Kunstdiebstahl im Grünen Gewölbe: 1600 Polizisten bei Razzia in Berlin-Neukölln – Mitglieder des Remmo-Clans festgenommen
Steckt einer der bekanntesten Berlins Clans hinter dem Juwelendiebstahl in Dresden? Am Dienstag durchsuchte die Polizei zahlreiche Objekte, vor allem in Neukölln.
Polizei und Staatsanwaltschaft Dresden haben rund ein Jahr nach dem Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe am Dienstagmorgen in Berlin mehrere Wohnungen durchsucht und Tatverdächtige aus dem Remmo-Clan – in anderer Schreibweise auch Rammo – festgenommen.
Insgesamt seien drei dringend Tatverdächtige - zwei 23-Jährige und ein 26-Jähriger - ergriffen worden, hieß es. Es handelt sich nach Angaben eines Sprechers um deutsche Staatsbürger. Nach Tagesspiegel-Informationen aus Sicherheitskreisen sollen alle Mitglieder der deutsch-arabischen Großfamilie sein.
Zudem werden zwei weitere Verdächtige aus dem Clan per Haftbefehl gesucht. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dazu einen Fahndungsaufruf veröffentlicht. Gesucht werden zwei 21 Jahre alte Mitglieder des bekannten Clans. „Die Fahndung läuft international“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Dienstagnachmittag in Dresden.
Die Staatsanwaltschaft wirft allen fünf Beschuldigten schweren Bandendiebstahl und Brandstiftung in zwei Fällen vor. Für die drei Festgenommenen wurde am Dienstagnachmittag Untersuchungshaft angeordnet. Sie haben sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Durchsuchungen in fünf Berliner Bezirken
Bei der Großrazzia waren mehr als 1600 Beamte im Einsatz. Die Polizei warnte deshalb den ganzen Tag über vor erheblichen Verkehrseinschränkungen im gesamten Stadtgebiet. Der Schwerpunkt des Einsatzes lag im Stadtteil Neukölln, aber auch Kreuzberg war betroffen. Durchsuchungen gab es zudem in Charlottenburg, Treptow und Reinickendorf.
Neben Einsatzkräften aus Sachsen waren am frühen Dienstagmorgen auch Spezialeinsatzkräfte des Bundes und der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angerückt. Auch mindestens zwei Polizeihubschrauber kreisten über Neukölln und Kreuzberg.
Die Polizei durchsuchte ab dem frühen Morgen insgesamt zwanzig Wohnungen, zwei Garagen, ein Café sowie mehrere Fahrzeuge. Die Ermittler erhofften sich von der Großrazzia, Spuren zu den gestohlenen Kunstschätzen zu finden. Es seien Speichertechnik, Kleidungsstücke und geringe Mengen Betäubungsmittel sichergestellt worden, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Dresden. Die gestohlenen Kunstschätze wurden bislang jedoch nicht gefunden.
Eines der verdächtigen Clanmitglieder war im Februar wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum verurteilt worden. Zunächst hatte der 23-Jährige Revision eingelegt. Das Landgericht hatte ihn und seinen Cousin wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ende September zog er die Revision zurück, damit ist das Hafturteil vollstreckbar.
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Zudem war er 2019 in Erlangen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte aus einer Spezialfirma Spreizwerkzeug gestohlen - Werkzeug, wie es beim Einbruch in das Grüne Gewölbe genutzt worden war.
Auch die Gitschiner Straße in Kreuzberg war am Dienstagvormittag gesperrt. Vor dem Eingang eines Mehrfamilienhauses, wo einer der Tatverdächtigen festgenommen wurde, patrouillierten stets mindestens sechs Polizisten. Auf dem Balkon der durchsuchten Wohnung wachten mehrere Beamte in Helmen und Schutzmontur.
Zwischendurch marschierten schwer bewaffnete Einsatzkräfte mit in die Luft gereckten Gewehren in das Objekt, verließen es wenige Minuten darauf aber auch schon wieder. Der Einsatz verlief ruhig. Die Polizei Dresden geht davon aus, dass die Durchsuchung noch bis in die Mittagsstunden andauern wird, wie ein Sprecher vor Ort sagte. Über etwaige Funde in der Wohnung konnte er vor Abschluss der Durchsuchungen keine Angaben machen.
Geklauter Schmuck war in Israel zum Verkauf angeboten worden
Die Ermittler der Soko "Epaulette" sind durch die Spuren am Tatort und Aufnahmen von Sicherheitskameras auf die Clan-Mitglieder gestoßen. Durch das Bildmaterial konnten sie identifiziert werden. Auch ein Fahrzeug, das für die Vorbereitung der Tag genutzt worden sein soll, konnte ihnen zugeordnet werden.
