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Nicola Baumann arbeitet beim Fliegerhorst in Nörvenich. Ein Leben in ständiger Disziplin, das ist der Preis, den die 31-Jährige für ihren Traum zahlt.
© picture alliance / dpa

Pilotin Nicola Baumann: Sie will die erste Deutsche auf der ISS werden

Nicola Baumann ist eine von zwei Frauen, die als erste deutsche Astronautin ins Weltall fliegen könnten. Der Tagesspiegel hat sie vor einigen Wochen getroffen.

Das ist ihr Moment. Wenn sie im Eurofighter aus dem Hangar rollt, weiß, gleich geht es los. Sie die Kräfte der Maschine spürt, die zigtausende PS starke Hochleistungswaffe, dann fühlt Nicola Baumann, dass es das alles wert war. „Der Moment, wenn du in den Sitz gepresst wirst und startest, das ist eines der besten Gefühle überhaupt“, sagt die Pilotin. Sie steht vor einem Hangar im Fliegerhorst, die Hand vor der Sonne schützend über die Augenbrauen gehoben.

Baumann, schwarze Haare, streng zum Zopf nach hinten gebunden, wache Augen, die dem dunkelgrünen Kampffliegeranzug die Strenge nehmen, ist eine von drei Frauen in Deutschland, die den Eurofighter fliegen können. Aber das ist ihr nicht genug. Mit 31 Jahren und nach 1700 Flugstunden will sie ihn gegen eine Rakete eintauschen. „Das Ziel war immer der Weltraum.“ Und in Nörvenich, dem ältesten Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe, lacht schon längst niemand mehr, wenn Frau Hauptmann so was sagt.

Die Gemeinde Nörvenich sieht früh am Morgen nicht so aus, als wollten jene, die hier leben, sonderlich hoch hinaus. Ein paar Bauernhöfe, verlassene Feldwege und einige Landstraßen, die mehr Autos durch- und weg- als herbringen. Nicola Baumann ist eine der wenigen, die in die andere Richtung fahren. Jeden Tag rund 30 Kilometer von Köln bis zu ihrem Arbeitsplatz.

Die Bundeswehr ist noch immer klar in Männerhand, in den Cockpits herrscht Testosteronüberschuss. Doch Baumann hat sich behauptet, ganz nebenbei, wie es scheint. „Das ist ein ganz normaler Job, ich komme morgens hierher, abends fahre ich nach Hause.“ Frau Hauptmann Baumann wird in Nörvenich von allen nur Nicola gerufen, niemand müsse vor ihr salutieren oder strammstehen. Alle im Fliegerhorst duzen sich.

Am strengsten ist Baumann mit sich selbst

Am strengsten ist Nicola Baumann vermutlich mit sich selbst. Jede Bewegung sitzt, jeder Satz wirkt durchdacht. Ein Schritt nach dem anderen. Im Alltag ist das mühsam, auf ihrem Weg ins All ein großer Vorteil und im Cockpit lebensnotwendig. Ein Leben in ständiger Disziplin, das ist der Preis, den Baumann zahlt. Sie setzt auf ihre Hartnäckigkeit. „Ich hatte vor, die Esa so lange zu nerven, bis sie mich irgendwann einladen.“

In Europa wählt die European Space Agency Esa alle paar Jahre eine Gruppe potenzieller Raumfahrer aus, die auf Missionen geschickt werden.

So haben es bisher elf Deutsche ins All geschafft, allesamt Männer. Baumann hatte schon begonnen, an ihrem Anschreiben zu feilen, um die Esa von ihren Qualitäten zu überzeugen, da tat sich eine neue Möglichkeit auf: „Die Astronautin“. So nennt sich eine Privatinitiative, die bis 2020 die erste deutsche Frau zu einer Mission auf die internationale Raumstation ISS schicken will. Finanziert wird „Die Astronautin“ von Sponsoren, Kosten: rund 30 Millionen Euro.

Das Prinzip ist nicht neu. Die Briten schickten 1991 Helen Sharman als Erste ihrer Staatsbürger überhaupt auf Weltraummission. Und auch sie flog auf kommerziellem Weg, nachdem sie im Radio von dem Projekt gehört hatte. Dass manche das Vorhaben für einen gigantischen Werbegag halten, ist Baumann egal - „solange ich als vollwertiges Mitglied eines Teams ins All fliegen und da oben einen Beitrag leisten kann“.

