Berufsausbildung nach Studienabbruch: Hilfe beim Umstieg
Im Alleingang ist der Weg von der Uni in den Beruf schwierig. Ein neues Beratungsnetzwerk von Senat und IHK soll nun den „Queraufstieg“ vereinfachen.
„Das Handwerk bietet mehr fürs Gehirnschmalz als man erst einmal glaubt“, sagt der Sascha Lüttig, der früher Student war und heute Auszubildender in einen Handwerksbetrieb ist. Zuletzt hatte das Studium nur noch mit großen Unbehagen bestritten. Zunächst hatte er Physik studiert, dann zu Elektrotechnik gewechselt. „Physik war einfach zu theoretisch“, sagt er. Auch Eletrotechnik war ihm zu trocken. Nach dem Abbruch des Studiums suchte er bei der Arbeitsagentur Unterstützung, doch „die wollten mich nur als IT-Fachkraft ausbilden“. Die Berufsberater hätten nicht geglaubt, dass er sich als sich als ehemaliger Student auf einer Baustelle als Handwerker behaupten könne, sagt Lüttig. Er wollte jedoch nicht programmieren, sondern etwas Handwerkliches machen. Also begab er sich allein auf Stellensuche und landete bei seinen jetzigen Arbeitgeber – einem Technikdienstleister, der zum Beispiel Kameras und andere Sicherheitssysteme installiert, in Berlin-Weißensee. Mit dem Wechsel in das Unternehmen und seinem Lehrmeister Jens Reißberger ist Lüttig nun mehr als zufrieden: „Das Betriebsklima ist hervorragend und ich bin gern auf der Baustelle“, sagt Lüttich.
Studienabbrecher sind gefragt
„Wir bieten Quereinsteigern eine fundierte Berufsausbildung unter guten Rahmenbedingungen“, sagt Reißberger. Unter seinen Auszubildenden sind mehrere ehemalige Studenten. Denn Studienabbrecher sind auf dem Arbeitsmarkt durchaus gefragt: „Unternehmen brauchen Fachkräfte und finden nicht genug Azubis, deswegen werden Studienabbrecher für sie immer interessanter“, sagt Meike Al Habash von der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). Wer mehrere Semester lang studiert habe und in der Zeit auch erfolgreich Prüfungen und Hausarbeiten gemeistert hat, der verfügt nicht nur über fachliche Kompetenzen, der hat auch gelernt sich selbständig Wissen anzueignen und eigenständig zu arbeiten. Laut Habash sind das alles Qualifikationen die Studienaussteiger für Arbeitgeber als Auszubildende oder auch als Mitarbeiter sehr attraktiv machen.
Damit Studienabbrecher nicht mehr so auf sich gestellt sind bei der Suche nach einer Ausbildung – wie es Lüttig war – soll nun ein neues Beratungsnetzwerk den Umstieg vom Studium in die Berufsausbildung erleichtern. Das Projekt „Queraufstieg Berlin“ wird von der Berliner Senatsverwaltung finanziert . Ziel ist es, mehr qualifizierte Fachkräfte für die Hauptstadt zu gewinnen. „Berlin boomt, wie kaum eine andere Region in Deutschland“, sagt der Staatssekretär Boris Velter von der Senatsverwaltung bei der Vorstellung des Netzwerkes. Zudem sei die Hauptstadt ein sehr anspruchsvoller Arbeitsmarkt auf dem es ohne Abschluss sehr schwierig sei auf Dauer zu bestehen.