Einzelne der gestohlenen Schmuckstücke aus dem Grünen Gewölbe waren für einen Millionenbetrag in Israel zum Verkauf angeboten worden. Das hatte die israelische Sicherheitsfirma CGI, die mit Ermittlungen zu dem Fall beauftragt ist, Anfang 2020 öffentlich gemacht.
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Demnach habe die Firma über das Darknet zwei Brillantgarnituren angeboten bekommen – für neun Millionen Euro in Bitcoins. Bei den angebotenen Schmuckstücken habe es sich es sich um den Sächsischen Weißen Brillanten und den Polnischen Weiße-Adler-Orden gehandelt.
Rechtsstaat „entschlossener und klüger als manch Krimineller glaubt“
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte, die Berliner Polizei habe die Ermittler in Dresden „sehr früh mit ihrer Expertise“ unterstützt. „Wir sind froh, dass bei der Aufklärung eines Kunstraubs ein großer Erfolg geglückt ist.“
Wegen der Bezüge zur Clankriminalität sei klar: „Das ist ein weiteres Signal in die Szene. Niemand sollte glauben, er könne sich über diesen Staat und seine Regeln hinwegsetzen“, sagte Geisel. Der Rechtsstaat sei das Maß der Dinge: „Er allein setzt die Ordnung durch. Er tut das entschlossener und klüger als manch Krimineller glaubt.“
Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) betrachtet die Festnahmen und die Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Kunstdiebstahl in Dresden ebenfalls als Erfolg im Kampf gegen die Clankriminalität. „Der heutige Tag ist ein weiterer Beleg dafür, dass unsere Strategie funktioniert“, schrieb Hikel am Dienstag auf Facebook. „Das macht Mut.“
Gerade die „enge und vertrauensvolle“ Zusammenarbeit verschiedener Behörden zeige, dass der Staat besser organisiert sei als die organisierte Kriminalität. Das ist seinen Worten nach die Kernidee des Berliner 5-Punkte-Plans gegen Clankriminalität: „Wir werden weiterhin einen langen Atem brauchen. Denn den Rechtsstaat verteidigen wir nicht mit Aktionismus und Populismus, sondern mit einem geordneten, einem rechtsstaatlichen Vorgehen.“ Der Berliner Bezirk Neukölln gilt als ein Brennpunkt der Clankriminalität.
Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Cioma, sagte: „Der heutige Großeinsatz ist unglaublich professionell und sehr akribisch vorbereitet worden.“ Es sei ein entscheidender Beitrag dazu geleistet worden, „Täter in der organisierten Kriminalität nicht ungeschoren davonkommen zu lassen“.
Durch ein vergittertes Fenster kamen sie ins Grüne Gewölbe
Bei einem der spektakulärsten Einbrüche der vergangenen Jahrzehnte hatten Unbekannte am 25. November 2019 in Dresden aus der berühmten Schatzkammer Grünes Gewölbe Kunstschätze von unschätzbarem Wert gestohlen. Die Täter hatten sich Zugang zu dem Museum durch ein vergittertes Fenster verschafft.
Sie durchtrennten das Gitter teilweise, entfernten Fenster samt Rahmen und drangen in die barocke Schatzkammer ein. Dort stahlen sie aus den mit einer Axt zerstörten Vitrinen Diamanten und Brillanten im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro - wenn sich das überhaupt so genau beziffert lässt, denn die viele Stücke galten als einzigartig.
Die Polizei veröffentlichte nach der Tat ein Bild aus einer Überwachungskamera vom ersten Fluchtfahrzeug der Täter, das kurz nach dem Einbruch in einer Tiefgarage abgestellt und angezündet wurde. Es zeigt einen hellen Audi A6 mit dunklem Dach.
Parallelen zum Diebstahl der Goldmünze im Bode-Museum
Die Täter sollen bei dem Einbruch in das Grüne Gewölbe ein hydraulisches Spreizwerkzeug benutzt haben. Daher gehen die Ermittler auch von Parallelen zu dem Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Goldmünze Big Maple Leaf, die 3,75 Millionen Euro Wert war, aus dem Bode-Museum in Berlin im März 2017 aus. Ebenso ging es um Parallelen zum Überfall auf einen Geldtransporter am Alexanderplatz 2018.
