Gleich nach dem Urknall: Forscher finden Gravitationswellen so alt wie das Universum
Astronomen entdecken Spuren von Gravitationswellen aus der Frühphase unseres Universums. Ihre Messungen mit dem Teleskop "Bicep 2" sind der erste Nachweis der Inflationstheorie - sofern sie korrekt sind.
Auf den ersten Blick sind es nur ein paar kleine schwarze Striche, die von Ferne betrachtet wie ein kleiner Wirbelsturm aussehen. Als diese Striche am Montag von US-Forschern veröffentlicht wurden, hatten sie jedoch einen Effekt wie ein gewaltiger Hurrikan: Sie fegten einen Großteil der Theorien, die zum Ursprung des Universums ersonnen worden waren, hinweg. Übrig blieb das bekannte Modell, wonach wenige Sekundenbruchteile nach dem Urknall das Weltall sich vorübergehend in einer „Inflation“ genannten Phase mit unvorstellbarem Tempo explosionsartig ausdehnte.
Die kleinen schwarzen Striche und die dahinter stehenden Messungen sind der erste experimentelle Nachweis für die Inflationstheorie. Gestern wurde er von Forschern um John Kovac vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics präsentiert. Mehr noch: Nach Ansicht der Wissenschaftler haben sie erstmals einen indirekten Nachweis für Gravitationswellen erbracht, die bereits kurz nach dem Urknall entstanden sind und bis heute durchs All jagen.
Die Raumzeit wird gestaucht
Diese Wellen – von Albert Einstein vorhergesagte Stauchungen der Raumzeit –, erlauben es den Wissenschaftlern, eine extrem frühe Phase des Weltalls zu erforschen, die ihnen mit bisher verfügbaren Techniken verschlossen blieb.
Kovac und seine Kollegen haben die Gravitationswellen allerdings nicht direkt gemessen, sondern über einen Umweg. Sie haben Daten des „Bicep“-Radioteleskops, das an der amerikanischen Amundsen-Scott-Station am Südpol betrieben wird, ausgewertet. Dort wird die kosmische Hintergrundstrahlung erfasst, die aus allen Richtungen auf die Erde trifft. Diese Strahlung wird gelegentlich auch als „Echo des Urknalls“ bezeichnet. Dabei handelte es sich ursprünglich um Licht, das in dem kochend heißen jungen Universum umherjagte. Das All war so dicht, dass die Strahlung immer wieder von umherschwirrenden Teilchen gestreut wurde.
Aus den Lichtwellen von einst sind heute Mikrowellen geworden
Erst rund 380 000 Jahre nach dem Big Bang war der Kosmos so weit abgekühlt, dass sich erste Atome (neutraler Wasserstoff) bilden konnten. Die Elektronen und Protonen, die noch zuvor die Ausbreitung des Lichts verhinderten, waren in den Atomen gebunden und der Weg für die Strahlung frei. Das Universum wurde durchsichtig. Während der fortschreitenden Ausdehnung des Alls wurde auch die Wellenlänge der frühen Lichtstrahlung gedehnt. Sie wird heute im Bereich der Mikrowellen gemessen.
Schaut man ein Bild dieser kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung an, so ist diese nicht völlig gleich in allen Himmelsrichtungen, sondern es gibt lokale Abweichungen. Sie verweisen auf mehr oder weniger dichte Materieansammlungen, die als Keimzellen für spätere Galaxien und Galaxienhaufen gelten.
Gravitationswellen prägen ihr Muster auf
Die Bicep-Forscher haben die Mikrowellenstrahlung drei Jahre lang vermessen und geschaut, ob und wie sie „polarisiert“ sind. Damit bezeichnen Physiker allgemein die Eigenschaft von Wellen, in bestimmte Richtungen bevorzugt zu schwingen.
Hier kommen die Gravitationswellen ins Spiel. Der Theorie zufolge sind die ersten von ihnen unmittelbar nach dem Urknall entstanden, während der Inflation. Sie jagten ungehindert durch das heiße Universum, stauchten und zerrten die Raumzeit. Auch noch 380 000 Jahre später: Die Wellen in der Raumzeit führten dazu, dass das Licht nicht an jeder Stelle im Kosmos gleichmäßig gestreut wurde. „Diese Unregelmäßigkeiten, bedingt durch Gravitationswellen, sollten sich in der Polarisation des Mikrowellenhintergunds zeigen“, sagt Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover.
Und das demonstrieren die Daten von Kovac und seinen Kollegen erstmals. In ihrer Himmelskarte ist die vorherrschende Polarisationsrichtung mit einem kleinen schwarzen Strich gekennzeichnet. Betrachtet man mehrere zusammen, ergeben sich Muster, die an kleine Wirbelstürme erinnern.
Für diese Entdeckung sollte es einen Nobelpreis geben, diese Einschätzung wurde gestern von mehreren Forschern geäußert – unter der Maßgabe, dass das Ergebnis korrekt ist. Kovac selbst sagt, dass die Wahrscheinlichkeit zu irren bei eins zu 3,5 Millionen liege. Danzmann, der nicht an der Arbeit beteiligt war, betont zwar, dass das Ergebnis von anderen Teams bestätigt werden müsse. Die US-Forscher hätten allerdings zahlreiche Tests gemacht, um jegliche Fehlinterpretation zu vermeiden. „Alles, was mit den Daten getan werden konnte, wurde gemacht“, sagt er.
Verrückte Theorie - sie stimmt offenbar
Für Danzmann besteht der große Wert darin, dass die Inflationstheorie nach 30 Jahren endlich bestätigt wurde. „Das klang zunächst völlig verrückt, dieses explosionsartige Aufblasen des Alls.“ Eine Notlösung sei es damals in den Achtzigerjahren gewesen. Das Problem: Das sichtbare Universum ist heute überall mehr oder weniger gleich – es muss also den gleichen Ursprung haben. Wenn man es in Gedanken schrumpfen lässt, reicht die Zeit von 13,7 Milliarden Jahren aber nicht aus, um zu diesem Ursprung zurückzukehren. Folglich muss es eine Phase der extremen Ausdehnung gegeben haben. Die Inflation.
Selbst wenn die Bicep-Resultate sich als korrekt erweisen, bleiben noch viele Fragen offen. Darauf weist Bernard Schutz vom AEI hin. „Wir wissen nach wie vor nicht, wie die Inflation im Detail ablief, wann sie begann, wie lange sie dauerte, ob sie abrupt oder gemächlich endete“, sagt er. Um das herauszufinden müsse die kosmische Hintergrundstrahlung noch präziser erforscht werden.
Der direkte Nachweis der mysteriösen Wellen steht noch aus
Darüberhinaus gibt es noch eine weitere Aufgabe, die nach wie vor nicht gelöst wurde: der direkte Beweis von Gravitationswellen. Es ist das letzte Phänomen, das Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hat und das noch nicht experimentell belegt wurde. Die Ur-Wellen, deren Spuren Kovac und Kollegen glauben gefunden zu haben, lassen sich mit den vorhandenen Detektoren vermutlich nicht erfassen, dafür ist ihre Wellenlänge ist zu groß. Für diese Apparate kommen eher Gravitationswellen infrage, die jünger sind und etwa bei Sternenexplosionen oder bei Schwarzen Löchern entstanden sind, die sich in engem Abstand umkreisen. Der Wettlauf der Forscher geht weiter.
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