Das ist ohnehin Teil des Deals; die Investoren, dazu gehören unter anderem die Berliner Charité und Airbus Defense and Space, versprechen sich neue Erkenntnisse von dem Projekt. „Wir möchten zum Beispiel herausfinden, wie Frauen im All anders reagieren als Männer“, sagt Hanns-Christian Gunga von der Charité. In der Vergangenheit wurden etwa Studien durchgeführt über Gruppendynamiken auf eingeengtem Raum. Unter bestimmten Voraussetzungen rotteten sich einige Teilnehmer zusammen, während andere gar nicht mehr miteinander sprachen. Auf der ISS könnte man testen, ob sich Frauen anders verhalten. Und herausfinden, ob ihr Hormonhaushalt in der Schwerelosigkeit anders reagiert als der von Männern.

Der Kindheitstraum wuchs bei ihr zur Obsession heran

Baumann ist das eher egal, für sie gibt es nur eines, das zählt: Sie will ins All. Der Traum, aus dem die meisten Kinder irgendwann herauswachsen, wurde bei ihr immer mächtiger, wuchs zur Obsession heran. Auch als Jugendliche hatte sie immer nur die Fliegerei im Kopf, verschlang jedes Buch, bis sie die Geschichten der Luftfahrtpioniere und -pionierinnen auswendig konnte. Bis heute ist Amelia Earhart ihr großes Vorbild: die erste Frau, die 1932 im Alleinflug den Atlantik überquerte. Die als erster Mensch den Äquator umrunden wollte. Der Versuch scheiterte, ihren Pioniergeist bezahlte Earhart mit ihrem Leben.

Vor dem Fliegen fürchtet Baumann sich trotz solcher Geschichten nicht. Dabei leidet sie sogar unter Höhenangst, steht nicht gern auf hohen Leitern. Sobald sie aber im Cockpit ihres Flugzeugs sitzt, ist die Angst verschwunden. „Da vertraue ich einfach der Technik“, sagt sie.

Baumann ist ein rationaler Mensch. Sie weiß um ihre Verantwortung und welche verheerenden Folgen in ihrem Job ein Fehler hätte. Aber wenn es um die Fliegerei und ihre Legenden geht, wird Frau Hauptmann schon mal euphorisch. Ihr Lieblingsfilm ist „Pearl Harbor“. Ausgerechnet. „Meine Kollegen belächeln das nur müde, viel zu kitschig sei der Film. Aber die Flugszenen!“ Wen stört da schon die Handlung?

Zumal sie familiär vorgeprägt ist. Die Liebe zur Fliegerei hatte schon ihre Großmutter gepackt, die mitten im Chaos des Zweiten Weltkriegs einen Segelflugschein machte. Ihr Vater wäre selbst gern Pilot geworden, hatte aber zu schlechte Augen. Dafür flog ihre Mutter leidenschaftlich Drachen. Mit 16 tat Baumann es ihr zum ersten Mal gleich. Noch lieber hätte sie wie die Oma das Segelfliegen gelernt, aber die nächste Flugschule war zu weit weg. Baumann ging in die zehnte Klasse, als sich 2001 die Bundeswehr für Frauen öffnete. Sie meldete sich zum Aufnahmetest: „Der hat drei Wochen gedauert, dafür gab es schulfrei. Das gefiel mir natürlich.“ 2004 fing sie bei der Luftwaffe an, lernte zunächst in kleinen Propellermaschinen, im Flugsimulator, irgendwann darf sie Tornado fliegen.

