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Bestimmte Zellen aus der Plazenta können sich in Herzmuskelzellen verwandeln und beschädigte Regionen von Herzen nach einem Infarkt reparieren - zumindest bei Mäusen.
© ColumbiaEngineering

Hilfe nach dem Herzinfarkt: Zellen aus der Plazenta können Mäuseherzen reparieren

Die Stammzelltherapie, die kranken Herzen auf die Sprünge hilft, lässt noch immer auf sich warten. Jetzt haben Forscher ganz besondere Zellen entdeckt.

Nach einem Herzinfarkt bildet sich meist kein neuer Herzmuskel, sondern eine funktionslose Narbe. Das liegt daran, dass sich das Herzgewebe von Säugetieren nur sehr beschränkt regenerieren kann. Meist wird im Laufe einer Herzkrankheit das Organ immer schwächer und kann irgendwann nicht mehr genug Blut in den Kreislauf pumpen. Schon seit Jahren suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, das Herz mit Hilfe geeigneter Methoden zu reparieren, etwa mit embryonalen Stammzellen. Eine Forschungsgruppe um die Kardiologin Hina Chaudhry von der Icahn School of Medicine in Mount Sinai beschreibt jetzt im Fachblatt „PNAS“, wie mit bestimmten Zellen aus dem Mutterkuchen der geschädigte Herzmuskel repariert werden kann.

Wandlung von der Plazentazelle zur Herzmuskelzelle

Die Idee ist nicht ganz neu. Auch andere Arbeitsgruppen haben bereits Untersuchungen mit Plazentazellen durchgeführt. Die von Chaudhry und ihren Kollegen verwendeten Zellen zeichnet aber ein ganz bestimmtes Eiweiß aus, genannt Cdx2. Es steuert Prozesse, die wichtig für die Nährstoffversorgung des heranwachsenden Embryos sind. Doch die Zellen wirken nicht nur dort. Aus vorherigen Studien wussten die Wissenschaftler, dass die Zellen mit dem Cdx2-Protein wandern können - aus dem Embryo sogar bis ins Herz des Muttertiers, bei dem eine Schädigung des Pumporgans vorlag. Und nicht nur das: Sie hatten sich dort zu funktionierenden Herzzellen umgewandelt.

Schon seit mehr als 15 Jahren suchen Forscher nach solchen Zellen, die kaputtes Herzmuskelgewebe reparieren oder sogar komplett ersetzen können. Bislang ohne großen Erfolg. Positive Ergebnisse aus Tierexperimenten ließen sich in Patientenstudien oft nicht oder nur mit geringen Effekten reproduzieren. Das weiß auch Gustav Steinhoff. Zusammen mit seinem Team an der Universität Rostock forscht der Wissenschaftler und Herzchirurg an Stammzellen für die Herztherapie und hat schon zahlreiche Studien im Labor und mit Patienten durchgeführt.

"Viele Enttäuschungen" auf dem Weg zur Stammzelltherapie

„Es hat viele Enttäuschungen gegeben“, sagt Steinhoff, „mittlerweile gehen wir nicht mehr davon aus, dass wir mit den Zellen eines Spenders alle möglichen Patienten behandeln können.“ Denn Herzerkrankungen sind komplex. An ihrer Entstehung sind unzählige Mechanismen beteiligt, die teilweise noch nicht erforscht oder verstanden sind. Die bisherigen Untersuchungen haben zum einen gezeigt, dass Stammzellen wahrscheinlich gar nicht dadurch wirken, dass sie sich im kaputten Gewebe in funktionierende Herzmuskelzellen umwandeln. Vielmehr starten sie eine Kaskade unterschiedlicher Prozesse. Sie produzieren Lockstoffe für andere Zellen, aktivieren die Neubildung von kleinen Blutgefäßen und regen einen Umbau des Gewebes an. „Dass man mit einer Stammzelltherapie etwas ersetzt, ist ein fehlgeleiteter Gedanke“, meint Steinhoff, „man beeinflusst den Regenerationsprozess.“

Trotzdem ebbt die Flut der Veröffentlichungen mit neuen Ansätzen für die Stammzelltherapie nicht ab. Sollte es doch die eine Zelle geben, die alles kann?