Gleichzeitig brechen jedes Jahr rund 26 Prozent der Studierenden eines Jahrgangs ihr Studium vorzeitig ab. In Berlin sind das rund 4000 junge Menschen. Doch wo bleiben die Studienabbrecher? Das Problem sei, die Abgänger gezielt anzusprechen und über ihre Möglichkeiten zu informieren. Wo die Aussteiger im Nachhinein verbleiben ist leider kaum bekannt. Die Erreichbarkeit der Zielgruppe Studienaussteiger gestaltet sich als besonders schwierig. So hat die IHK Berlin überlegt wie sie mit ihnen überhaupt in Kontakt treten kann, um sie über ihre Beratungsleistungen zu informieren: „Was machen Studenten haben wir uns gefragt, sie fahren U-Bahn, also kleben wir dort Plakate“, sagt Meike Al Habash leicht amüsiert. Einige Studienzweifler konnte die IHK so erreichen.
Viele bleiben ohne Ausbildung
Viele Aussteiger blieben aber bislang ohne eine weitere Ausbildung – genaue Zahlen existierten nicht, berichtet Boris Velters. Das Fachkräftepotential der Studienaussteiger sei für Unternehmen also bisher kaum erschlossen und viele Betriebe seien auf die neue Zielgruppe noch nicht aufmerksam geworden. „Für den Berliner Arbeitsmarkt sind diese Leute hervorragendes Material“, sagt Boris Velter. Er begrüßt die Idee eines Berliner Beratungsnetzwerkes, das für alle Beteiligten versucht den Studienabbruch in eine Chance zu verwandeln. Künftig soll das Projekt als zentrale Anlaufstelle in der Hauptstadt für Studienaussteiger gezielt Orientierung und Informationen bieten und Aussteigern die Berufsausbildung als Alternativen zum Studium näherbringen.
Zwar existieren inzwischen die unterschiedlichsten Hilfsangebote und auch zahlreiche Anlaufstellen, doch bleiben die Beratungsmöglichkeiten oft unübersichtlich. „Ich wusste nicht das solche Angebote existieren“, sagt Lüttig. Er musste sich deshalb allein bis zu seiner Wunschausbildung durchschlagen, hätte die Unterstützung aber gern in Anspruch genommen. Vielen Betroffenen sind die Beratungsstelle der eigenen Hochschule, private Studien- und Berufsberater oder die Teams für akademische Berufe der Bundesagentur für Arbeit meist völlig unbekannt. Selber will das Projekt keine eigenen Beratungsleistungen anbieten, vielmehr sei die Aufgabe von „Queraufstieg“ im Form eines Netzwerks alle Beratungsangebote für Studienabbrecher und Studienzweifler in der Hauptstadt zusammenzufassen: „Als Hauptinstrument dafür dient ein Webportal, das im Spätherbst vorgestellt werden soll“, sagt Lorenz Holthusen Mitarbeiter des Projektes „Queraufstieg Berlin“. Dort sollen dann systematisch alle Beratungsangebote, egal ob staatlich oder privat gebündelt und mit Kontaktdaten und einer genauen Beschreibung des Beratungsangebots aufgeführt werden. Zudem möchte das Netzwerk durch weitere Serviceangebote an Studienaussteiger und Unternehmen herantreten. Beispielsweise sollen Betriebserkundungen und Schnuppertage Aussteiger die Wahl einer möglichen Berufsausbildung erleichtern. Auch sollen die Hochschulen durch das Projekt mit ins Boot geholt werden, um Studienzweiflern schon in der Uni auf Wunsch auch gezielt zu beraten und zu unterstützen. Dabei will das Netzwerk laut Holthusen nicht nur den Fokus auf die Vermittlung von Studienaussteiger an Berliner Betriebe legen – Studienzweifler sollen auch Beratungsangebote erhalten, die ihnen andere Wege im Studium aufzeigen.
Die Welt geht nicht unter
„Studium und Berufsausbildung müssen bei der Beratung gleichrangig behandelt werden“, findet der Bundestagsabgeordnete Swen Schultz. Nur so könnten Studienaussteiger aufgefangen und neue Fachkräfte für die Wirtschaft gewonnen werden. Es gibt viele Alternativen zum Studium, dass möchte das Beratungsnetzwerk den potentiellen Studienaussteigern vermitteln. Denn die Welt geht nicht unter, wird das Studium nicht erfolgreich gemeistert. Nicht für jeden, der ein Abitur aufweisen kann, ist das Studium auch zwangsweise der beste Weg ins Berufsleben.