Sie weiß seit Jahren, dass zwei Wege ins All führen

Ein Jahr später geht sie für die Bundeswehr in die USA, arbeitet in Texas als Fluglehrerin, wo die Nato-Mitglieder gemeinsam trainieren. „Da ist es billiger, das Wetter ist besser und die Landschaft weitläufig“, sagt Baumann. Optimale Flugbedingungen also. In Texas lernt sie auch ihren Ehemann kennen, einen Kampfflieger der US Air Force. Nach vier Jahren kehrt Baumann zurück nach Deutschland, um auf den Eurofighter umzuschulen - allein. Ihr Mann bleibt in den Staaten, sie führen eine Fernehe, damit keiner von ihnen auf das Fliegen verzichten muss. Und ihren großen Traum. „Ich habe immer versucht, das nächstmögliche realistische Ziel zu erreichen.“

Nicola Baumann ist Pragmatikerin. Was zu tun ist, tut sie. Verlangt von sich selbst immer mindestens 110 Prozent. Sie weiß seit Jahren, dass zwei Wege ins All führen: einer über die Luftwaffe, ein anderer über die Wissenschaft. Übers Militär hat es beispielsweise Samantha Cristoforetti geschafft, sie flog 2014 als erste Italienerin zur ISS. Baumann ist Cristoforetti ein paar Mal in Texas begegnet, wo beide stationiert waren.

Alexander Gerst, der 2014 mit seinen Twitter-Nachrichten und Videos von der Raumstation in Deutschland einen Space-Hype auslöste, kam über die Wissenschaft ins All. Für das Projekt „Die Astronautin“ haben sich Neurochirurginnen, Raketenwissenschaftlerinnen und Physikerinnen beworben.

Vom Eurofighter zum Spaceshuttle

Nicola Baumann arbeitet beim Fliegerhorst in Nörvenich. Ein Leben in ständiger Disziplin, das ist der Preis, den die 31-Jährige für ihren Traum zahlt.
Nicola Baumann arbeitet beim Fliegerhorst in Nörvenich. Ein Leben in ständiger Disziplin, das ist der Preis, den die 31-Jährige für ihren Traum zahlt.
© picture alliance / dpa

Nicola Baumann geht beide Wege, sicher ist sicher. Absolviert neben ihrem Job als Kampfpilotin ein Fernstudium in Maschinenbau, Schwerpunkt Raumfahrttechnik. Erst danach fühlt sie sich bereit, es bei der Esa zu versuchen. Als sie von dem Astronautinnen-Projekt erfährt, schwenkt sie um, steckt ihre volle Energie in diese Chance. Mit ihren Freunden dreht sie das Bewerbungsvideo. Mit der Mischung aus Bundeswehr-Imagefilm und Trailer für einen Roland-Emmerich-Streifen schafft es Baumann in die Runde der 70 Bewerberinnen, die zu den eigentlichen Tests beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, eingeladen werden.

Die Konkurrentinnen treten sich das erste Mal im vergangenen Sommer in Berlin gegenüber - und verstehen sich auf Anhieb. „Hier treffe ich endlich mal andere Frauen, die das gleiche Ziel haben wie ich, die sich dafür so begeistern können“, sagt Baumann. Als den Frauen das Auswahlverfahren erklärt wird, ahnt die Eurofighter-Pilotin, dass sie eine echte Chance hat. Das Prozedere bei der Bundeswehr war ähnlich. Erste Runde, Ende Oktober 2016: Die Kandidatinnen werden in Hamburg auf ihre kognitiven Fähigkeiten getestet. Was genau abgefragt wird, hält das DLR streng geheim. „Wir haben alle Verschwiegenheitsklauseln unterschrieben“, sagt Baumann.

Nicola Baumann war gut vorbereitet, natürlich. „So eine Chance bekomme ich nur einmal, die will ich nutzen“, sagt sie. Deshalb hatte sie sich eine Woche Urlaub genommen, sich mit speziellen Lernprogrammen in ihre Wohnung zurückgezogen und geübt. Begriffsketten auswendig wiedergeben, wie bei „Ich packe meinen Koffer“. Räumliche Vorstellungskraft trainieren: Wie bewegt sich dieses Zahnrad, wenn jenes sich dort in eine bestimmte Richtung dreht? Und Logikfragen.

„Ich bin von Runde zu Runde entspannter“, sagt sie.

