Inflation des Universums: Zweifel an der kosmischen Sensation nehmen zu
Im März verkündeten Forscher des "Bicep"-Detektors den Beweis für das rasante Aufblähen des Alls. Doch die Zweifel mehren sich. Nun warten alle auf Ergebnisse der "Planck"-Sonde - aber das kann dauern.
Am meisten steht vielleicht für Alan Guth und Andrei Linde auf dem Spiel. Die Physiker gelten als Väter der „kosmischen Inflation“. Dieser Theorie zufolge hat sich das Universum kurz nach dem Urknall schlagartig aufgebläht. Als im März ein internationales Forscherteam erstmals einen Nachweis von Spuren dieser Inflation meldete, wurden Guth und Linde zu heißen Kandidaten für den nächsten Physiknobelpreis. Die Entdeckung bestimmte die Schlagzeilen, auch viele Forscher waren begeistert. Doch nun mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Wissenschaftler des „Bicep“-Detektors vielleicht doch etwas voreilig waren, als sie ihren Beweis für die kosmische Aufblähung verkündeten.
Gleich zwei Forschergruppen haben die Bicep-Daten erneut analysiert. Beide kommen zu dem Schluss: Für die vermeintlichen Spuren der Inflation könnte ebenso gut simpler Staub in unserer Milchstraße verantwortlich sein. „Die Ergebnisse unsere Analyse favorisieren weder die eine noch die andere Erklärung“, fassen Michael Mortonson und Uroš Seljak von der Universität Berkeley zusammen. Raphael Flauger von der Universität von New York und Kollegen drücken es so aus: „Die Daten reichen nicht aus, um zu unterscheiden, ob es ein Signal der Inflation ist oder eines, das auf ein jüngeres Ereignis zurückzuführen ist.“
Albert Einstein hatte die Stauchungen der Raumzeit postuliert
Das umstrittene Signal sind wirbelförmige Muster in der kosmischen Hintergrundstrahlung. Sie kommt gleichmäßig aus allen Richtungen zur Erde und stammt aus der Zeit, als der Kosmos durchsichtig wurde, rund 380 000 Jahre nach dem Urknall. Kosmologen haben aus diesem „Strahlungsecho des Bigbang“ bereits viele Informationen über das junge Universum herausgelesen.
Von dem Spezialteleskop Bicep (Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization) erhofften sie sich weitere Hinweise. Es misst nicht die Temperatur, sondern die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung, also die Schwingungsrichtung der Wellen. Der Theorie zufolge sollte das geradezu ruckartige Aufblähen des Kosmos in der inflationären Phase Gravitationswellen erzeugen: Schwingungen von Raum und Zeit, die Albert Einstein postulierte. Diese Schwingungen wiederum hätten der kosmischen Hintergrundstrahlung ein charakteristisches Polarisationsmuster aufgeprägt. Und eben ein solches Muster, das erstaunlich gut mit den theoretischen Vorhersagen übereinstimmt, haben die Bicep-Forscher aufgespürt. Doch ist es wirklich ein Beweis für die frühen Gravitationswellen?
Komplizierte Datenanalyse
Das Problem ist die komplizierte Analyse der Daten. Die kosmische Hintergrundstrahlung wird nämlich von zwei weiteren Komponenten überlagert: der Infrarotstrahlung, die von Milliarden von weit entfernten Galaxien stammt, sowie der Infrarotstrahlung von warmem Staub in unserer Milchstraße. Dieser erzeugt ebenfalls polarisierte Strahlung.
Wie lassen sich die Einflüsse voneinander trennen? Im März 2013 veröffentlichten Forscher eine vorläufige Karte der polarisierten „Staubstrahlung“ in unserer Galaxis. Sie basiert auf Daten der europäischen Sonde „Planck“, die Temperatur und Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung genau erfasst hat. Die Messungen der Temperaturschwankungen lieferten bereits bessere Werte für das Alter des Kosmos – 13,8 Milliarden Jahre – und seine Zusammensetzung aus normaler Materie, Dunkler Materie und Dunkler Energie als alle früheren Untersuchungen.
Womöglich steckt nur schnöder Staub dahinter
Was die Polarisation betrifft, hält sich das Planck-Team bislang zurück. In diese Lücke stießen die Bicep-Forscher. Um den Effekt des Milchstraßenstaubs auf ihre Messwerte herauszurechnen, mussten sie Planck-Daten heranziehen. Doch diese Daten waren noch durch den Infrarot-Hintergrund der fernen Galaxien verunreinigt, der selbst nicht polarisiert ist. Diese Vermischung der polarisierten Strahlung des Staubs und des nicht polarisierten Infrarot-Hintergrunds hat möglicherweise zu einer fatalen Unterschätzung des störenden Einflusses geführt, wie die neuen Analysen jetzt zeigen.
Mortonson und Seljak, sowie das Team um Flauger haben nun auf neue, erst im Mai von der Planck-Kollaboration veröffentlichte Daten zurückgegriffen, bei denen der Infrarot-Hintergrund herausgerechnet wurde. Wie die beiden Arbeitsgruppen berichten, finden sie in den Bicep-Daten nur noch eine geringere Polarisation, die sich auch als Effekt des galaktischen Staubs deuten lässt.
Endgültige Klärung soll der "Planck"-Satellit bringen
Die Bicep-Forscher reagieren zurückhaltend. Von den Projektleitern John Kovac und Chao-Lin Kuo war keine Stellungnahme zu erhalten. Auf der Website heißt es weiterhin, die Daten würden stark gegen eine Erklärung durch galaktischen Staub sprechen: „Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass das beobachtete Muster der Polarisation mit den Vorhersagen für die Strahlung des Staubs übereinstimmt.“
Eine endgültige Entscheidung in diesem Streit können nur die Planck-Daten liefern. Denn die Sonde misst im Gegensatz zu Bicep die Polarisation in mehreren Frequenzbereichen. Damit könnten sich die drei Komponenten der Strahlung voneinander trennen lassen, hoffen die Astrophysiker. Aber Planck misst viele Dinge gleichzeitig – und die Analyse all dieser Daten muss ein konsistentes Bild liefern, betont Charles Lawrence von der Planck-Kollaboration. „Wir können nicht an einem Ende ein Ergebnis haben, das mit einem zweiten Ergebnis am anderen Ende nicht übereinstimmt.“ Alles müsse zusammenpassen, „und das dauert so lange, wie es eben dauert.“
Gerüchten zufolge sollen die Polarisationsergebnisse des Satellitenobservatoriums im Oktober veröffentlicht werden. Möglich ist aber auch, dass das Planck-Team bis zu einer Fachtagung im Dezember wartet. So lange müssen auch Guth und Linde noch warten, bis sie erfahren, ob sie sich Hoffnung auf den Nobelpreis machen können.