Kleinsatelliten: Zwerge im All
Immer häufiger werden winzige Satelliten gestartet, die kaum mehr wiegen als eine Milchpackung. Sie könnten die Raumfahrt revolutionieren, doch sie bergen auch Risiken.
Ein fliegender Gymnastikball. Daran erinnert das erste von Menschenhand geschaffene Objekt, das vor beinahe 58 Jahren die Erde umrundete. „Sputnik“ hatte eine blank polierte Metallhülle, darin nichts weiter als eine Batterie und einen Funksender, damit alle Welt seine Signale hören möge.
Mit der Zeit wurden Satelliten immer größer und komplizierter, um möglichst viel Technik am Stück ins All zu bringen. Heute wiegen Satelliten beim Start meist mehrere Tonnen und haben mitunter das Format eines Kleinwagens. Sie zu planen, dauert oft über ein Jahrzehnt und beschäftigt eine ganze Generation von Ingenieuren. Aber das ändert sich, immer leichtere Bauteile machen Satelliten zunehmend kleiner, der Einsatz – ob zur Kommunikation oder Erdbeobachtung – wird billiger. Und das krempelt die Raumfahrt grundlegend um.
Cubesats fliegen als Ausgleichsgewichte preiswert mit
„Wir wollten, dass ein Student innerhalb eines Jahres alles lernen kann, was ein Satellitenprojekt ausmacht“, erinnert sich Robert Twiggs von der Morehead-Universität in Kentucky. Der Ingenieur ist eine Art Vater des „Cubesat“, der erfolgreichsten Bauform von Kleinsatelliten. Ihre Grundeinheit ist ein Würfel mit zehn Zentimeter langen Kanten und dem Rauminhalt eines Milchkartons. Diese lässt sich beliebig zu größeren Einheiten zusammenstecken. Die Winzlinge fliegen oft preiswert als Begleiter auf Raketen mit. Denn neben einem tonnenschweren Satelliten ist meist noch Platz, wo für gewöhnlich Gewichte angebracht werden. Solche Trimmmassen halten die startende Rakete im Gleichgewicht. Durch die einheitliche Bauform können Cubesats gut als Trimmmassen mitfliegen.
„Prinzipiell ist es überhaupt nicht schwierig, so einen Satelliten zu bauen“, sagt Piero Galeone vom Bildungsbüro der Europäischen Raumfahrtagentur Esa im niederländischen Noordwijk. „Alle Teile kann man im Internet bestellen.“ Entsprechend sind bereits viele dieser Winzlinge gestartet. Seit 2003 gelangten mehr als 300 Cubesats in den Orbit, 118 davon allein im Jahr 2014. Sie flogen huckepack auf großen Raketen mit oder Astronauten setzten sie von der Internationalen Raumstation (ISS) aus.
Die Missionskosten sind wesentlich geringer und so auch für Unis erschwinglich
Der Erfolg der Kleinsatelliten hängt eng mit ihrem Preis zusammen. Der Raumfahrtingenieur Klaus Brieß von der TU Berlin schätzt die Kosten auf gut 250 000 Euro für eine nutzbringende Cubesat-Mission – ein Bruchteil der üblichen Budgets. Das ist zwar noch nicht Raumfahrt für jedermann, aber vor allem für Universitäten sind Satelliten dadurch erschwinglich geworden. Die Forscher der TU Berlin allein starteten bisher zehn Kleinsatelliten und gründeten im vergangenen Jahr ein „Forschungszentrum für Nanosatelliten“, um die Technik voranzubringen. Damit liegen sie global im Trend, fast die Hälfte aller gestarteten Kleinsatelliten sind studentische Projekte, vor allem aus den USA, Europa und Japan. Deren Ziele sind ganz verschieden. Manche messen die Gammastrahlung irdischer Blitze, manche verfolgen Schiffe auf dem Meer oder testen für wenig Geld neue Antriebstechniken für Raumfahrzeuge (siehe Grafik).