In Berlin waren seit 2017 mindestens fünf dieser Geräte im Wert von jeweils 10.000 Euro bei der Feuerwehr gestohlen worden. Mit den akkubetriebenen Hydraulik-Spreizern öffnet die Feuerwehr Autotüren, die nach Unfällen verklemmt sind. Und genau solch ein Spezialwerkzeug, das von der Feuerwehr genutzt wird, kam offenbar beim spektakulären Diebstahl von Juwelen aus dem Grünen Gewölbe in Dresden zum Einsatz.
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Neben dem Einbruchsziel Museum und dem möglichen Einsatz eines Hydraulik-Spreizers gibt es eine dritte Parallele zum Vorgehen von kriminellen Clan-Mitgliedern. Das Zertrümmern der Vitrine aus Sicherheitsglas durch brutale Axthiebe erinnert an einen Raubüberfall auf das Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe im Jahr 2014. Auch damals zerstörten die maskierten Täter mit einer Axt in kurzer Zeit Vitrinen, rafften Schmuck und Uhren zusammen und flohen mit einem bereitstehenden Auto.
Die 40-köpfige Soko "Epaulette" ermittelt
Verurteilt wurden mehrere junge Männer aus arabischstämmigen Großfamilien. Auch beim Diebstahl des Kunstwerkes „Goldnest“ aus der Fuchsberg-Grundschule in Marzahn-Hellersdorf im Mai wurde Spezialwerkzeug genutzt. Auch hierbei stand der Remmo-Clan in Verdacht. Wenige Tage zuvor waren bei der Feuerwehr in Treptow-Köpenick Spezialgeräte gestohlen worden, darunter Trennschleifer und Kettensägen.
Die 40-köpfige Soko "Epaulette" hatte wegen des Diebstahls aus dem Grünen Gewölbe mit Hochdruck ermittelt. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich die Einbrecher intensiv auf ihre Tat vorbereitet und dabei höchstwahrscheinlich auch den späteren Tatort ausspioniert haben.
Durchsuchung im September drehte sich ums Fluchtauto
Bereits Mitte September 2020 haben die Ermittler dann mehreren Unternehmen in Neukölln durchsucht. In mehreren Betriebsstätten, in denen Fahrzeuge foliert werden, wurden Daten und Geschäftsunterlagen sichergestellt.
Dabei geht es um den Verdacht, dass in dem Betrieb das von den Tätern für den Coup genutzte und später in Brand gesetzte Fluchtauto äußerlich verändert wurde. Nach bisherigen Erkenntnissen gehen die Ermittler davon aus, dass die Auftragnehmer den Zweck nicht kannten.
Anfang September war die Polizei zur Durchsuchung eines Internet-Cafés in Neukölln und der Wohnung eines dort Beschäftigten angerückt. Dabei sind die Ermittler der Soko „Epaulette“ fündig geworden. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann mit den Tätern in Kontakt stand. Er soll ihnen für Handys auf fiktive Personalien registrierte SIM-Karten besorgt haben. Die Ermittler hatten Geschäftsunterlagen, Mobiltelefone und Speichermaterial beschlagnahmt.
Kriminelle Mitglieder der Großfamilie Remmo sind bereits mit mehreren schweren Straftaten aufgefallen. Die Remmos wurden bekannt, weil Angehörige 2017 in Britz einen Mann erschlagen haben sollen (wofür der Angeklagte frei gesprochen wurde). Zwei Cousins sind wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum verurteilt worden, bei einem ist das Urteil schon rechtskräftig. Zuvor sprengte ein Familienmitglied eine Sparkasse.
77 Immobilien beschlagnahmt: Verdacht auf Geldwäsche
Mitglieder der Großfamilie haben in den vergangenen Jahren versucht. Geld in Neukölln anzulegen. Nach jahrelangen Ermittlungen des Landeskriminalamts Berlin waren im Sommer 2018 genau 77 Immobilien, die der Familie zugerechnet werden, wegen Geldwäscheverdachts beschlagnahmt worden.
Im April 2019 waren auch die Einnahmen aus der Vermietung von 45 der Immobilien richterlich beschlagnahmt worden. Die 77 beschlagnahmten Häuser und Wohnungen sollen mit Geld aus Straftaten gekauft worden sein. Dabei soll es Bareinzahlungen aus dem Libanon und Überweisungen gegeben haben.
In einigen Fällen hat das Kammergericht in zweiter Instanz die Sicherstellung der Immobilien bereits bestätigt. Zwei Immobilien gehören nun offiziell dem Land Berlin, darunter ein denkmalgeschütztes Anwesen in Alt-Buckow, auf dem der Clan-Chef teils residiert hatte. (mit dpa)