Mundo und WirLernenOnline: Zwei Plattformen sind eine zu viel
Streit um bundesweite Portale für digitale Bildung: „WirLernenOnline“ und „Mundo“ konkurrieren Ressourcen – und um die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte.
Fragt man Lehrkräfte, wie sie die neuen zentralen Inhalteportale „Mundo“ und „WirLernenOnline“ (WLO) finden, müssen die meisten passen. „Noch nie gehört, was machen die?“ WLO gibt es seit März, als der Bund es als Pandemiehilfe aus dem Boden stampfen ließ.
Das ebenfalls vom Bund finanzierte Mundo ging im September online, als die Kultusminister der Länder das Portal starteten. Mundo war schon 2019 im „Digitalpakt Schule“ von Bund und Ländern vereinbart worden.
Ein zentrales Portal für digitale Lerninhalte bedeutet für die Schule eine Revolution: den Anfang vom Ende des Schulbuchs. Das Quasi-Oligopol der großen Schulbuchverlage Cornelsen, Klett und Westermann wird gerade geknackt – vom Staat. Zum ersten Mal gibt es eine Stelle, die Lernvideos, digitale Arbeitsblätter, so genannte offene Lernmaterialien, katalogisiert und zugänglich macht.
Nur ist es eben nicht ein digitaler Zentralkatalog geworden, sondern zwei. Das bedeutet Konkurrenz. Und die Giftpfeile zwischen Erfurt, wo WLO zu Hause ist, und dem „Medieninstitut der Länder“ in München, das Mundo betreibt, fliegen bereits. Die Leute von WirLernenOnline sagen maliziös, dass sie „schon seit März“ online seien.
Der Mundo-Manager aus München, Andreas Koschinsky, verweist hingegen darauf, wer die Kulturhoheit hat: „Wir vereinen alle Angebote der Länder, und wir sind dafür qua Unterschrift aller Kultusminister auch zuständig.“
Karliczek will Schulen "auf allen Ebenen unterstützen"
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) schaut eher darauf, dass es auch funktioniert. „In dieser schwierigen Zeit geht es vor allem darum, dass wir auf allen Ebenen die Schulen unterstützen“, sagte Karliczek dem Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI. „Deshalb ist es gut, wenn sich Angebote für das Onlinelernen ergänzen. Gerade in Zeiten von Schulschließungen oder Wechselunterricht ist das ein Weg, Unterricht zu gewährleisten – was wir alle wollen.“
Mundo klappt schon ganz gut. Wer dort etwa zum Thema „Reichsgründung“ sucht, findet 71 einschlägige Lernmaterialien. Allerdings ist Mundo bislang nur das Schaufenster, in dem sich die Lehrer umschauen können. Die Medieninhalte selbst müssen sie sich an anderer Stelle abholen: bei der Plattform Sodix.
Doch im Februar soll Mundo auf eine neue Stufe gehoben werden, sagt Koschinsky. „Neues Aussehen, erweiterte Funktionen, offene Schnittstelle bei ,Sodix’ für die Länder. Jetzt geht’s richtig los.“ Das kann man sich durchaus wie die Reichsgründung in der digitalen Lernwelt vorstellen.
Denn wenn die Sodix-Schnittstelle im Februar scharf gestellt wird, werden alle Länderfürstentümer verknüpft. Dann können die Bildungsserver, Medienzentren und Lernmanagementsysteme der Bundesländer an Sodix andocken. In diesem Moment wird sich die Zahl der bislang verfügbaren 35.000 Medieninhalte bei Mundo schnell vervielfachen.
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„Ich bin mir sicher, dass wir mit Mundo die Zukunft der digitalen Lerninhalte maßgeblich mitgestalten können“, sagt Koschinsky. Eine Vision wird dann Realität: Berliner Lehrkräfte könnten ihren Schülerinnen und Schülern Lernvideos des bayerischen Lernmanagementsystems „Mebis“ zeigen, Dresdner und Düsseldorfer sich zum Beispiel beim Bildungsserver Mecklenburg-Vorpommerns bedienen.
Medienserver der Länder werden bei Mundo vernetzt
Perspektivisch soll Sodix freie Lerninhalte und Open Educational Resources (OER) sogar mittels künstlicher Intelligenz aus dem Web fischen und aufbereiten.
Wozu braucht es dann eigentlich noch „WirLernenOnline“? Darauf weiß niemand eine einfache Antwort. Der Generalsekretär der Ständigen Konferenz der 16 Kultusminister, Udo Michallik, sagte zu Tagesspiegel Background: „Zur Frage der Förderpraxis des Bundes müssen sie sich an das BMBF wenden.“ Er meint damit: Wir, die Länder, sind zuständig!
[Lesen Sie auch unseren Bericht auf Tagesspiegel Plus: Diese vier Lernplattformen haben sich in Berlin bewährt]
Auch das Bundesbildungsministerium tut sich schwer, die Doppelförderung zu erklären. Es habe zwar einen Mehrwert, die Medienserver der Länder bei Mundo zu vernetzen. „Doch dann fehlen immer noch die aktuellen, und in ihrer Vielfalt wertvollen Angebote aus anderen Quellen und aus der Praxis, die für Open Educational Resources typisch sind.“ Diese Inhalte solle WLO erschließen, „ohne auf eine Qualitätssicherung zu verzichten“.
Die Arbeitsteilung sieht in den Augen des BMBF so aus: Mundo verknüpft die Länderserver, WirLernenOnline bereitet OER auf und stellt eine Redaktion, die die Qualität der Angebote prüft. Nur: Selbstverständlich hat auch Mundo eine Redaktion – und wird ebenfalls OER integrieren.
Zunächst wird hier deutlich, wie groß die Revolution ist, die bevorsteht, wenn das Leitmedium Schulbuch durch andere Medien ergänzt wird. Das Schulbuch hängt eng an den Lehrplänen – und an der Zulassung der Materialien durch die Länder. Landesfürsten wollen eben genau wissen, welche Inhalte an ihren Schulen gelehrt werden.
Einerseits ist schwer vorstellbar, dass sie sich die Kulturhoheit wegnehmen lassen. Ist andererseits diese Vorgabe überhaupt noch zeitgemäß, wenn das Web vor Lernmaterialien nur so überquillt?
Spricht man mit der Managerin von WirLernenOnline, sieht man eine neue Zeit anbrechen. Annett Zobel von „EduSharing“ in Weimar, das WLO betreibt, denkt nicht in Zuständigkeiten. „WLO entwickelt sich durch die Beteiligung von Vielen. Die Community nimmt unabhängig von staatlichen Vorgaben Einfluss auf die Entwicklung von WLO“, sagt Zobel. „Dadurch entsteht echte Nachhaltigkeit.“
Zugleich baut Zobel Fachredaktionen auf, die insgesamt aus 30 Redakteuren bestehen soll.
Wie aber sollen 30 Personen bei WLO die Hunderttausenden Lernmaterialien, die im Netz herumschwirren, finden, prüfen, mit Metadaten versehen und verfügbar machen? Schulbuchverlage dagegen verfügen über Hunderte Redakteure.
Dessen ist sich Zobel bewusst. „Selbst wenn wir alle IT-Expert:innen im Bildungsbereich zusammenlegen, wäre der Aufbau einer digitalen länderübergreifenden Bildungscloud immer noch eine riesige Herausforderung. Ungesunde Konkurrenzen brauchen wir daher nicht.“