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Insa Thiele-Eich (links) und Nicola Baumann könnten Deutschlands erste Astronautinnen werden.
© Reuters/Fabrizio Bensch

Erste deutsche Astronautin: Zwei Frauen - dem Ziel ihrer Träume so nah

Nicola Baumann hat bei dem Wettbewerb um Deutschlands erste Astronautin gewonnen. Auch Insa Thiele-Eich wurde ausgewählt. Gemeinsam werden sie das Astronautentraining beginnen.

Darauf hatte sie so lange hingearbeitet. Nicht erst seit dem vergangenen Sommer, als das Auswahlverfahren losging, auch nicht erst in den Monaten zuvor, als sie an ihrem Bewerbungsvideo tüftelte und sich auf die verschiedenen Tests vorbereitete. Eigentlich hat Nicola Baumann schon ihr ganzes Leben auf diese Gelegenheit hingefiebert. Am Mittwoch fiel dann die so lang ersehnte Entscheidung: Baumann wird Deutschlands erste Astronautin - genau wie Insa Thiele-Eich. Beide werden gemeinsam in das Training zur Vorbereitung auf ihren Raumflug starten.

Damit endet das Auswahlverfahren, das länger als ein Jahr dauerte und den Anwärterinnen einiges abverlangte. Mehr als 400 Kandidatinnen hatten sich beworben, in mehreren Runden wurde ausgesiebt: mit Logiktests und psychologischen Untersuchungen, soziale Kompetenzen wurden auf die Probe gestellt und schließlich die medizinische Tauglichkeit – die Frauen wurden buchstäblich auf Herz und Nieren geprüft. Schließlich geht man im All nicht mal eben zum Arzt, wenn es irgendwo zwickt.

Am Mittwochnachmittag am Pariser Platz wirken derlei Risiken unendlich weit weg. Die sechs Finalistinnen haben genug damit zu tun, von einem Kamerateam zum nächsten Fotografen zu rennen. Lächeln, posen, weitergehen. Auch das gehört wohl zum Leben als Deutschlands erste Astronautin dazu. Hier hatten die Kandidatinnen im vergangenen Sommer, damals waren es noch rund 70, in blauen Poloshirts vor dem Brandenburger Tor fürs Gruppenfoto posiert. Die Gruppe war viel größer, das Medieninteresse geringer. Das Verhältnis hat sich umgekehrt, nicht alle durften den kompletten Weg bis hierher gehen.

Noch nie war eine Deutsche im All

Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD), die auch Koordinatorin für Luft- und Raumfahrt ist, sagt deshalb zum Auftakt der Veranstaltung: „Wir wissen, dass wir die Zukunft nur gestalten werden, wenn wir in den technischen Fächern besser werden.“ Das ist als Lob gedacht, Zypries erwähnt aber gleich, dass die Unterstützung von Seiten der Bundesregierung bloß ideell sein könne, Geld wird keines fließen.

Vorgewarnt waren sie alle. Claudia Kessler hatte bereits bei einer ersten Vorstellungsrunde im vergangenen Sommer gewarnt: „Ich hoffe, die Strapazen schrecken Sie nicht ab. Aber den meisten hier dürfte ja klar gewesen sein, dass Sie auch als Versuchskaninchen eingesetzt werden.“ Kessler ist diejenige, die das gesamte Programm überhaupt erst losgetreten hat. Sie leitet das Netzwerk „Women in Aerospace“. Allein die Tatsache, dass ein solches Netzwerk existiert, zeigt, wie defizitär die Geschlechterverteilung in der Raumfahrt ist. Außerhalb der Atmosphäre ist das Ungleichgewicht noch größer als bei uns am Boden. Noch nie zuvor hat es eine deutsche Frau ins All geschafft. Nur zur Erinnerung: Die Russen schickten mit Laika 1957 sogar einen Hund in den Orbit.

Kessler will diesen Missstand endlich auflösen. Sie selbst wünschte sich nichts lieber, als eines Tages in den Weltraum zu fliegen, aber daraus wurde nichts. Beim ersten Versuch war sie zu jung, beim zweiten zu alt. Deshalb gründete sie das Projekt „Die Astronautin“, um einer anderen Frau diesen Traum zu erfüllen. „Nach dem Hype um Alexander Gerst dachte ich, das können wir nur noch toppen, wenn wir eine Frau ins All schicken“, sagt Kessler. Gerst war der letzte deutsche Astronaut, der mit atemberaubenden Bildern via Twitter 2014 eine kleine Space-Euphorie in der gesamten Republik auslöste.

Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum und die Charité unterstützen die Pläne

Normalerweise sucht in Europa die European Space Agency, kurz Esa, die potenziellen Astronauten aus. Das passiert aber nur alle paar Jahre, und bisher sind noch alle deutschen Bewerberinnen durchs Raster gefallen. Auch aus anderen Ländern schaffen es kaum Frauen zur Raumstation.

Die Italienerin Samantha Cristoferetti war eine der wenigen Ausnahmen, sie war zusammen mit Alexander Gerst an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Kessler wollte nicht wieder auf eine solche Gelegenheit warten, die dann womöglich im letzten Augenblick zerplatzt. Also suchte sie einfach selbst nach einer geeigneten Kandidatin, die dann auf kommerziellem Wege ins All geschickt werden soll. 2020 soll es so weit sein.