Lange kämpften die Cubesats mit den üblichen Startschwierigkeiten. So war es bis vor wenigen Jahren schwierig, die Lage im Raum exakt zu kontrollieren. Große Satelliten verwenden dafür „Reaktionsräder“. Das sind unterschiedlich ausgerichtete Schwungräder, die den Satelliten in allen drei Raumrichtungen rotieren können, indem sie ihre Drehzahl verändern. Doch die Instrumente waren viel zu schwer für Kleinsatelliten. Viele der frühen Cubesats taumelten daher unkontrolliert durch ihren Orbit. Das machte den Datenaustausch mit dem Boden schwierig, exakte Fotos oder Messungen von ausgewählten Regionen der Erde waren ganz unmöglich. Mittlerweile sind die Reaktionsräder auf das Format einer Münze geschrumpft. Nun können auch Cubesats die Ruhe bewahren und kleine Kameras oder sogar Radargeräte gezielt ausgerichtet werden.
Test für neue Raumfahrtantriebe
Dazu könnte bald auch das letzte große Manko der kleinen Würfel behoben werden: Den Cubesats fehlte bislang der Antrieb. Dafür müssen sie Treibstoff mitnehmen, obwohl der Platz sehr begrenzt ist. „Es gibt mittlerweile einige Ideen, um das zu ändern“, sagt Winfried Halle vom Berliner Institut für Optische Sensorsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Satelliten müssen allerdings ihren eigenen Treibstoff mitnehmen, obwohl der Platz sehr begrenzt ist. Vielleicht können sie in seine atomaren Bausteine zerlegen, die dann wiederum miteinander reagieren und so Schub erzeugen.
Vielleicht klappt es sogar ganz ohne Treibstoff. Das soll „LightSail-A“ zeigen, ein spendenfinanzierter Testsatellit für ein Weltraumsegel, der von Enthusiasten der amerikanischen Planetary Society gebaut und im Mai gestartet wurde. Gerade schuhkartongroß, trägt er eine Folie aus dem leichten Kunststoff Mylar mit sich, die Anfang Juni auf 32 Quadratmeter entfaltet wurde. Die Idee: Die von der Sonne heranjagenden Lichtteilchen treffen auf das Segel und schieben den Satelliten voran. Genau wie es der Wind auf der Erde mit einem Segelboot tut. Bei einer für 2016 geplanten Nachfolgemission soll das Segel erstmals auch einen Satelliten gezielt beschleunigen und abbremsen. Gelingt das bei einem Kleinsatelliten, könnte die Technik auch für größere Forschungsmissionen genutzt werden.
Flug im Schwarm
Ein funktionierender Antrieb wäre wohl der letzte fehlende Baustein, um einen lang gehegten Traum zu verwirklichen, den Flug im Schwarm. Während ein einzelner Cubesat nur wenig Energie hat und kaum Daten übertragen kann, könnte sich eine Flotte dutzender oder hunderter dieser Würfel ihre Aufgaben teilen – wie in menschlichen Gruppen. „Wenn man ein gutes Team beisammen hat, dann kommen interessante Resultate heraus, selbst wenn der Einzelne nicht Einstein ist“, sagt Klaus Schilling. Der Informatiker von der Universität Würzburg plant derzeit mit seinen Studenten den Start von vier Cubesats, um die Regeln des Formationsflugs mit verteilten Aufgaben erstmals zu erproben. Ein Starttermin steht aber noch nicht fest.
Hunderte Kleinsatelliten sollen schnelles Internet an jeden Ort der Welt bringen
Andere Teams aus Nordamerika haben konkretere Pläne, etwa mit einer Formation aus 150 Cubesats Fotos vom Erdboden zu liefern. Erst am 25. Juni machte die US-Firma OneWeb um den ehemaligen Google-Mitarbeiter Greg Wyler Verträge über den Start von über 600 Kleinsatelliten – um überall auf der Welt einen schnellen und günstigen Internetzugang bereitzustellen. Die OneWeb-Satelliten sind mit gut 200 Kilogramm deutlich größer als Cubesats. Aber sie sind kaum mit den vielfach teureren und tonnenschweren Telekommunikationssatelliten zu vergleichen, die bisher Internet und Telefonie aus dem All bereitstellen. Die Startkosten sollen vergleichsweise gering sein, weil bis zu 32 Satelliten gleichzeitig mit einer russischen „Sojus“-Rakete oder dem neuen Billiganbieter „Virgin Galactic“ abheben können.