Zweite Runde, Ende November: Teamspiele, soziale Kompetenzen austesten. „Ich bin von Runde zu Runde entspannter“, sagt sie. Zumal die letzte Runde, der Medizincheck in diesem Januar, für sie die einfachste werden sollte. „Die Überwachung bei uns Kampfpiloten ist lückenlos. Wir können uns hier ja keine körperlichen Schwächen erlauben“, sagt sie - und zieht dabei an ihrer Zigarette. Ab und zu eine rauchen mit Kollegen, das sei in Ordnung. Es gebe in der Luftwaffe aber niemanden, der wirklich Kettenraucher sei. „Irgendein Laster brauchen wir alle.“

Im März fällt die Entscheidung. Zwei der übrig gebliebenen 30 Bewerberinnen dürfen ins Astronautentraining einsteigen. Starten darf am Ende nur eine von ihnen, die andere ist Ersatzfrau, falls sich die Astronautin zum Beispiel im letzten Augenblick ein Bein bricht. Rund zwei Jahre lang lernen die beiden alles Notwendige über die Raumfahrt im Allgemeinen und die ISS im Speziellen. Trainiert wird auch die Landung nach dem Weltraumausflug. Wie sich die Schwerelosigkeit anfühlt, weiß Baumann schon: Wenn ein Kampfjet bei den sogenannten Parabelflügen eine bestimmte Flugkurve nimmt, entsteht für einige Sekunden der Eindruck, ohne Schwerkraft zu sein. Gegebenenfalls gibt es noch einen Russischkurs - je nachdem, von wo der Start letztlich erfolgen wird.

Harte Schule. Nicola Baumann in Montur.
Harte Schule. Nicola Baumann in Montur.
© Vooren

Und schließlich steht Fitness auf dem Programm, denn auch im All müssen die Astronautinnen Sport treiben. Ohne die Schwerkraft baut der Körper sehr schnell Muskeln ab. Deshalb gibt es auf der ISS ein Laufband, ein Ergometer und eine Kraftmaschine. Baumann trainiert ohnehin jeden Tag. Krafttraining, Ausdauer, Beweglichkeit - das alles gehört zum Job. Baumann muss gezielt jene Muskeln trainieren, die beim Fliegen stark belastet werden, besonders der Nackenbereich, aber dabei nicht zu viel Muskelmasse aufbauen, damit sie im Cockpit beweglich bleibt. In Nörvenich haben sie dafür einen Fitnessraum mit speziellen Geräten, die eher nach Folter aussehen. Zwei Sportwissenschaftler passen auf, dass jeder Pilot und jede Pilotin individuell und richtig trainiert.

Sie will an die Grenzen des Machbaren stoßen

Baumanns „Arbeitsgerät“ ist ja auch kein ganz gewöhnliches. Beim Flug mit dem Eurofighter wirken enorme Kräfte auf den Menschen. Würden es die Piloten darauf anlegen, bräuchte so ein Flugzeug von München nach Hamburg etwa 20 Minuten. „Viel belastender ist es, wenn wir den Luftkampf trainieren“, sagt Baumann. Werden dabei besonders enge Kurven geflogen, wirken bis zu 9g auf den Körper, also das Neunfache des eigenen Körpergewichts. Bei 5 bis 6g würde der Mensch in der Regel bewusstlos, im Kampfjet helfen spezielle Kompressionsanzüge, das abzufangen. Ohne spezielles Training ist das dennoch nicht auszuhalten.

Warum will jemand sein Leben riskieren, um im Weltraum zu arbeiten? Für Baumann ist es die Faszination, an die Grenzen der Menschheit vorzustoßen. An die Grenzen des Machbaren. „So wie früher die Polarforscher“, sagt sie. Unvergesslich seien die Momente, die sie beim Fliegen in Texas erlebte. „Wenn ich dort aus der Ferne ein Gewitter beobachten konnte, das war fantastisch.“ Toppen könnte diese Aussicht nur noch ein Blick vom Weltraum aus. „Wenn ich ins All fliege und etwas schiefgeht, sollte die Rakete wenigstens erst auf dem Rückweg verglühen“, sagt sie. „Ich will das da oben immerhin einmal gesehen haben.“

Sätze, die manche Ehe sprengen könnten. Ihr eigener Mann denke da eher so wie sie: „Er sagt immer, es wäre doch ziemlich cool, mit einer Astronautin verheiratet zu sein.“ Noch dazu mit einer, die einen historischen Beitrag zur Gleichberechtigung leisten könnte? Sie winkt ab. „Das ist nicht mein Kampf“, sagt Nicola Baumann. Die Farbe des Tickets, das sie ins All bringen könnte, sei ihr egal. Hauptsache, es geht nach oben.

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