30 Millionen Euro sind dafür an Kosten veranschlagt, bezahlt werden soll das aus privaten Taschen. Davon hängt ab, ob das Vorhaben jemals realisiert werden kann. Geldgeber werden ab jetzt via Crowdfunding gesucht, einige Großsponsoren sind bereits mit an Bord. Der größte Batzen muss aber noch eingesammelt werden. „Nike hat schon mal Schuhe gesponsert“, freut sich Kessler kleinlaut. Unter den großen Geldgebern, die schon dabei sind, ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und die Charité. Beide investieren nicht nur aus marketingstrategischen Gründen, sondern haben ein eigenes Forschungsinteresse. Das DLR führte das Bewerbungsverfahren durch, die Charité hat bereits Pläne, was sie über Frauen im Weltall herausfinden möchten. Wie reagieren sie physisch im Vergleich zu Männern auf Schwerelosigkeit? Verhalten sie sich in Stresssituationen anders als ihre männlichen Kollegen? Kessler hat also nicht zu viel versprochen, als sie das „Versuchskaninchen“ erwähnte.

Sie will nur fliegen

Nicola Baumann ist das egal. Hauptsache, sie kann fliegen. Schon als Kind hat sie nichts anderes im Kopf. Ihre Familie lebt es ihr vor. Ihre Großmutter macht im zweiten Weltkrieg einen Segelflugschein, die Mutter fliegt Drachen. Baumann tut es ihr mit 16 gleich, irgendwann wird ihr das zu langweilig. Dann, 2001, öffnet sich die Bundeswehr für Frauen, also geht Baumann zur Luftwaffe. Erst im Simulator, später in kleineren Propellermaschinen lernt sie das Fliegen. Irgendwann steigt sie auf den Tornado um, später wechselt sie auf den Eurofighter. Sie ist eine von nur drei Frauen in Deutschland, die überhaupt mit diesem Hunderttausende PS starken Geschoss umzugehen wissen.

Ihr Ehemann ist US-Amerikaner, angestellt bei der US Air Force. Sie kennt jedes Seemannsgarn aus der Fliegerei, die Geschichten aller großen Pioniere und Pionierinnen, wenn es ums Fliegen geht, leuchten ihre wachen blauen Augen noch wacher. Im Beruf kann sie sich keine Fehler erlauben, jede kleinste Unachtsamkeit kann tödlich enden. Die Anforderungen an die Soldatin sind hoch, ein ständiges Leben in strikter Selbstdisziplin ist unerlässlich.

Für das Bewerbungsverfahren war die Erfahrung für Baumann, Dienstrang Major, ein Vorteil. Denn sie kannte einiges davon bereits von den Aufnahmetests bei der Bundeswehr. Und dass sie medizinisch geeignet ist, daran hatte sie keinen Zweifel. „Die Untersuchungen bei der Luftwaffe sind so engmaschig, da würde jedes Wehwehchen gleich auffallen“, sagt sie während des Auswahlverfahrens bei einem Treffen in ihrem Fliegerhorst Nörvenich, wenige Kilometer von Köln entfernt.

Tochter von Astronaut Thiele gehört dazu

Und so schaffte sie es Runde um Runde, sich gegen ihre Mitbewerberinnen zu behaupten. Mit jedem bestandenen Test wurde der Kreis der Konkurrentinnen kleiner, bis am Mittwoch nur noch sechs Kandidatinnen übrig waren. Ingenieurinnen, Astrophysikerinnen, Raketenwissenschaftlerinnen – und mit Nicola Baumann auch eine Kampfpilotin. Ein Lebenslauf liest sich beeindruckender als der andere. Am Ende reichte es trotzdem nur für eine, für Baumann. „Ich habe in meinem Beruf gelernt, mich auf alles gut vorzubereiten und einen professionellen Eindruck zu hinterlassen“, sagt die 32-Jährige, „anscheinend hat das gereicht.“

Zwei Jahre wir nun die Vorbereitung dauern und mehrere Module umfassen. Das Training wird auf jede Person passgenau zugeschneidert. Die Astronautinnen müssen körperlich fit sein, sie lernen das theoretische Rüstzeug über die ISS und alles, was sie über Raumfahrt wissen müssen, geübt wird auch die Landung aus dem Weltall, denn die ist nicht gerade sanft. Und wenn bei der Wasserung im Meer etwas schief gehen sollte, muss die Astronautin in der Lage sein, mit ihrem schweren Raumanzug zu schwimmen. Falls die nächste ISS-Mission aus Russland startet, steht zudem ein Russischkurs auf dem Programm. An Baumanns Seite wird Insa Thiele-Eich mittrainieren. Sie ist Meteorologin und die Tochter von Gerhard Thiele, der im Jahr 2000 selbst als Astronaut im Weltall war. Zwischen den beiden wird sich erst ein Jahr vor dem Start entscheiden, wer von ihnen als „Prime“ und wer als „Backup“ ins Rennen geht. Fliegen darf nur eine von beiden, die andere ist Ersatzfrau, falls die Astronautin sich kurz vor dem Start zum Beispiel ein Bein bricht. In einem kleinen Einspielfilm spricht Baumann ihren Konkurrentinnen schon mal Mut zu, für die es diesmal nicht gereicht hat: „Ich glaube, das Weltall ist groß genug, dass dort auch für mehr als eine deutsche Frau Platz ist.“ So wie eigentlich alles, was sie sagt, klingt das ziemlich einfach.

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