterkunft zu verlassen. Und nicht nur auf dem Hausdach: Nach Tagesspiegel-Informationen war es ihnen bereits am Dienstagnachmittag offenbar gelungen, ein Hostel-Zimmer mit Dachzugang zu beziehen und den Eingang zu blockieren. Sie verfügen anscheinend über Wasser, aber haben keine Nahrung.

Unterstützer haben Nacht über ausgeharrt

Am Mittwochmorgen noch drängte der Berufsverkehr vorüber an einem jungen Mann mit langem Haar, der auf dem Boden saß und an seiner Gitarre zupfte. Zusammen mit etwa 15 anderen Unterstützern hatte er die Nacht über mit Isomatten, Sitzpolstern und einer Kiste Bier vor der Polizeiabsperrung ausgeharrt.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) ist nicht am Hostel vertreten. Eine Sprecherin sagte dem Tagesspiegel, dies sei Sache der Polizei, da es um die Durchsetzung des Hausrechtes gehe. Am Dienstagmorgen hatten noch die meisten anderen Flüchtlinge das Hostel in Friedrichshain in aller Ruhe verlassen. Manche telefonierten, andere warteten noch am Tresen des Hostels, in dem sie untergebracht waren. Viele der Flüchtlinge hatten Fahrräder, auf denen sie - oft mit nur sehr wenig Gepäck - davonfuhren.  Nur wenige Unterstützer waren da, sie malten mit Straßenkreide auf den Bürgersteig vor dem Hostel Parolen wie: "Refugees are welcome here" und "Kein Mensch ist illegal". Mitarbeiter der Unterkunft beschrieben den Flüchtlingen den Weg zur Ausländerbehörde. Von einem Großaufgebot der Polizei war nichts zu sehen, dabei waren etwa 1000 Beamte im Einsatz, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.

Auch aus den anderen Unterkünften am Askanischen Ring, in der Haarlemer Straße und im Marienfelder Damm hätten sich alle Flüchtlinge abgemeldet, die dazu aufgefordert wurden, sagte die Lageso-Sprecherin. Die freigewordenen Unterkünfte will das Lageso heute und morgen mit anderen Flüchtlingen belegen, in der Gürtelstraße sei dies allerdings nicht möglich aufgrund der ungewissen Situation auf dem Dach.

Missverständnis bei Demo am Oranienplatz

Polizisten hatten am Dienstagnachmittag mit den Asylbewerben auf dem Dach verhandelt. Gegen 17 Uhr waren von unten zwei Personen zu sehen, es waren aber mehr oben. Insgesamt war die Polizei mit etwa 15 Mannschaftswagen zugegen und hatte die Straße in beide Richtungen großräumig abgesperrt, laut Sprecher Stefan Redlich, um Passanten vor Gegenständen zu schützen, die die Flüchtlinge von oben herunterwarfen. Das waren beispielsweise Stoffe und T-Shirts.

Sympathisanten bei dem Hostel in der Gürtelstraße.
Sympathisanten bei dem Hostel in der Gürtelstraße.
© Tassilo Hummel

Etwa 50 Demonstranten skandierten vor dem Haus Parolen, die Polizei trug einige von ihnen in den Raum außerhalb der Absperrung. Es kam zu einem leichten Handgemenge.

Polizei hält Demonstranten mit Blick auf die Uhr zurück

Derweil gab es in Kreuzberg am Oranienplatz Unruhe wegen einer dortigen Demo zur Senatssozialverwaltung in der Alte Jakobstraße. Der Tagesspiegel-Reporterin vor Ort sagten Beamte, die Demo sei nicht angemeldet, daher lasse man die Menschen nicht loslaufen. Dem Tagesspiegel hatte die Polizeipressestelle am Nachmittag jedoch zwei Mal bestätigt, dass die Demo angemeldet sei. Dieser Widerspruch löste sich mit dem Blick auf die Uhr auf: Polizeipressesprecher Stefan Redlich erklärte, dass die Demo polizeilich angemeldet sei - aber erst ab 18 Uhr. So durfte um 16 Uhr noch nicht gestartet werden.

Es waren gegen 17 Uhr in Kreuzberg rund 60 Demonstranten versammelt und 150 Polizisten. Es warteten aber alle friedlich und demonstrierten schon mal auf dem Oranienplatz. Dem Wunsch der Demonstranten, zur US-Botschaft zu gehen und dort mit Vertretern zu sprechen, wurde aber nicht erfüllt, die Route wurde anders gelegt. Nach dem Ende dieser Demo zogen einige Aktivisten weiter zum Frankfurter Tor, von dort aus wollten Unterstützer der Asylbewerber bis zum Hostel laufen. Bis zum späten Abend blieb alles friedlich.

Ein Flüchtling am Dienstagnachmittag auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße.
Ein Flüchtling am Dienstagnachmittag auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße.
© Tassilo Hummel

Hakan Taş, Sprecher der Linksfraktion für Inneres, Partizipation und Flüchtlinge, war schon am Nachmittag bei dem Hostel. Er sagte: "Ich finde es sehr tragisch, dass die Flüchtlinge zu dieser Form des Protests schreiten." Besonders kritikwürdig fand er, dass die Flüchtlinge von der für solche Situationen nicht geschulten Heimleitung informiert wurden, dass sie die Unterkunft heute verlassen mussten. Dem Innensenator Frank Henkel (CDU) warf er vor, mehrere Punkte des vor einem halben Jahr vereinbarten Kompromisses mit den Flüchtlingen vernachlässigt zu haben. Nun sollen sie, wie berichtet, zurück in die Bundesländer kehren, in denen ihre Verfahren zuerst bearbeitet worden waren. Einige der Lampedusa-Flüchtlinge sollen auch nach Italien zurück.