So rät Schulz denjenigen die überlegen ein Studium abzubrechen: „Versucht es nicht als Rückschritt zu sehen, es ist kein Scheitern, sondern man entdeckt neue Perspektiven“. Gerade bei vielen technischen Berufen, können Qualifikationen in die Ausbildung mit einfließen und müssen so nicht verfallen. Grundsätzlich hat jeder Aussteiger nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) die Chance die Ausbildungszeit um bis zu zwölf Monate zu verkürzen oder eine vorzeitige Zulassung zur Abschlussprüfung zu erhalten. Zusätzlich bieten einige Projekte die auch im Netzwerk vertreten sein werden ähnliche Möglichkeiten für Studienaussteiger an. Beispielsweise sieht das Projekt „your turn“ der IHK eine Verkürzung der Ausbildungszeit vor, weil erworbene Studienleistungen angerechnet werden können.
Laut Habash können Studienabbrecher über das Projekt in Unternehmen und speziellen Studienaussteiger-Klassen eine Ausbildung in 18 statt regulären 36 Monaten absolvieren. Bislang ist es über „your turn“ in vier Berufen möglich Studienleistungen anzurechnen: Der Kaufmann im Groß- und Außenhandel sowie der Immobilienkaufmann oder den IT-Fachinformatiker. Das Angebot soll künftig jedoch ausgeweitet werden, so Habash.
Aber auch in anderen Berufsfeldern können vormalige Studienleistungen bereits anerkannt werden und dadurch die Ausbildungszeit verkürzen. Ein Medizinstudent kann beispielsweise eine Ausbildung zum Medizin-Technischen Assistenten machen, ein Pharmaziestudent zum Pharmazeutisch-Technischen Assistenten.
Erfahrungen durch Praktika sind hilfreich
Für Geisteswissenschaftler ohne Uniabschluss stehen die Chancen leider weitaus schlechter. Es gibt für sie kaum fachverwandte Ausbildungen. Hilfreich ist es, wenn sie Arbeitserfahrung durch Praktika und Nebenjobs aufweisen können. „Niemand bleibt allein, wenn er Unterstützung sucht“, sagt jedoch Habash von der IHK. Sie versichert, dass das sowohl das Projekt „your turn“ als auch das künftige Beratungsnetzwerk „Queraufstieg Berlin“ für alle Studienaussteiger gleichermaßen gedacht sei. Auch Geisteswissenschaftler werden unterstützt: „Es gibt auch Archäologen die werden plötzlich Tischler“, meint Habash.
Wer den Schritt wagt und einen Abbruch erwägt, sollte die Entscheidung aber nicht Hals über Kopf und am besten auch nicht im Alleingang fällen, empfiehlt Andrea Mohoric, die Projektkoordinatorin von „Queraufstieg Berlin“. Wichtig ist laut Mohoric zunächst herauszufinden, warum man überhaupt unzufrieden ist: Fehlt mir die Motivation? Sind Prüfungsängste die Ursache oder ist mir das Studium zu theoretisch? Oder sind es doch finanzielle Sorgen? Die Gründe sind von Person zu Person unterschiedlich, dass belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsförderung. Sie zeigen auch das oft mehre Gründe bei der Entscheidung zusammenwirken, aus dem Studium auszusteigen. Eine einfache Antwort darauf warum junge Menschen ihr Studium abbrechen existiert nicht. Wichtig bleibt, Studienzweifler aufzufangen und zu beraten. Auch Sascha Lüttig hat eine Botschaft für Studienaussteiger: „Das Leben ist nicht vorbei“ und es eröffnen sich neue Welten hat man sich erstmal entschieden hat die Kurve zu bekommen.
Carsten Jaenicke
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