Mit dem Plazenta-Protein war das Forscherteam um Hina Chaudhry auf einer neuen Spur. Sie isolierten Cdx2-Zellen aus dem Mutterkuchen von schwangeren Mäusen und versahen sie mit einem Marker, um ihre Entwicklung weiter verfolgen zu können - zunächst im Reagenzglas.

Ob menschliche Plazentazellen ähnlich wirken, ist unklar

Dort bestätigte sich die Vermutung der Wissenschaftler. Die Plazentazellen verwandelten sich in Herzmuskel- oder Blutgefäßzellen, wenn sie zusammen mit anderen Zellen aus dem Herzen in der Petrischale schwammen. Um das Prinzip am lebenden Objekt zu testen, spritzten Chaudhry und ihre Kollegen die Cdx2-Zellen in Mäuse, bei denen sie vorher künstlich einen Herzinfarkt verursacht hatten. Im Körper der Nager angekommen, suchten sie sich von allein ihren Weg zu den geschädigten Stellen am Herz der Tiere. Und mehr noch: Wie schon vorher im Reagenzglas, entwickelten sie sich auch dort zu Herzmuskelzellen sowie zu Zellen, die die Innenwand der Blutgefäße auskleiden.

Eine Reparatur, die offenbar Wirkung zeigte: Bei den Kernspin-Untersuchungen einen und drei Monate nach der Behandlung schlugen die Herzen der Mäuse, die die „Reparaturzellen“ erhalten hatten, wesentlich stärker als jene der Tiere aus der Kontrollgruppe. Die Cdx2-Zellen hatten also ganze Arbeit geleistet. Und sie bieten einen weiteren Vorteil. Auf ihrer Oberfläche fanden die Wissenschaftler nur wenige Moleküle, die sie für das Immunsystem als „fremd“ erkennbar machen. Sollte sich das Therapie-Konzept auf den Menschen übertragen lassen, könnte diese „Tarn“-Eigenschaft dafür sorgen, dass der Körper das neue Herzgewebe nicht abstößt.

Weltweit keine einzige Stammzelltherapie für Herzpatienten

Auch für Stammzellforscher Steinhoff sind diese Ergebnisse interessant. Wenn fremde Zellen über eine Vene in den Körper gespritzt werden, müssen sie zwei Hindernisse überwinden. Zum einen müssen sie ihren Weg zum geschädigten Organ finden und sich dort festsetzen. Zum anderen können sie als Eindringlinge vom Immunsystem des Zellempfängers erkannt werden und eine Abstoßungsreaktion, ähnlich wie bei Organtransplantationen auslösen. „Oftmals werden solche Effekte bagatellisiert“, sagt Steinhoff, „vor allem, wenn die Therapie auf eine Kommerzialisierung ausgerichtet ist.“

Vor allem in den USA gibt es zahlreiche Krankenhäuser, die ihren Patienten Stammzelltherapien anbieten, ohne dass der Effekt durch wissenschaftliche Studien untermauert ist. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA scheint mit der Regulierung überfordert, oftmals bewegen sich die Anbieter in juristischen Graubereichen. Fest steht: Es gibt weltweit keine einzige zugelassene Stammzelltherapie für herzinsuffiziente Patienten. Und nach Steinhoffs Ansicht, wird es eine solche wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht geben. „Das Produkt Stammzelle alleine ist keine Therapie, sondern nur ein Teilfaktor.“ Vielmehr werde es eine Kombination aus unterschiedlichen Therapieansätzen geben, die auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden müssen.

Ob die Plazentazellen mit dem Cdx2-Protein eine Ausnahme darstellen, wird sich zeigen. Um das testen zu können, müsse zuerst ein Weg gefunden werden, die Zellen in einer menschlichen Plazenta zu erkennen und zu isolieren, schreiben die Autoren. Außerdem müsse die Tendenz der Cdx2-Zellen, Tumore zu bilden, ausgeschlossen werden. Bis dahin werden noch viele andere Forschungsgruppen neue Ansätze auf dem Gebiet der Stammzelltherapien vorstellen. Aber zu sagen: „Da gibt es eine neue Zelle, die spritzen wir ins Herz und dann wird sie ihre Arbeit machen“, mahnt Stammzellforscher Steinhoff, „so funktioniert das natürlich nicht.“

Florian Schumann, Stephan Detert

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