Viele Flüchtlinge wollen wohl in Berlin bleiben

Wohin die Flüchtlinge nach den Verlassen des Heims gingen, lässt sich nur sehr unterschiedlich beantworten. Bereits am Morgen war eine Sozialarbeiterin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) vor Ort, die den Flüchtlingen den Weg zur Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAA) in der Turmstraße erklärte, wo sie eine finanzielle Rückreisehilfe bekommen sollten. Nach Ausländerrecht müssen die Flüchtlinge Berlin verlassen und dorthin zurückkehren, wo entweder ein Asylverfahren in ihrer Sache abhängig ist oder nach einem abgeschlossenen Verfahren ein Abschiebeantrag gegen sie vorliegt. Allerdings können sie nach dem Erhalt des Reisegeldes de facto auch woanders hingehen.

Bisher hat das Amt vier Rückreisehilfen an Flüchtlinge verteilt, damit diese in die Bundesländer zurückfahren können, in denen sie registriert sind. Für heute wird erwartet, dass einige Rückreisehilfen für Italien ausgegeben werden. Dem Vernehmen nach wird ein Großteil der Flüchtlinge versuchen, in Berlin zu bleiben - die meisten von ihnen dann obdachlos, aber in Frieden und in Sicherheit.

Am Dienstag war auch eine Arbeiterin von "Salam Refugees" anwesend, einer muslimischen Flüchtlingsorganisation. Sie bot den Flüchtlingen an, vorübergehend in Moscheen unterzukommen, um von dort die Wiederaufnahme ihrer Verfahren zu versuchen. An der Eingangstür des Flüchtlingsheim hing ein Zettel, auf dem die Adressen dreier Berliner Moscheen samt Wegbeschreibungen zu lesen waren. Ein paar wenige Personen wurden auch von Berliner Privatpersonen abgeholt. Eine von ihnen, eine Mitte vierzig Jährige Frau, sagte, sie werde drei Flüchtlinge, die sie persönlich kenne, vorerst bei sich zu Hause aufnehmen.

Video: Ein Polizeisprecher erklärt, was am Montag am Oranienplatz geschah:

Am Montag hatte das Lageso die ersten 108 Flüchtlinge vom Oranienplatz aufgefordert, ihre Wohnheimplätze zu räumen. Unverzüglich hatten 18 der betroffenen Flüchtlinge beim Sozialgericht Berlin Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. In einem umgehend anberaumten Gerichtstermin hat ein Teil von ihnen Dienstag Vormittag den Antrag bereits wieder zurückgenommen; die Asylbewerber waren nicht zur Anhörung erschienen.

Grünen-Abgeordnete Bayram: "List des Innensenators"

Ebenfalls am Hostel in der Gürtelstraße war am Dienstagmorgen die Friedrichshainer Abgeordnete Canan Bayram, die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Sie zeigte sich empört über das Vorgehen des Innensenators und sprach von einer "List, diese Maßnahme direkt nach den Schulferien, aber während der parlamentarischen Sommerpause durchzudrücken." Tatsächlich vermutete sie, dass Innensenator Frank Henkel (CDU) mit diesem Manöver seiner Senatskollegin Dilek Kolat (SPD) eins auswischen möchte - auf Kosten der Flüchtlinge.

Aktivisten schreiben am Dienstagmorgen Parolen auf den Bürgersteig vor der Flüchtlingsunterkunft in der Gürtelstraße. Insgesamt war die Stimmung ruhig.
Aktivisten schreiben am Dienstagmorgen Parolen auf den Bürgersteig vor der Flüchtlingsunterkunft in der Gürtelstraße. Insgesamt war die Stimmung ruhig.
© Tassilo Hummel

Kolat hatte als Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen vom Oranienplatz vereinbart, demzufolge die Flüchtlinge das damalige Protestcamp auf dem Platz abbrechen sollten und dafür ihre Anträge einzeln geprüft würden. Jetzt stehe Kolat da, als habe sie ihr Versprechen nicht gehalten. Bayram sagte über Henkel: "Was ist das für ein Senator, seine Kollegen so vorzuführen?"

Protest am Oranienplatz, aber keine Besetzung

Am Dienstagmorgen war die Stimmung am Oranienplatz ebenfalls noch vollkommen ruhig. Gelegentlich fuhren Mannschaftswagen der Polizei vorbei und sondierten die Lage. Nur ein paar neugierige Touristen betrachteten den leeren Platz. Am Montagnachmittag und -abend war es noch zu Unruhen am Platz gekommen, nachdem bekannt wurde, dass die Flüchtlinge Berlin ihre Unterkünfte verlassen müssen: Nach Polizeiangaben wurden Beamte dort zunächst mit Gegenständen beworfen, daraufhin wurde Verstärkung angefordert. Zwischenzeitlich waren 150 Beamte vor Ort. Die Zahl der Demonstranten erhöhte sich zeitweise auf 500.

Sie zogen ab 22 Uhr durch Kreuzberg. Unterwegs stoppte der Zug vor dem SO36 in der Oranienstraße - dort flogen Flaschen und Steine, die Polizei setzte Pfefferspray ein. Die Lage beruhigte sich aber allmählich wieder. Gegen Mitternacht löste sich die Demonstration am Oranienplatz wieder auf.

Einen ausführlichen Bericht über die Ereignisse am Oranienplatz von Montagnachmittag, -abend und -nacht finden Sie unter diesem Link.

Zur Startseite