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Schweigend am Tor. Auf dem Pariser Platz erinnerten tausende Berliner an die Opfer der Anschläge in Paris.
© Hannibal Hanschle/Reuters
Update

Mahnwache für Charlie Hebdo: 18.000 Menschen gedenken am Brandenburger Tor

Nicht nur in Paris wird am Sonntag der Opfer der Terroranschläge gedacht, sondern auch in Berlin. Tausende kommen zu einer Mahnwache in Mitte. Auch beim Luxemburg-Liebknecht-Gedenken war das Thema präsent.

Tausende Menschen strömen am frühen Nachmittag auf den Pariser Platz, um ihr Mitgefühl mit den Opfern der Terrortaten in Frankreich zum Ausdruck zu bringen. Vor allem vom Boulevard Unter den Linden her kommen viele Menschen zur französischen Botschaft östlich des Brandenburger Tors. Das Areal ist weiträumig mit Gittern und rotweißen Bändern abgesperrt. Es gibt keine Kontrollen, aber die Polizei ist sehr präsent. Um kurz nach 15 Uhr ist der Platz voller Menschen. Um 16.20 Uhr zählt die Polizei bereits 18.000 Menschen. Sie stehen schweigend vor der französischen Botschaft oder reden leise miteinander. Viele haben T-Shirts über ihre Jacken gezogen, auf denen steht: „Je suis Charlie“ und „Freiheit ist grenzenlos“. Auch auf die graue Fassade der Botschaft ist der Slogan „Je suis Charlie“ projiziert - Solidaritätsbekundung mit den Opfern des Massakers in der Redaktion der Zeitschrift "Charlie Hebdo".

Man sieht auffallend viele junge Leute, auf Schildern stehen Voltaire-Sprüche für die Freiheit. Direkt an der Botschaft legen Menschen Kränze und Blumen ab. Mit zunehmender Zahl der Besucher steigt allerdings auch die Nervosität bei der französischen Botschaft. Während man anfangs noch unkontrolliert bis fast an die Botschaft herankommt, läst die Polizei am Nachmittag Menschen nur noch in kleinen Grüppchen durch, offenbar auf Wunsch der Botschaft, wie ein Polizist sagt. Schnell bilden sich lange Schlangen vor den Zugängen.

Als es dämmrig wird, zünden viele Menschen Windlichter an. Besonders originell: Gut 20 Menschen halten Kartonschilder in die Höhe mit Buchstaben, die aus fluoreszierenden Stäben gebastelt sind – „Berlin ist Charlie - Tolerance“ steht darauf. Nach und nach wechseln sich Freiwillige ab, die das Schild halten. Andere tragen Kerzen und weiße Rosen. Auch Friedrich Schneider und Melanie Jürgens sind dabei, Medizinstudenten aus Friedrichshain. Ihre Motivation fassen sie so zusammen: „Klare Kante gegen Extremisten, egal welche Konfession oder Politik, aber Offenheit und Hilfsbereitschaft für alle andere Menschen zeigen, für Muslims ebenso wie Christien und Anhänger aller anderen Religionen", sagen sie. Sie seien auch hier, "damit nicht pauschal Hass gegen Muslime geschürt wird".

Stilles Gedenken. Tausende Berliner versammelten sich am Sonntag vor der französischen Botschaft am Brandenburger Tor.
Stilles Gedenken. Tausende Berliner versammelten sich am Sonntag vor der französischen Botschaft am Brandenburger Tor.
© AFP

Viele in Berlin lebenden Franzosen sind gekommen, aber auch zahlreiche Deutsche jeden Alters. Die aus Frankreich stammende Filmcutterin Khadiya Bouassida, die seit 2010 mit ihrer Familie in Berlin lebt, ist mit ihren Kindern Nil (9) und Elias (7) gekommen. "Bisher haben wir die Kinder von diesem Thema ferngehalten und mit ihnen nicht über die Terrorgefahr" gesprochen, sagt die Frau mit tunesischen Wurzeln. "Jetzt aber ist das alles so nahe gekommen, da haben wir mit den Kindern darüber gesprochen und ihnen erklärt, dass auch in Berlin so etwas passieren kann." Und dass man daher für die Freiheit der Presse und gegen brutale Gewalt demonstrieren müsse.

Auch Cedric Mollaret ist mit seinem Sohn Maximilian (8) zur französischen Botschaft gekommen. Der Managementberater lebt seit 2008 in Berlin und sagt: "Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen, auch unsere Kinder sollen verstehen, wofür wir kämpfen, damit diese Menschen nicht umsonst gestorben sind."

Aus Potsdam sind Haymo Dorn und Nathalie Löwe mit ihrer Tochter Janike gekommen. Die besucht die Voltaire-Schule in Potsdam. Dort ist gerade ein Austausch mit Paris geplant - nun haben einige Eltern und Kinder Angst und fragen, ob man das noch machen soll, erzählt die Familie. Und sagt: Genau das wäre falsch, gerade jetzt müssten wir zeigen, dass unsere deutsch-französische Freundschaft ganz eng ist. Man dürfe sich nicht unter dem Sofa verstecken. "Wir müssen Zeichen setzen."