Ob jedoch nur wenige Kilo leichte Satelliten jemals die Arbeit der großen ersetzen können, die heute für Navigationssysteme, zur Nachrichtenübertragung oder Erdbeobachtung ihre Runden im All drehen, ist ungewiss. „Sie müssen schließlich über mehrere Jahre hinweg einigermaßen ausfallsicher sein“, sagt der DLR-Forscher Halle. Dafür zahlt es sich aus, dass große Satelliten über Jahre penibel geplant und getestet werden. Bei den Cubesats hapert es dagegen noch gewaltig. 9 der ersten 13 gestarteten Cubesats meldeten sich nach dem Abheben gar nicht mehr. Von den rund 300 bis heute ins All geflogenen Winzlingen erreichten 40 Prozent nie ihr Missionsziel.
Die Hälfte der Studi-Satelliten fällt beim ersten Test durch
„Zu viele studentische Teams verlassen sich einfach auf ihr Glück“, sagt Piero Galeone von der Esa. Viele bauten die Komponenten zusammen, ohne sie vor dem Start ausgiebig zu testen. Das von Galeone geleitete Esa-Programm „Fly your satellite“ ermöglicht deshalb jedes Jahr mehreren studentischen Gruppen, ihre Kleinsatelliten professionell auf deren Weltraumtauglichkeit zu überprüfen. Sie werden auf Rüttelplatten gestellt, um die immense Vibration beim Start zu simulieren. Und sie werden großer Hitze und eisiger Kälte ausgesetzt, denn der Wechsel zwischen Sonnenlicht und Schatten in der Erdumlaufbahn kann empfindliche Elektronik schnell beschädigen. „Schon bei der ersten Prüfung fällt die Hälfte durch“, sagt Galeone.
Trotzdem werden weiter eifrig Cubesats gebaut und ins All geschickt. Doch das birgt Risiken. Denn gemeinsam mit den kommenden Schwärmen könnte sich das Problem des Weltraumschrotts weiter verschärfen. Schon heute besteht die Gefahr, dass funktionierende Satelliten und bemannte Raumschiffe durch Trümmerteile im Orbit getroffen werden. Eine Studie von Hugh Lewis von der Universität Southampton sagt voraus, dass bis zum Jahr 2020 über 2000 neue Kleinsatelliten um die Erde kreisen dürften und das Risiko für Kollisionen dadurch sprunghaft anwachsen könnte.
Bei Mehrfachstarts könnten sich die Satelliten gegenseitig behindern
Zwar verfolgen Radarstationen in den USA und Europa ständig alle im Orbit herumfliegenden Teile, damit Satelliten und die Raumstation rechtzeitig ausweichen können. Aber ausgerechnet die zahlreichen Cubesats sind von der Erde aus schwer zu erfassen. Die von der ISS nacheinander ausgesetzten Cubesats etwa fliegen zunächst als eine Wolke um die Erde, bevor sie langsam voneinander wegdriften. „Es dauert einige Tage, bevor wir die Betreiber anderer Raumfahrzeuge vor ihnen warnen können“,
sagt Lauri Newman, Verantwortlicher für Weltraumschrott am Goddard Spaceflight Center der Nasa. Auch den Start von immer mehr Cubesats auf einzelnen Raketen sehen einige Experten kritisch. Die vielen Satelliten könnten sich gegenseitig stören oder sogar kollidieren. Das würde die günstigen Mehrfachstarts weniger attraktiv machen.
2016 sollen die ersten Cubesats am Mars eingesetzt werden
Den Nutzen vieler kleiner Satelliten zweifelt dagegen kaum noch ein Raumfahrtexperte an, so lange sie nur gut steuerbar sind und nach ihrem Ende sicher in der Atmosphäre verglühen. Schon bald sollen sie sogar außerhalb der Erdumlaufbahn eingesetzt werden. Im März 2016 plant die Nasa, mit ihrer Raumsonde „InSight“ auch zwei Cubesats zum Mars zu schicken. Sie sollen die riskante Landung kontinuierlich überwachen und die Forscher daheim auf dem Laufenden halten.
Karl Urban