Aus Pankow ist der Reisekaufmann Matthias Eichhorn mit Sohn Jonathan (11) gekommen. Beide haben die doppelte Staatsangehörigkeit, der Vater sagt: „Die Presse und Meinungsfreiheit ist weltweit ein hohes Gut.“ Und der Krankenpfleger Paul Deike (25) aus Dessau erklärt: Die deutsch-französische Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein hoher Wert", daher träfen die Anschläge von vergangener Woche ihn besonders. "Das war auch ein Anschlag auf die intellektuellen Symbolträger des freiheitlichen europäischen Geistes."

Die ersten Solidaritätsbekundungen hatte es bereits am Sonntagmorgen gegeben: Bei der Gedenkveranstaltung zu Ehren der am 15. Januar 1919 ermordeten Sozialistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind die Ereignisse von Paris ebenfalls ein Thema. „Nous sommes Charlie!“ steht auf einem schwarzen Transparent, das eine Gruppe von Teilnehmern der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration vor sich her trägt, als der Gedenkzug vom Frankfurter Tor kommend gegen Mittag an der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg eintrifft.

Das Transparent mit der Solidaritätserklärung für die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ gehört der Gruppe Allmende, die sich für alternative Migrationspolitik stark macht. „Es geht um die Bedrohung der Freiheit, das betrifft uns alle“, sagt die 20-jährige Clara, die sich in der Gruppe engagiert und ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Für Freiheit, gegen Rassismus, Fundamentalismus, Imperialismus“, steht außerdem auf ihrem Transparent, daneben ein zerbrochener Bleistift, aus dem rotes Blut tropft – seit dem Massaker in der Zeitungsredaktion am vergangenen Mittwoch ein eindeutiges Symbol. Vereinzelt sieht man in der Demonstration auch Schilder mit dem Slogan „Je suis Charlie“.

Auch die 90-jährige Erika Baum, die mit einigen Parteifreunden das rote Banner der kommunistischen DKP in den kalten Wind hält, ist in Gedanken in Paris, wie sie sagt. „Ich stehe auf Seiten von „Charlie Hebdo - allerdings nicht so wie Frau Merkel.“ Für Baum repräsentiert die französische Zeitschrift eine kritische linke Gegenöffentlichkeit, wie sie sagt und zur Unterstützung auf das aktuelle Titelbild der linken Zeitung „Junge Welt“ verweist: Dort ist ein Cartoon des ermordeten „Charlie“-Zeichners Georges Wolinksi zu sehen, auf dem er seine Sympathie mit dem kubanischen Sozialismus zu Papier gebracht hat.

Blutiger Bleistift: "Nou sommes Charlie!" steht auf einem Transparent am Sonntagvormittag bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration.
Blutiger Bleistift: "Nou sommes Charlie!" steht auf einem Transparent am Sonntagvormittag bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration.
© Lars von Törne

Zahlreiche Teilnehmer des Sozialisten-Gedenkens kündigen an, am Nachmittag auch bei der Solidaritätsveranstaltung für die französischen Opfer am Pariser Platz mitzumachen. Dort sind zwei Kundgebungen angemeldet, um an die Anschläge von Paris zu erinnern. Eine steht unter dem Motto „Je suis Charlie“. Aufgerufen zu der "Versammlung gegen Ignoranz, Intoleranz, Obskurantismus und Fanatismus" wurde dazu über Facebook, wo sich bis Sonntagmittag mehr als 6500 Teilnehmer angekündigt hatten. Diese sollten laut Aufruf weiße Blumen, Kerzen und Stifte mitbringen. Beginn soll 14 Uhr sein.

Zudem ist eine „Mahnwache zum Gedenken an die Opfer von Charlie Hebdo“ angemeldet. Diese Veranstaltung soll um 15 Uhr beginnen.

Es wird erwartet, dass sich beide Kundgebungen vermischen. Zur selben Zeit sollte in Paris der "Republikanische Marsch" stattfinden, zu dem nicht nur hunderttausende Bürger, sondern auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus aller Welt erwartet wurden.

Bärgida will am Montag demonstrieren

Das Brandenburger Tor ist zudem am Montagabend Schauplatz für die zweite „Bärgida“-Demonstration. Bei der von der rechten Splittergruppe „Patrioten“ angemeldeten Montagsdemo werden ab 18 Uhr 600 Menschen erwartet. Über die Straße Unter den Linden und die Karl-Liebknecht-Straße soll der Protestmarsch zum Roten Rathaus führen.

Vor einer Woche hatten mehrere tausend Menschen die erste Kundgebung dieser Art verhindert. Ebenfalls für Montag sind mehrere Gegenveranstaltungen angemeldet. So will die Türkische Gemeinde 1000 Menschen mobilisieren, auch linke Gruppen rufen zur Gegendemo ab 17 Uhr auf, Startpunkt Pariser Platz. Unter anderem haben alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zur Teilnahme an den Protesten gegen Bärgida aufgerufen. "Wir rufen gemeinsam die Berlinerinnen und Berliner dazu auf, am Montagabend friedlich gegen den Aufmarsch der Pegida-Anhänger zu protestieren und an den Gegenkundgebungen teilzunehmen. Nach den schrecklichen Terroranschlägen von Paris ist es umso wichtiger, ein sichtbares Zeichen gegen jede Form von Rassismus und Fremdenhass zu setzen und unsere offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen. Auch die Präsidenten der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer, Eric Schweitzer und Stephan Schwarz, rufen zum Protest gegen Bärgida auf.

Jörn Hasselmann, Lars von Törne, Christoph Stollowsky, Jana Demnitz

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